Während die Kämpfe im Gazastreifen unvermindert anhalten, starteten westliche Politiker gestern Vermittlungsversuche in der Region. Das Abendblatt...

Hamburg. Während die Kämpfe im Gazastreifen unvermindert anhalten, starteten westliche Politiker gestern Vermittlungsversuche in der Region. Das Abendblatt sprach mit dem Nahost-Experten und Publizisten Michael Lüders über den Konflikt.


Hamburger Abendblatt:

Wie bewerten Sie die israelische Bodenoffensive im Gazastreifen?

Michael Lüders:

Kurzfristig mag die Bodenoffensive dazu beitragen, dass der Raketenbeschuss der Hamas Richtung Israel aussetzt. Aber der Raketenbeschuss wird wieder beginnen, ebenso muss man mit Selbstmordattentaten in Israel rechnen. Das Vorgehen der Hamas ist zu verurteilen, aber die Organisation hat vor drei Jahren die Wahlen im Gazastreifen gewonnen. Die Hamas ist eine Massenbewegung, aber nicht, weil die Menschen fanatisch sind, sondern weil die Lebensbedingungen im Gazastreifen sehr, sehr schwierig sind. 60 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 18 Jahre, und die Hälfte der Bevölkerung lebt von weniger als einem Euro pro Tag. Radikale Bewegungen werden deshalb angesichts der Perspektivlosigkeit immer Zulauf haben.



Abendblatt:

Wer ist langfristig Gewinner und Verlierer in diesem Konflikt?

Lüders:

Menschlich ist dieser Konflikt für beide Seiten eine große Tragödie. Israel ist militärisch weitaus überlegen und in der westlichen Politik so gut vernetzt, dass es seinem Standpunkt jederzeit Gehör verschaffen kann. Aber Frieden ist so nicht zu erreichen, dafür muss man einen Kompromiss schließen. Beide Seiten wissen, worin er besteht, nämlich in der Gründung eines Palästinenserstaates im Gazastreifen und im Westjordanland mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Aber davon ist man derzeit sehr weit entfernt. Es rächt sich jetzt, dass weder der Westen noch Israel mit der Hamas sprechen wollten.



Abendblatt:

Wie ist die Haltung der arabischen Staaten zur Hamas?

Lüders:

Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien mögen die Hamas nicht, weil sie nicht wollen, dass diese Art des islamischen Fundamentalismus in ihren eigenen Ländern Fuß fasst. Gleichzeitig wissen die Regierungen in den arabischen Ländern aber, dass ihre Bevölkerung ganz eindeutig auf der Seite der Menschen im Gazastreifen und somit aufseiten der Hamas steht. Das Dilemma der Bodenoffensive ist, dass gemäßigte Kräfte in der islamischen Welt einmal mehr geschwächt werden und islamische Fundamentalisten sich durch den Krieg in ihrer Haltung gegenüber Israel bestärkt sehen.



Abendblatt:

Welche Rolle spielt der Iran in diesem Konflikt?

Lüders:

Der Iran bedient die Emotionen der empörten Muslime und positioniert sich als deren Sprachrohr. Es gibt psychologische und ideologische Unterstützung, aber keine Waffenbrüderschaft zwischen Teheran und der Hamas.



Abendblatt:

Ist der Raketenbeschuss der einzige Grund für Israels Vorgehen?

Lüders:

Natürlich hat der Termin der Militäraktion etwas mit den Wahlen im nächsten Monat zu tun. Vor der Aktion führte Benjamin Netanjahu von der Likud-Partei in allen Umfragen, jetzt hat die Kadima-Partei von Außenministerin Zipi Livni in allen Prognosen gleichgezogen. Wichtig ist auch der 20. Januar, wenn der neue US-Präsident Barack Obama ins Amt eingeführt wird. Bis dahin will Israel Fakten geschaffen haben. Ich gehe davon aus, dass diese Offensive noch sieben bis zehn Tage dauert.



Michael Lüders (49) ist promovierter Islamwissenschaftler. Zuletzt erschien sein Buch "Allahs langer Schatten".