Nach dem Mord an einem Hamas-Führer: Thomas Frankenfeld über Erfolge, aber auch Pannen eines der meistgefürchteten Geheimdienste.
Hamburg. Der Mord an einem Hamas-Führer in Dubai trägt die Handschrift des israelischen Mossad. Schon früher hat er auf diese Weise Feinde im Ausland liquidiert.
Am 25. September 1997 gegen zehn Uhr morgens wollte Chalid Maschal, Chef des jordanischen Zweigs der militanten Palästinenserorganisation Hamas, sein Büro in Amman betreten. Als ihn ein Mann vor der Tür ansprach, wandte er sich zu ihm um. In diesem Moment trat ein zweiter Mann von hinten an ihn heran und spritzte ihm mit einem kleinen Gerät etwas ins linke Ohr. Es war ein tödliches Nervengift. Maschal brach zusammen und wurde ins Krankenhaus gebracht. Sein Leibwächter alarmierte die Sicherheitskräfte und sprintete hinter den beiden flüchtenden Männern her. Sie wurden wenig später gefasst. Es waren Agenten des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad.
Sie waren offenbar mit Billigung des damaligen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit dem Attentat beauftragt worden. Der jordanische König Hussein forderte von Netanjahu ein Gegengift, um Maschals Leben zu retten. Netanjahu lehnte kühl ab. Erst als sich US-Präsident Bill Clinton einschaltete und Druck auf den israelischen Premier ausübte, schickte dieser zähneknirschend das Gegenmittel nach Amman. Maschal wurde in letzter Minute gerettet.
Heute kämpft der Hamas-Führer Chalid Maschal von Damaskus aus gegen Israel - und dürfte weiterhin auf einer Todesliste des Mossad stehen. Der Minister für innere Sicherheit, Avi Dichter, drohte Maschal vor drei Jahren unverhohlen, ihn bei "erstbester Gelegenheit" umlegen zu lassen.
Manches an diesem Attentat weist Parallelen zum Mord an dem palästinensischen Hamas-Kommandeur Mahmud al-Mabhuh in Dubai auf: Ziel war in beiden Fällen ein hoher Hamas-Führer im Ausland, das "Hit-Team" war vom Mossad, der verantwortliche Regierungschef war Benjamin Netanjahu, und die Sache ging nicht so aus, wie sich der Mossad das vorgestellt hatte.
In Dubai hatte das vermutlich 26-köpfige Mossad-Team die Leistungsfähigkeit der örtlichen Polizei - und der teilweise von israelischen Firmen gelieferten Überwachungselektronik - vollkommen unterschätzt. Die rasche Aufdeckung der Verwendung gefälschter Pässe und gestohlener Identitäten von Europäern haben Mossad und Israels Regierung in höchste Erklärungsnot gebracht.
Ungeachtet dieser und früherer Pannen gilt der Mossad , das "Institut für besondere Aufgaben", als einer der effizientesten Geheimdienste der Welt. Wenige Wochen nach der Gründung des Staates Israel im Mai 1948 hatte Ministerpräsident David Ben Gurion die Schaffung einer dreigeteilten Geheimdienststruktur - Inland, Ausland, Militär - grundsätzlich angeordnet. Bis zur Gründung des Mossad sollte es aber noch drei Jahre dauern.
Heute hat das "Auge Davids", dessen Hauptquartier sich in Tel Aviv befindet, rund 1200 Mitarbeiter, von denen aber nur ein kleiner Teil aktive Agenten sind. Weltweit sollen von den Mossad-Agentenführern, den "Katsa", zudem Tausende inoffizielle Mitarbeiter und Informanten geführt werden. Dabei hat der Mossad einen Vorteil, den kaum ein anderer Dienst in diesem Ausmaß hat.
Im Vielvölkerstaat Israel leben viele verschiedene Ethnien, die neben Hebräisch zahlreiche Sprachen sprechen. Sie können sich mühelos und unauffällig etwa in der arabischen Welt oder in Europa bewegen. Zudem kann Mossad als Dienst des hochgerüsteten Hightech-Landes Israel seine Agenten mit modernsten technischen Mitteln ausstatten. Zum Beispiel verfügt Israel über einige der leistungsfähigsten Drohnen der Welt, mit deren Hilfe Terroristen ausfindig gemacht werden.
