In Istanbul fordern aufgebrachte Demonstranten eine Kriegserklärung gegen Israel

Istanbul. Nach dem blutigen israelischen Angriff auf eine Flotte radikaler islamischer und linker Aktivisten, die auf dem Seeweg Hilfsgüter nach Gaza bringen wollten, wächst in den islamischen Ländern die Wut auf Israel. Die Regierungen in Ägypten, Jordanien, Libanon und Katar forderten Israel auf, die Blockade des Gazastreifens zu beenden. Am schärfsten reagierte die Türkei, einst Israels strategischer Verbündeter. Die Regierung in Ankara rief ihren Botschafter aus Israel zurück, sagte drei geplante gemeinsame Militärübungen ab, nannte Israels Vorgehen "Piraterie" und sprach von "irreparablen Schäden" im Verhältnis der beiden Staaten.

Generalstabschef Ilker Basbug und Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan brachen Auslandsreisen ab. In Ankara trafen sich die Regierung und führende Generale zu einer Krisensitzung. Der türkische Verteidigungsminister Vecdi Gönül verlangte, dass Israel sofort alle türkischen Staatsbürger freilassen und die türkischen Schiffe zurückgeben solle.

An Istanbuls Taksim-Platz kletterten derweil aufgebrachte Demonstranten zur aufrechten Statue von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk hinauf und forderten eine "Kriegserklärung" gegen Israel. Die 15 000 Demonstranten trugen grüne Stirnbänder und schwenkten gelbe Fahnen mit dem Banner der libanesischen Hisbollah. Die meisten sind Anhänger islamischer Organisationen und Parteien, die mit drei eigenen Schiffen und Hunderten von Aktivisten am Blockadebrecher-Konvoi beteiligt waren. Möglicherweise war ein blutiger Zwischenfall sogar bewusst einkalkuliert. Zumindest müssen die Plakate und Transparente für die Massenproteste in Windeseile gedruckt worden sein. Darauf stand auf Türkisch, Arabisch, Englisch und Hebräisch: "Gefährliches Israel, Hände weg von unseren Schiffen".

Als sich der Schwerpunkt der Proteste gegen Mittag auf Istanbuls Innenstadt verlagerte und die Demonstranten von der Atatürk-Statue herab ihren Hass auf Israel und ihre Liebe zu Gott herausschrien, da war dies auch ein Bild der neuen Türkei. Was würde wohl der säkulare Staatsgründer Atatürk denken, auf dessen Denkmal die Demonstranten respektlos herumkletterten? Er, der das Kalifat abschaffte, Muslimen ihre traditionelle Kleidung verbot und im Islam die größte Fortschrittsbremse für sein Land sah?

Seit die islamisch geprägte AKP das Land regiert, haben religiöse Gruppen wieder mehr Freiraum in der Gesellschaft. Zudem ist die Türkei zunehmend auf Distanz zu Israel gegangen. Vor den letzten Lokalwahlen provozierte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bewusst einen Eklat, als er in Davos wutschnaubend das Weltwirtschaftsforum verließ, nachdem er Israelis "Kindermörder" genannt hatte. Jetzt steht ein Verfassungsreferendum an, mit dessen Hilfe er endgültig die Macht des alten, säkularen Establishments zu brechen hofft.

So erhob Erdogan auch gestern gegen Israel schwere Vorwürfe. "Es soll deutlich werden, dass wir nicht ruhig und teilnahmslos angesichts dieses inhumanen Staatsterrorismus bleiben werden", sagte er vor seiner Abreise aus Chile in die Türkei.