Paris. Das Klima zwischen der Türkei und Israel hat sich nochmals deutlich verschlechtert. Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan warf Israel bei einem Besuch in Paris gestern vor, "Hauptbedrohung für den Frieden" im Nahen Osten zu sein. Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu äußerte sich enttäuscht über die fortgesetzten verbalen Angriffe aus der Türkei.
Die Türkei gilt traditionell als Hauptverbündeter Israels in der muslimischen Welt. Das Verhältnis zwischen beiden Ländern hat sich aber seit der israelischen Offensive im Gazastreifen im Dezember 2008 und Januar 2009 stetig verschlechtert. Bei dem dreiwöchigen Militäreinsatz waren mehr als 1400 Palästinenser getötet worden, unter ihnen viele Frauen und Kinder.
Erdogan sagte, Israel setze "unverhältnismäßige Gewalt" ein. So habe es in den Palästinensergebieten Phosphorgranaten abgeschossen. "Dazu können wir nicht ,Bravo' sagen", fügte der türkische Ministerpräsident hinzu. Die vorgebrachten Gründe für die Gaza-Offensive seien "Lügen". Der sogenannte Goldstone-Bericht der Uno zu dem Einsatz, in dem Israel Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, belege dies klar. Erdogan betonte, er kritisiere Israel nicht, weil sein Land muslimisch sei. "Unsere Herangehensweise ist humanitär."
Netanjahu verwahrte sich gegen Erdogans Kritik. "Wir sind interessiert, gute Beziehungen zu der Türkei zu unterhalten, und ich bedaure es, dass Erdogan sich dauernd dazu entschließt, Israel anzugreifen", sagte der israelische Regierungschef in Jerusalem. Netanjahu hat zudem erneut harte militärische Schläge angedroht, sollten die erneuten Raketenangriffe militanter Palästinenser aus dem Gazastreifen andauern. "Die Stärke und Intensität unserer Reaktionen wird der Art der Angriffe gegen uns entsprechen", sagte Netanjahu. Militante Palästinenser hatten zuvor erneut mehrere Mörsergranaten auf Israel abgefeuert.
In den vergangenen Monaten war es mehrfach zu diplomatischen Spannungen zwischen der Türkei und Israel gekommen. Erst am Dienstagabend hatte Ankara angebliche Äußerungen des israelischen Außenministers Avigdor Lieberman verurteilt, der Erdogan laut israelischer Presse mit umstrittenen Führern wie Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi und Venezuelas Präsident Hugo Chávez verglichen haben soll.
Der türkische Ministerpräsident kritisierte nun auch, dass Israel trotz seines allgemein angenommenen Besitzes von Atomwaffen der internationalen Gemeinschaft keine Rechenschaft ablegen müsse. Nur weil Israel dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten sei, könne es "machen, was es will", sagte Erdogan. "Ist das eine logische Situation?"
Erdogan verwies dabei auf den Iran und lehnte erneut weitere Sanktionen gegen Teheran ab. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) spreche mit Blick auf das Atomprogramm des Landes von "Wahrscheinlichkeiten", sagte er. Es gebe keine Sicherheit, dass Teheran militärische Ziele verfolge. "Es kommt nicht infrage, dass man ein Land aufgrund von Wahrscheinlichkeiten beschuldigt."
Erdogan hielt sich zu einem Besuch in Paris auf und traf den französischen Staatschef Nicolas Sarkozy. Zu einer möglichen Aufnahme der Türkei in die Europäische Union sagte Erdogan, er habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Sarkozy seine Ablehnung aufgeben werde. "Ich glaube, dass Herr Sarkozy seine Haltung überprüfen kann." Die Türkei erfülle mehr Beitrittskriterien als "einige der 27 Mitgliedstaaten". Sarkozy verweist regelmäßig darauf, dass die Türkei geografisch nicht zu Europa gehöre und nicht EU-Mitglied werden könne. Mit Deutschland hat er sich für eine "privilegierte Partnerschaft" mit dem Land ausgesprochen.