Inoffizielle Kontakte gibt es längst zwischen beiden Chinas. Und nun sogar Direktflüge nach Taipeh, wo Touristen aus der Volksrepublik leicht ins Staunen kommen ...
Taipeh/Kaohsiung. Sechs Jahre haben sie geplant, vier Jahre gebaut, neun Millionen US-Dollar in Steine, Glas, Stahl, gelbe Fliesen gesteckt. Wie ein modernes Schwimmbad liegt das neue Panda-Haus gleich am Eingang des Zoos von Taipeh. Hinter dem Rundbau, einem neuen Wahrzeichen Taiwans, erheben sich Dschungelhügel, über die sich die millionenteure Gondelbahn schwingt. Zoodirektor Jason Yeh stapft wie ein Wildhüter der Serengeti in Khaki-Hosen und olivgrüner Joppe durch den Panda-Palast.
Sommertags wird die Temperatur auf 18 bis 22 Grad heruntergekühlt, die Luftfeuchtigkeit zwischen 60 und 70 Prozent gehalten. Drei Bambussorten haben Zoo-Experten als Lieblingsfressen für die putzigen Schwarz-Weiß-Bärchen ausgemacht. Es wird gleich neben dem Insektarium angebaut, das für seine Schmetterlingsammlung weltberühmt ist.
Direktor Yeh zeigt den Whirlpool für die beiden Pandas, das Außengehege, eine moderne Einbauküche. Dort werden die abendlichen Snacks für das junge Paar zubereitet. Von jeder Decke hängen Rauchmelder, falls einer auf die Idee kommt zu rauchen oder Feuer zu legen. Alles da, alles tipptopp. Bloß kein Panda weit und breit.
"Sie kommen im November", sagt Yeh. Zwei Pandas aus China sind avisiert. Vier Jahre alt, reif, um Nachwuchs zu zeugen. Nicht einfach eine Leihgabe, sondern eine diplomatische Geste, ein Symbol mit weltgeschichtlicher Aufladung.
Vor zwei Jahren hatte Chinas Staatschef Hu Jintao die Bären über die Seestraße von Taiwan angeboten. Es sollte ein Zeichen der Annäherung sein aus der Volksrepublik an Taiwan, die sogenannte Republik China oder chinesisch Taipeh, wie die Festländer sagen. Sie erkennen sich gegenseitig nicht an, richten Waffen aufeinander, seit 1949 General Tschiang Kai-schek mit zwei Millionen Gefolgsleuten und Kisten voller Kunstschätze vor Maos Revolutionstruppen auf die Insel Formosa floh. Schon 1980 war der Berliner Zoo Nutznießer der Panda-Diplomatie, als der damalige Kanzler Helmut Schmidt ein Pärchen von Chinas Führung erhielt.
Ma Ying-jeou, der im März gewählte Präsident Taiwans, geht wieder offen auf China zu. Vorgänger Chen Shui-bian hatte die Pandas noch abgelehnt. Sie sollten doch "in ihrer natürlichen Umgebung bleiben", schrieb er damals ironisch zu Chinas Avancen.
Jetzt stellen sich plötzlich wieder die Chinesen quer. "Die Pandas sind durch das Erdbeben in Sichuan traumatisiert", sagt der geduldige Zoodirektor Yeh in Taipeh. "Für den Transport müssen sie erst vorbereitet werden. Wir können warten." Bloß kein falsches Wort gegen die Chinesen.
So entspannt sich das Verhältnis zwischen der diktatorischen Boom-Wirtschaft China und dem Hightech-Musterländle Taiwan wahlweise als Trauma, Konfrontation oder diplomatischer Irrsinn. In Deutschland und über 170 anderen Ländern gilt die "Ein-China-Politik". Es gibt keine Botschaften, bloß "Vertretungen", aber dafür regen Austausch über das Goethe-Institut und andere Einrichtungen.
In Hamburg zählt die Handelskammer 669 Firmen mit Kontakten nach Taiwan, 782 pflegen Verbindungen zu China. 123 hanseatische Unternehmen haben eine Vertretung auf der Insel. Taiwan wird international von 23 Staaten anerkannt. In Europa ist es ausschließlich der Vatikan.
Die emsigen Taiwaner haben in China über 60 Milliarden US-Dollar investiert. "Jetzt haben die Chinesen für unsere Firmen die Steuern erhöht", klagt Chang Liang-jen, Vizechef des taiwanischen Rates für Festlandangelegenheiten. "Aber nach acht Jahren Stillstand bewegt sich unter Präsident Ma endlich etwas."