Naturgemäß gibt der Dienst nur wenig über seine Strukturen und Strategien preis. Israels Regierung äußert sich grundsätzlich nicht zu Mossad-Operationen und muss keine Untersuchungsausschüsse fürchten.
Acht Abteilungen soll der Mossad haben, darunter eine politische und eine für psychologische Kriegsführung. Doch jene Abteilung, die für die spektakulärsten Operationen zuständig ist, trägt den sinnigen Namen Kidon - Bajonett. Für Kidon, auch Metsada genannt, arbeiten jene Agenten, die mit der Liquidierung von Feinden Israels beauftragt werden. Kidon ging aus der Kommandoeinheit Caesarea hervor, die nach den Attentaten auf israelische Sportler bei den Olympischen Spielen von München 1972 auf Anweisung von Ministerpräsidentin Golda Meir gegründet wurde.
Caesarea, deren erster Kommandeur der spätere Ministerpräsident Ehud Barak war, tötete im Zuge der Operation "Zorn Gottes" nacheinander rund 20 Attentäter oder Hintermänner der palästinensischen Terrorgruppe Schwarzer September. Es ist aber keineswegs gesichert, dass alle, die der Zorn traf, tatsächlich in die Münchner Anschläge verwickelt waren. Auch Unschuldige wurden dabei liquidiert - wie der marokkanische Kellner Ahmed Bouchiki, der am 21. Juli 1973 im norwegischen Lillehammer getötet wurde. Der Mossad hatte ihn mit dem gesuchten Terroristen Ali Hassan Salameh verwechselt. Sechs Mossad-Agenten landeten in norwegischer Haft. Als Salameh, genannt der "Rote Prinz", Jahre später tatsächlich getötet wurde - per Autobombe in Beirut am 22. Januar 1979 -, starben bei der Explosion auch zwölf unbeteiligte Passanten, darunter eine deutsche Nonne.
Zu den spektakulärsten Erfolgen in der Geschichte des Mossad gehörte im Jahre 1960 die Entführung Adolf Eichmanns aus Argentinien. Der frühere SS-Obersturmbannführer war einer der Hauptorganisatoren des Mordes an fast sechs Millionen Juden. Zu dem Mossad-Team, das ihn aufspürte und kidnappte, gehörte auch der spätere Vize-Premier Rafi Eitan.
Eichmann wurde in Israel vor Gericht gestellt und 1962 hingerichtet.
Im August 1966 gelang es dem Mossad, einen irakischen Piloten zum Überlaufen zu bewegen - mitsamt seinem nagelneuen russischen Kampfflugzeug vom Typ MiG-21. Die Israelis benötigten diese Maschine, um ihre Piloten, die damals französische Mirages flogen, im Luftkampf gegen das schnellere Feindflugzeug zu trainieren.
1969 entführten Mossad-Kommandos fünf Raketen-Schnellboote aus dem französischen Hafen Cherbourg - der französische Staatspräsident Charles de Gaulle hatte die für Israel gebauten Kriegsschiffe wegen des Sechs-Tage-Krieges nicht ausliefern wollen. Ein knappes Jahr zuvor war der Frachter "Scheersberg A" mit 200 Tonnen Uranoxid im Laderaum auf der geplanten Fahrt von Antwerpen nach Genua verschwunden. Am 2. Dezember wurde er im südtürkischen Hafen von Iskenderun dümpelnd wiederentdeckt - ohne Ladung und Besatzung.
Das Uranoxid ("Yellowcake"), das im Zusammenhang mit Israels Atomprogramm im Reaktor von Dimona in der Negev-Wüste benötigt wurde, war vermutlich bei Zypern auf ein israelisches Schiff umgeladen worden. Nun diente die "Scheersberg A" den entführten Schnellbooten offenbar unterwegs als Versorger. Nach Recherchen des US-Magazins "Time" war der 1790-Tonner "Scheersberg" zwei Monate vor seiner Uran-Fahrt über den Hamburger Schiffsmakler August Bolten für 287 000 Dollar erworben worden - von einer dubiosen Firma namens "Biscayne Traders Shipping Corp", einer Briefkastenfirma aus Liberia.
