Tausende Gegner demonstrieren vor Kapitol gegen die Reform. Obama schwor die Abgeordneten der Demokraten auf das Votum ein.
Washington. Mit Spannung erwarten die US-Bürger am Sonntag die entscheidende Abstimmung über die historische Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama. Obama schwor die Abgeordneten der Demokratischen Partei im Repräsentantenhaus auf das Votum ein: „Es ist an der Zeit, die Gesundheitsreform für Amerika zu verabschieden, und ich bin mir sicher, dass ihr das morgen tun werdet.“
„Es liegt in Euren Händen (...) Lasst es uns zu Ende bringen“, sagte Obama kämpferisch. Die Reform sei das Produkt eines „schwierigen Prozesses“, sagte er und ging auf zahlreiche Streitpunkte ein wie die Sorge vieler konservativer Republikaner und Demokraten wegen einer möglichen staatlichen Kostenübernahme für Abtreibungen und den Vorwurf einer Einmischung in das Privatleben. „Tut es nicht für mich. Tut es nicht für die Demokratische Partei. Tut es für das amerikanische Volk“, appellierte Obama im Cannon House Office Building des Kongresses an die Demokraten.
Nach Angaben des demokratischen Mehrheitsführers im Repräsentantenhaus, Steny Hoyer, haben die Demokraten die nötige Mehrheit zusammen. „Wir sind uns sicher, dass wir genügend Stimmen haben“, um das Reformprojekt zu verabschieden, sagte Hoyer am Samstag vor einem Treffen mit dem Präsidenten. Obama braucht mindestens 216 Stimmen der derzeit 431 Mitglieder des Repräsentantenhauses.
Die Gesundheitsreform ist das innenpolitische Kernvorhaben des Präsidenten. Sie soll 32 Millionen unversicherten US-Bürgern zu einem Schutz im Krankheitsfall verhelfen, scheiterte aber bisher stets am Widerstand der Republikaner und einiger Abgeordneter aus dem eigenen Lager. Obama, der zuletzt auch von der einflussreichen Ärzte- und Krankenhaus-Lobby sowie vom Seniorenverband AARP Rückendeckung erhielt, sprach von einem „schwierigen Votum“.
Die Abstimmung wird gegen 21.00 Uhr MEZ erwartet. Nach Angaben des Abgeordneten Chris Van Hollen wird das Repräsentantenhaus zunächst über die Regeln für die Debatten abstimmen, dann über Änderungsvorschläge zu einem bereits vom Senat im Dezember verabschiedeten Reformentwurf. Erst dann werde über den bei vielen Abgeordneten ungeliebten Senatsentwurf selbst abgestimmt.
Danach ist wieder der Senat am Zug, der den Änderungsentwurf („Reconciliation Bill“) durch eine Sonderregelung mit der einfachen Mehrheit von 51 Stimmen verabschieden kann. Auf diese Weise umgeht das Oberhaus die Sperrminorität der Republikaner.
Das Weiße Haus versuchte bis zuletzt, skeptische Parteimitglieder auf Kurs zu bringen. Viele Abgeordnete befürchten, bei den Kongresswahlen im November abgestraft zu werden, wenn sie für das Vorhaben stimmen. Obama sprach ihnen Mut zu: Das Repräsentantenhaus habe einige der „schwersten Entscheidungen in der Geschichte des Kongresses“ getroffen – „weil es der Wahrheit, nicht dem Sieg, verpflichtet ist“. Mehrere Abgeordnete wurden offen angefeindet. Der Demokrat Emmanuel Cleaver wurde von Reformgegnern angespuckt.
Vor dem Kapitol demonstrierten tausende Gegner des Reformvorhabens. In Anspielung an einen Action-Thriller skandierten sie „Kill the Bill“ (Tötet das Gesetz). Auf Spruchbändern bezeichneten sie den Präsidenten und sein Reformvorhaben als „sozialistisch“. Der republikanische Minderheitenführer im Repräsentantenhaus, John Boehner, sagte, für die Demokraten in Washington sei es höchste Zeit, auf die Stimme des amerikanischen Volkes zu hören.