Kommandeur der Isaf zu Gesprächen über den Einsatz am Hindukusch in Berlin. Verteidigungsminister Guttenberg weist auf die Risiken der neuen Afghanistan-Strategie Washingtons hin.
Berlin/Hamburg. Stanley McChrystal will nicht von Opfern sprechen. Der Oberbefehlshaber der internationalen Friedenstruppe für Afghanistan, Isaf, ist nachts in einem verwundeten Deutschland angekommen. Vor wenigen Tagen sind vier deutsche Soldaten in einem Hinterhalt der Taliban ums Leben gekommen. Nie waren in Deutschland die Zweifel an diesem Krieg so quälend wie jetzt. Später am Tag wird er mit Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg Kränze für sie niederlegen und den Einsatz der Bundeswehr loben.
Aber wenn er gefragt wird, ob er gekommen sei, um Deutschland auf noch mehr Opfer vorzubereiten, sagt er an diesem grauen Morgen am Potsdamer Platz: "Diese Männer sind für mich keine Opfer." Dann scheint er kurz nachzudenken und fährt fort: "Diese Männer sind umgekommen, während sie Menschen geschützt haben. Sie haben die afghanische Bevölkerung geschützt und auch die Menschen in Deutschland. Das sollten wir nicht aus dem Blick verlieren."
Der Mann, der jeden Soldaten für seinen Krieg braucht, wirkt nicht wie ein General. Wäre da nicht sein asketisches Gesicht, die gespannte, zerfurchte Haut, dann würde man ihn kaum soldatisch finden. Wenn ihm jemand eine Frage stellt, dann beugt er fast unmerklich den Kopf vor, und seine Brauen heben sich - Wissbegier zeigen seine Augen. Aber sie blinzeln kaum. Dieser Mann ist nicht nur zum Zuhören gekommen. "Ich bin hier, um Bericht zu erstatten über das, was Isaf in Afghanistan macht", sagt er. McChrystals Diplomatie besteht zu 90 Prozent aus Sachlichkeit. Denn das, was Isaf in Afghanistan macht, steht auf dem Spiel. Bei den Bündnisnationen schwindet die Unterstützung für den Einsatz rapide.
"Das ist jetzt wahrscheinlich der letzte Versuch, den wir haben, um die Mission in Afghanistan zum Erfolg zu führen", sagt der General. "Die Menschen in Afghanistan sind frustriert, und viele haben die Zuversicht verloren. Aber sie haben die Hoffnung nicht aufgegeben." McChrystal ist nicht pessimistischer, als er sein muss: "Es geht darum, die Initiative zu erringen. Bis jetzt haben wir das noch nicht geschafft. Aber anders als im Sommer vor einem Jahr haben die Taliban sie jetzt auch nicht mehr."
Tatsächlich spricht bisher einiges dafür, dass McChrystals letzter Versuch glücken kann. Bei ihrer Offensive im Süden des Landes, dem paschtunischen Kernland der Taliban, nahmen die Truppen der Koalition Ende Februar die Rebellenhochburg Mardschah ein. Als Nächstes dürfte Kandahar dran sein, die inoffizielle Hauptstadt der Islamisten. Doch nun scheinen die Taliban und ihre Verbündeten nach Nordosten auszuweichen, dorthin, wo Deutschland Verantwortung trägt. Deshalb steigt die Zahl der toten Bundeswehrsoldaten, deshalb mehren sich die Berichte über eine im Sommer anstehende Offensive der Isaf auch in den nördlichen Provinzen.
Was wird von der Bundeswehr dann erwartet? Einen "wichtigen Beitrag" wolle McChrystal von der Bundesrepublik, war jüngst berichtet worden. Was damit gemeint ist, will der Oberbefehlshaber an diesem Morgen nicht ausführen. Jedenfalls will er nicht mehr Soldaten oder schweres Gerät verlangen.
Sein Gastgeber Guttenberg überreichte McChrystal in Berlin Ehrenkreuze der Bundeswehr - 14 Sanitäter der US-Armee sollen sie verliehen bekommen für die Bergung der toten und verletzten deutschen Soldaten in Afghanistan. Es ist das erste Mal, dass diese höchste Auszeichnung für Teamleistungen an ausländische Soldaten verliehen wird. Bei der Rettungsaktion war der US-Helikopter von den Taliban unter Feuer genommen worden.
Nach dem Gespräch mit Stanley McChrystal sagt Guttenberg nachdenklich, er rechne in den kommenden Monaten mit einer weiter erhöhten Gefahr für die deutschen Soldaten am Hindukusch. Die neue Strategie - deren Vater General McChrystal ist - berge neue Gefahren und Risiken. Kurz zuvor hatte bereits der deutsche Nato-Stabschef General Karl-Heinz Lather gesagt dass er mit weiteren deutschen Opfern rechne.