Auf der arabischen Halbinsel ist ein neues Schlachtfeld entstanden. Iran, die Saudis, schiitische Rebellen und al-Qaida ringen um die Macht.
Hamburg. Im Schatten der Großkonflikte Irak und Afghanistan, fast unbemerkt von weiten Teilen der Weltöffentlichkeit, ist eine weitere Krise herangereift, die alle bekannten Elemente der anderen gefährlichen Konfrontationen aufweist: al-Qaida gegen den Westen, Sunniten gegen Schiiten, der Machtanspruch des Iran.
Wie die "New York Times" und der US-Sender ABC News jetzt meldeten, hat US-Präsident Barack Obama am vergangenen Donnerstag Angriffe mit Marschflugkörpern auf Stellungen des Terrornetzwerks al-Qaida im Jemen befohlen. Eines der Ziele soll ein al-Qaida-Ausbildungslager nördlich der jemenitischen Hauptstadt Sanaa gewesen sein, ein anderes soll ein Ort gewesen sein, wo nach Angaben amerikanischer Offizieller "ein unmittelbar bevorstehender Angriff auf US-Einrichtungen geplant" worden sei. Die Cruise-Missiles-Angriffe stellen eine erhebliche Eskalation im Kampf der USA gegen al-Qaida in der Region dar.
Als Obama kürzlich seine Rede zur neuen amerikanischen Strategie in Afghanistan gehalten hatte, war vor dem Hintergrund der umstrittenen Truppenverstärkung eine kurze Passage zum Jemen fast unbemerkt geblieben. Der US-Präsident hatte gesagt: "Wo immer al-Qaida und seine Verbündeten versuchen einen Brückenkopf zu errichten - ob in Somalia oder im Jemen - muss ihnen mit wachsendem Druck und starker Partnerschaft begegnet werden."
Der wachsende Druck manifestierte sich nun in Gestalt von Luftangriffen - und die Partnerschaft findet in Form einer militärischen Allianz mit dem jemenitischen Regime statt, das Washington ansonsten wenig gewogen ist. Nachdem die Cruise-Missiles eingeschlagen waren, rückte die jemenitische Armee gegen al-Qaida vor - 120 Terroristen sollen dabei ums Leben gekommen sein -, die Opposition sprach allerdings von vielen zivilen Toten.
Obama gratulierte Jemens Präsidenten Ali Abdallah Sali telefonisch zu seinem militärischen Erfolg, wie das Weiße Haus wissen ließ. Obama, der sicherheitspolitisch mit Irak und Afghanistan alle Hände voll zu tun hat, sticht mit diesen Angriffen in ein Wespennest. Im Jemen tobt seit fünf Jahren ein Bürgerkrieg zwischen der schiitischen Huthi-Rebellenmiliz und den Regierungstruppen. Knapp ein Viertel der 22,5 Millionen Jemeniten sind Schiiten, der Rest Sunniten. Es gilt als gesichert, dass hinter den Huthi-Rebellen der Iran steht, der mit seiner Unterstützung der Rebellen Einfluss auf das arabische Land nehmen will. Aus den Huthi soll offenbar eine jemenitische Version der mächtigen schiitischen Hisbollah-Miliz werden, gegen die im Libanon kaum etwas geht.
Doch diese Strategie hat die Schutzmacht des sunnitischen Islam herausgefordert: Irans alten Rivalen Saudi-Arabien.
Die militärisch hoch gerüsteten Saudis haben in jüngster Zeit unter anderem mit Kampfjets und Artillerie massiv in die Kämpfe aufseiten der jemenitischen Armee eingegriffen. Mit dem Resultat, dass der Bürgerkrieg auch auf saudisches Territorium übergegriffen hat. Insgesamt 175 000 Menschen sind beiderseits der Grenze auf der Flucht vor den Kämpfen. Nach Angaben von Unicef mussten jetzt 240 saudische Grenzdörfer geräumt und mehr als 50 Schulen geschlossen werden. Die saudische Marine hat indessen eine Seeblockade verhängt, um iranische Waffenlieferungen an die Rebellen auf dem Seeweg zu verhindern.
Und Teile der saudisch-jemenitischen Grenze sind mit einer 75 Kilometer langen Grenzmauer aus Beton und Stahl abgesperrt, die mit Überwachungselektronik gespickt ist. Denn noch eine weitere Partei ist daran interessiert, Saudi-Arabien ebenso wie den Jemen zu destabilisieren: al-Qaida. Osama Bin Ladens Terrornetzwerk hat sich im Jemen festgesetzt und verübt von dort aus Anschläge auf saudische Einrichtungen. Generell setze sich al-Qaida in Gebieten fest, die nicht von der Regierung kontrolliert würden, sagte der Uno-Terror-Experte Richard Barrett, "Ich denke, dass viele Schlüsselfiguren al-Qaidas in den Jemen gezogen sind." Dabei ist auch al-Qaida streng sunnitisch - doch Osama Bin Laden und seine Getreuen hegen einen tief sitzenden Hass gegen das saudische Königshaus, weil es mit dem Westen paktiert.
Als sei diese jemenitische Gemengelage nicht mörderisch genug, gibt es im Südteil des bitterarmen Landes auch wieder starke Bestrebungen zu einer Sezession. Erst 1990 hatten sich Nord- und Südjemen vereinigt.