Der US-Präsident stößt mit Forderung nach massiver Truppenaufstockung am Hindukusch auf wachsenden Widerstand im Kongress.
Hamburg/Washington. Ein schwerer Bombenschlag in Kabul hat gestern die Beratungen von US-Präsident Barack Obama über die künftige Afghanistan-Strategie überschattet. Unweit der indischen Botschaft im stark gesicherten Diplomaten- und Regierungsviertel der afghanischen Hauptstadt zündete ein Selbstmordattentäter einen Sprengsatz. Die gewaltige Detonation zerriss mindestens 17 Menschen und verletzte 60 weitere. Am Anschlagsort waren nach Augenzeugenberichten überall Leichenteile, Trümmer und zerfetzte Autos zu sehen. Afghanistans Präsident sprach von einem "barbarischen" Angriff "auf wehrlose Zivilisten".
Derweil ringt US-Präsident Obama weiter um den richtigen Kurs in Afghanistan und könnte dabei einen neuen Strategie-Schwenk vollziehen. Der demokratische Präsident, angetreten als dynamischer Problemlöser, zögert ausgerechnet in der außenpolitisch drängendsten Frage, tatkräftig zu handeln. Sein unterlegener Rivale aus dem Präsidentschaftswahlkampf, der republikanische Senator und Kriegsheld John McCain, ging den Präsidenten frontal an und warnte ihn vor "halbherzigen Maßnahmen". Die Zeit laufe den USA davon.
Barack Obama steckt in einem Dilemma fest. Egal, welchen Entschluss er bezüglich Afghanistan auch fällt - es drohen unkalkulierbare Risiken. Seine Generale, allen voran Afghanistan-Oberkommandeur Stanley McChrystal, verlangen die rasche Entsendung von weiteren 40 000 Mann an den Hindukusch. Fast 70 000 GIs kämpfen dort schon. McChrystal hat in einer Analyse sehr deutlich gemacht, dass der Krieg in Afghanistan verloren gehen werde, falls Obama nicht rasch mehr Truppen entsende. Verteidigungsminister Robert Gates verpasste dem US-Militär daraufhin de facto einen Maulkorb. Auf einer Heeres-Tagung sagte Gates Richtung McChrystal, Offiziere könnten dem US-Präsidenten zwar im privaten Gespräch Ratschläge erteilen, nicht aber öffentlich.
Aber auch Gates wirbt vehement für eine Truppenaufstockung und erklärt, die jüngsten Erfolge der Taliban seien nur der zahlenmäßigen Schwäche der Alliierten geschuldet. Dabei verpasst er den kriegsmüden Europäern einen kräftigen Seitenhieb.
Doch auch die Amerikaner sind kriegsmüde. In einer neuen Umfrage sprachen sich 50 Prozent der Bürger gegen eine weitere Entsendung von Truppen aus. Auch wichtige Figuren aus Obamas Umgebung äußern sich zunehmend kritisch über die geforderte Aufstockung. Allen voran Vizepräsident Joe Biden, der sogar Truppen aus Afghanistan abziehen und sich stärker auf den Kampf gegen al-Qaida konzentrieren möchte. Der frühere Außenminister Colin Powell, ebenfalls ein ehemaliger Vier-Sterne-General, warnt ebenso vor McChrystals Strategie wie der frühere Präsidentschaftskandidat John Kerry. Der Senator sagte, es sei "unverantwortlich", noch mehr Soldaten zu schicken, bevor man wisse, was man wie in Afghanistan erreichen könne.
Nach einem Krisengespräch mit führenden Kongresspolitikern fällte Obama keine Entscheidung, prophezeite nur düster, seine Entscheidung werde "nicht alle in diesem Raum oder im Land" glücklich machen. Wie die "New York Times" gestern in ihrer Online-Ausgabe meldete, neigt das Beraterteam von Obama inzwischen zu der Position von Joe Biden. Das Weiße Haus versuche offenbar, die Öffentlichkeit bereits auf einen weiteren Strategiewechsel vorzubereiten.
Dies könnte bedeuten, dass der militärische Kampf gegen al-Qaida in Pakistan massiv verstärkt wird, während McChrystal deutlich weniger zusätzliche Truppen bekommt. Obamas Sicherheitsberater argumentieren, die Taliban stellen keine Bedrohung für die USA dar. Auch könnten sie gar nicht vollkommen aus Afghanistan vertrieben werden, dazu seien sie viel zu eng mit dem Land verflochten. Al-Qaida dagegen schon - die Organisation bestehe vor allem aus Ortsfremden.
Der Weltsicherheitsrat hat gestern in New York einstimmig das Mandat für die Internationale Schutztruppe (Isaf) in Afghanistan um ein Jahr bis Mitte Oktober 2010 verlängert. Das höchste UN-Gremium forderte zudem eine Aufstockung der Truppenstärke.