“Bossnapping“ heißt die neuste Protestvariante gegen Manager: In Frankreich wurden bereits zweimal Betriebsleiter von ihrer aufgebrachten...

Hamburg. "Bossnapping" heißt die neuste Protestvariante gegen Manager: In Frankreich wurden bereits zweimal Betriebsleiter von ihrer aufgebrachten Belegschaft gekidnappt und als Geiseln genommen, um Entlassungen zu verhindern. Ob in Frankreich, den baltischen Ländern, Island oder Griechenland: Immer mehr Menschen spüren die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und geben auch ihren Regierungen eine Teilschuld daran.

Für Europas Politiker bringt die Krise einen dramatischen Verlust an Vertrauen und Glaubwürdigkeit. In dem anhaltenden Protestlärm - oft mit Töpfen und Pfannen wie in Island - sieht die Attac-Gründerin Naomi Klein einen Aufschrei gegen falsche Finanzpolitik, fehlende Einsicht und fehlende soziale Gerechtigkeit bei der Krisenbekämpfung: Es sei die "kollektive Wut gegen die Eliten, die ein einst blühendes Land zusammenstauchten und dachten, sie kämen damit durch", schreibt Klein im britischen "Guardian".

Frankreich Frankreich erlebt die heftigsten landesweiten Streiks seit Jahren: Gewerkschaften und Linksparteien, Uni-Mitarbeiter und Studenten und der öffentliche Dienst laufen Sturm gegen die Krisen- und Sozialpolitik von Präsident Nicolas Sarkozy. Durch Entlassungswellen hat sich das soziale Klima in den Unternehmen so deutlich verschärft, dass schon zum zweiten Mal ein Manager von Belegschaften als Geisel genommen wurde. Schon im November 2008 waren 2,1 Millionen Franzosen arbeitslos, ein Zuwachs von 8,5 Prozent in einem Jahr. Im Januar gingen mehr als zwei Millionen Franzosen auf die Straßen, am 19. März waren es drei Millionen in rund 220 Städten. "Le Monde" spricht von einem möglichen "sozialen Vulkanausbruch". Der Unmut richtet sich zum einen gegen Sarkozys Sparpläne und Stellenstreichungen, aber auch gegen seine Steuerpolitik, die Frankreichs Großverdiener entlastet.

Litauen, Estland, Lettland Auch in den baltischen Staaten gab es im Januar erste gewaltsame Proteste gegen die Krise - und gegen die politische Elite. In Litauen versuchte eine Gruppe das Parlament zu stürmen. In Litauen bewarfen Demonstranten die Volksvertreter mit Steinen und Flaschen, demolierten Autos und Geschäfte. Nirgendwo sonst kam der Kollaps so schnell wie im Baltikum. 2007 konnte die Region noch mit den höchsten Wachstumszahlen der EU prunken (z. B. Lettland zwölf Prozent). Das Wachstum basierte jedoch hauptsächlich auf kreditfinanziertem Konsum. Inzwischen kann Lettland nur noch am Tropf des Internationalen Währungsfonds überleben - Litauen ist der nächste Kandidat. Estlands Bruttosozialprodukt sackte bereits um mehr als neun Prozent ab. Die Regierungen senkten die Leistungen der Sozialversicherung und die Löhne im öffentlichen Sektor - sie haben kaum noch Spielraum.

Island Die Insel mit 320 000 Einwohnern galt als Vorzeigestaat: 2007 war das Bruttoinlandsprodukt von 40 000 Euro pro Kopf das höchste der Welt, das Wirtschaftswachstum betrug 2,6 Prozent und die Arbeitslosenrate nur 2,9 Prozent. Aber die extrem aggressive internationale Expansion der drei größten isländischen Banken, deren Verschuldung zuletzt neunmal höher als das Bruttoinlandsprodukt war, trieb das Land an den Rand des Staatsbankrotts. Der Staat musste die drei zahlungsunfähigen Großbanken übernehmen, viele der hoch verschuldeten Privathaushalte verloren ihre Einlagen. Drei Monate lang demonstrierten jeden Nachmittag Tausende Isländer mit Eiern, Töpfen und lauten Instrumenten in Reykjavik, bis die Regierung aus Konservativen und Sozialdemokraten schließlich zurücktrat - sie war das erste politische Opfer der Finanzkrise.

Großbritannien Jahrelang war der Londoner Finanzdistrikt die Zugmaschine der britischen Wirtschaft. 2006 beschäftigte der Finanzsektor 6,5 Millionen Briten. Inzwischen sind Krise und Entlassungswellen von der Finanzbranche auf den Einzelhandel übergeschwappt, der Immobilienmarkt liegt am Boden. Die Milliarden-Hilfspakete der Labour-Regierung zielen aber vor allem auf Banken. Kein Wunder, dass sich die Wut der Briten vor allem auf Banker, ihre Pensionen und Boni richtet. Dem Ex-Chef der Royal Bank of Scotland, der eine Pension von 755 000 Euro jährlich bekommt, wurden Autoscheiben und Fenster seines Hauses eingeworfen.

Griechenland Auf der Kippe steht auch Griechenlands Regierung: Die Wut über den Tod eines Jugendlichen mischte sich im Dezember mit dem Protest über ein Sparpaket der konservativen Regierung. Im Januar blockierten griechische Bauern fast eine ganze Woche lang eine Autobahn, um gegen die stark fallenden Agrarpreise und für Steuersenkungen zu protestieren. Krise und Proteste könnten zu Neuwahlen führen.