Deren Präsident war damals ein Mann namens Dan Ert. Er wurde 1973 als Mitglied des israelischen Killer-Teams von Lillehammer festgenommen. Er war aktiver Mossad-Agent.
Israels höchst umtriebiger Auslandsgeheimdienst genießt grundsätzlich großen Respekt im eigenen Volks - denn er wehrt Bedrohungen vom jüdischen Staat ab. Am derzeitigen Mossad-Chef Meir Dagan allerdings scheiden sich die Geister. Als er 2002 vom damaligen Ministerpräsidenten Ariel Scharon ernannt wurde, sollen nach Angaben der "Jerusalem Post" bald darauf mehr als 200 Agenten, darunter sieben Abteilungsleiter, den Dienst quittiert haben.
Von Scharon wird das Zitat überliefert, die Spezialität seines langjährigen Freundes und Kriegskameraden sei es, "den Kopf eines Arabers von seinem Körper abzutrennen". General Dagan war Gründer und Mitglied der wohl umstrittensten Mossad-Einheit: Sayeret Rimon ("Granatapfel"). Sie hatte den Auftrag, militante Palästinenser im Gazastreifen zu liquidieren.
Dagans Vorgänger, der in Großbritannien geborene Efraim Halevy, der als Mossad-Agent fünf israelischen Premiers diente und später EU-Botschafter wurde, hatte Attentate eher abgelehnt und sich für Verhandlungen mit der Hamas ausgesprochen.
Unter Scharon wurde Halevy kaltgestellt. Mit Dagan kehrte eine Kultur der gewaltsamen Problemlösung in den Mossad zurück. Seit seinem Amtsantritt sind zahlreiche Feinde Israels liquidiert worden - wie offenbar mehrere Mitarbeiter des iranischen Atomprogramms oder der Hisbollah-Generalstabschef Imad Mughniyeh, der im Februar 2008 in Damaskus durch eine Bombe in der Kopflehne seines Autos starb.
Der hoch angesehene frühere Botschafter Israels in Deutschland, Avi Primor, sprach in der "Süddeutschen Zeitung" im Zusammenhang mit dem Attentat von Dubai von einer falschen Sicherheitsstrategie. Getötete Terroristen würden oft rasch durch noch radikalere ersetzt. Außerdem müsse die gezielte geheimdienstliche Bekämpfung des Terrorismus einhergehen mit einer politischen Lösung, die die Bevölkerung, aus der die Terroristen stammten, befriedige.
Dass hinter dem Mord von Dubai der Mossad steckt, ist für Wolfgang Krieger, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Marburg und Autor des Buches "Geschichte der Geheimdienste von den Pharaonen bis zur CIA", zwar noch nicht bewiesen. "Aber es würde natürlich zu Netanjahu passen. Er hat ja auch 1997 den Einsatz in Jordanien genehmigt", sagte Krieger dem Abendblatt. "Unter den westlichen Demokratien und Rechtsstaaten ist Israel keineswegs der Einzige, der solche Operationen unternimmt.
Die Amerikaner machen das genauso mit ihren Drohnen. Das ist zwar ein waffentechnischer Unterschied, aber in der Sache nichts anderes. Es will zwar keiner hören, ist aber ein Fakt: Unter Präsident Barack Obama haben solche Einsätze enorm zugenommen. Er hat schon mehr solcher Operationen genehmigt als sein in Europa unbeliebter Vorgänger Bush."
Die Europäer machten sich nicht klar, dass "Israel seit 60 Jahren Krieg führt", sagt Krieger. "Es ist ein Rechtsstaat, eine demokratische Gesellschaft im Krieg. Das können wir im friedlichen Europa mit unserer juristischen Elle nicht messen. Wer weiß, wie wir reagieren würden, wenn wir ständig Terror ausgesetzt wären wie die Israelis?"