Seit Juli gibt es nach 60 Jahren wieder direkte Flüge. Was man so direkt nennt: Die Charterjets aus China kommen vorerst am Wochenende und müssen immer über Hongkonger Luftraum eine Schleife fliegen, ehe sie Richtung Taiwan drehen. Hongkong ist Sonderverwaltungszone und hat autonome Rechte.
Kaum gelandet, halten die Chinesen den taiwanischen Zöllnern ihren Pass hin. Den ignorieren die Beamten und stempeln das Visum in ein kleines Extraheft. Chinesische Dokumente werden nicht anerkannt. Sprechen Taiwaner und Chinesen auf politischer Ebene miteinander, bemühen sie dazu zwei private Stiftungen. Offizielle Kontakte gibt es offiziell nicht.
Die Wochenend-Gäste aus dem Riesenreich laufen mit großen Augen durch das Nationale Palastmuseum in Taipeh, in dem die Schätze aus Jahrtausenden chinesischer Geschichte gezeigt werden. "Nach Peking verleihen wir leider nichts", sagt die resolute Direktorin Chou Kung-shin.
Die Reisegruppen aus China werden von wahren Wächtern begleitet, die genau beobachten, wer mit wem spricht. 280 000 US-Dollar zahlen die Reisebüros Strafe, falls ein Gast in Taiwan bleibt. "Die meisten sitzen abends stundenlang im Zimmer vor dem Fernseher", erzählt ein Mitarbeiter des Howard-Hotels in Taipeh. Sie gucken einen der sechs Nachrichtensender Taiwans. Talkshows, in denen frei über Politik gesprochen werden darf, faszinieren die Chinesen.
Viele laufen durch die Shopping-Center und lassen sich die Mini-Laptops vorführen, die Taiwans Computerschmieden Acer und Asus derzeit an die Spitze des Weltmarktes gebracht haben. Gut 300 Euro kosten die trendigen Klapprechner mit Namen Aspire One oder EeePC.
Im nächsten Jahr sollen chinesische Sportler zu den World Games nach Kaohsiung im Süden Taiwans kommen. Das ist Olympia für nicht olympische Sportarten. In der tropischen Hitze der Hafenmetropole Kaohsiung wächst ein 200-Millionen-Dollar-Stadion, das seine Energie aus Solarzellen auf dem geschwungenen Glasdach gewinnen soll.
Der Vize-Sportminister Chen Hsien-chung beschwört: "Taiwan kann solche Mega-Events veranstalten. Je mehr Kontakte, desto mehr Verständnis zwischen uns und den Festländern."
Auch er setzt diplomatisch Wort an Wort: "Bei Olympia in China musste es ja wegen der Terrorgefahr so massive Sicherheitsmaßnahmen geben. Dafür haben wir Verständnis. Und wir sind beeindruckt vom Erfolg der Spiele."
Vier Bronzemedaillen haben Taiwans Sportler aus Peking mitgebracht. Ausgerechnet im Nationalsport Baseball haben sie gegen China verloren. Als Mannschaft Taiwans durften sie auch nicht ins Olympiastadion einmarschieren, sondern wieder nur als "chinesisch Taipeh" - wie eine Provinz des Drachenstaates.
Bei den World Games 2009 im eigenen Land wird das nicht anders sein. Dann geht es nicht um den schnellsten Mann der Welt im 100-Meter-Finale, sondern um Strandhandball, Karate, Flossenschwimmen und ähnlich exotische Disziplinen. "Im Tauziehen der Frauen", sagt Vizeminister Chen, "sind wir sogar Favorit."
So wohlwollend, so unverkrampft sehen nicht alle Meinungsmacher in Taiwan Richtung Festland: "China wird von allen umworben. Es sucht nach Energiequellen, es strebt nach militärischer Macht. Ein neuer Kalter Krieg ist nah", warnt der Politologie-Professor Ming Chu Cheng von der Nationalen Universität in Taipeh vor Präsident Mas Kuschelkurs. Er vergleicht den Dauerkonflikt Taiwans und Chinas mit dem zwischen Georgien und Russland. "Präsident Ma gefährdet die Souveränität Taiwans", assistiert Professor Wu Chih Chung von der Soochow-Universität. "Wir sind der Troublemaker für China, wie es die Tibeter auch sind. Und das muss so bleiben."
Im weltweiten China-Hype fürchten manche Taiwaner, in Vergessenheit zu geraten, von Peking geschluckt zu werden. Ma kündigte vergangene Woche den Ausbau der Landesverteidigung an. Der Krieg in Georgien sei für Taiwan "ein Weckruf". Provozieren wolle er nicht. Aber, so sagt es Chang Liang-jen, der Vizeminister des Festlandrates, "mit dem großen Bruder im Nacken müssen wir uns verteidigen. Solange Peking seine Raketen auf uns richtet, wird es keine Verhandlungen geben."