Die radikalen IRA-Splittergruppen RIRA und CIRA wollen das Friedensabkommen von 1998 torpedieren.

Hamburg/Belfast/London. "Beendet diesen Wahnsinn!", forderte der "Belfast Telegraph" auf seiner Titelseite und stellte die Fotos der drei Opfer der jüngsten Terroranschläge in Nordirland gleich daneben.

Tausende Nordiren beteiligen sich täglich an Mahnwachen und Schweigemärschen - das Land lebt in Angst vor einem Wiederaufflammen der "troubles", jener bürgerkriegsartigen Unruhen, die die nordirische Politik zwischen 1969 und 1998 beherrschte und fast 4000 Todesopfer forderte. Der Tod eines Polizisten und zweier britischer Soldaten innerhalb von 48 Stunden scheint die einstige britische Krisenprovinz aber eher in Wut und Schmerz geeint als erneut gespalten zu haben.

Der nordirische Regierungschef Peter Robinson sagte, er sei "angeekelt" von den Terrorakten; sein Stellvertreter Martin McGuiness nannte die Täter "Verräter an der irischen Sache". Das ist nicht selbstverständlich: Robinson gehört der pro-britischen Democratic Unionist Party an, McGuiness, ein ehemaliger IRA-Kommandeur, der irisch-nationalistischen Sinn Fein. Die Sinn Fein ("unsere Sache") war ursprünglich nur der politische Arm der militanten IRA. Der britische Premierminister Gordon Brown erklärte vor dem Unterhaus in London: "Wir sehen heute in Nordirland unter den politischen Parteien eine Einigkeit in einem Ausmaß, das viele Menschen zu ihren Lebzeiten niemals für möglich gehalten hätten."

Die überwältigende Mehrheit der Menschen in Nordirland hat die Gewalt gründlich satt - davon kann man getrost ausgehen.

Zwar ist Nordirland kulturell, politisch und religiös nachhaltig geteilt - in Katholiken und Protestanten, in pro-britische Royalisten und irische Republikaner - doch die Zahl der eigentlichen Kämpfer in den paramilitärischen Organisationen beider Seiten war niemals sehr groß und ist es heute schon gar nicht.

Grundlage des gegenwärtigen Friedens in Nordirland ist das Karfreitagsabkommen von 1998. Vorausgegangen war 1997 ein Gewaltverzicht und eine Waffenruhe seitens der IRA, der Irisch-Republikanischen Armee, sowie der protestantischen Paramilitärs von Ulster Volunteer Force (UVF und Ulster Defence Association (UDA). Seitdem regieren Protestanten und Katholiken das Land mehr oder minder einträchtig gemeinsam.

Großbritannien, das während der "troubles" insgesamt 300 000 Soldaten in Nordirland im Einsatz hatte, beendete den militärischen Einsatz offiziell am 31. Juli 2007 und zog den größten Teil der Truppen ab.

Nun wurde in Craigavon bei Belfast der Polizist Stephen Carroll erschossen; eine Kugel traf ihn in den Hinterkopf, als er in seinem Streifenwagen saß.

Und vor einer Kaserne bei Antrim starben zwei britische Soldaten im Kugelhagel einer Salve aus einem vorbeifahrenden Auto. Zwei weitere Soldaten und zwei Zivilisten wurden verletzt. Es war das erste Attentat auf britische Soldaten seit zwölf Jahren.

Wer sind die Täter?

Im Visier der Fahnder in Nordirland und Großbritannien stehen vor allem zwei Gruppen: die Real IRA (RIRA) und die Continuity IRA (CIRA). Beide Gruppen sind Abspaltungen radikaler Elemente - der sogenannten Provisional IRA - die sich 1969 von der alten IRA teilweise löste.

Die RIRA entstand bereits 1997 aus der Provisional IRA und wird für mehrere blutige Anschläge verantwortlich gemacht, darunter das Bombenattentat in Omagh mit 29 Toten am 15. August 1998. Die Continuity IRA wurde 1986 gegründet. Beide gelten in Nordirland und Großbritannien als illegal - die bloße Mitgliedschaft kann bis zu zehn Jahre Haft einbringen; auch die EU und die USA führen sie als Terrororganisationen.

Die Terrorakte von Craigavon und Antrim waren offenbar abgestimmt - damit ist davon auszugehen, dass beide Gruppen eine gemeinsame Terrorstrategie verfolgen. Britische Experten registrierten zudem beunruhigt, dass die Morde an den beiden Soldaten mit hochmodernen Waffen ausgeführt wurden. Dies deutet darauf hin, dass sich die Gruppen nicht einfach nur aus alten Waffenverstecken der PIRA bedient haben, sondern über neue Quellen verfügen.

Die Mitgliederzahl beider Gruppen ist nach Ansicht britischer Experten sehr gering und liegt vermutlich eher im zweistelligen Bereich. Doch sie verfügen über automatische Waffen und Sprengstoff aus Quellen auf dem Balkan, im Nahen Osten, sogar in den USA, wo es noch manche Unterstützer für radikale nordirische Katholiken gibt. In dem Arsenal der Terrorgruppen könnten sich der Plastiksprengstoff Semtex, Granatwerfer, Panzerfäuste und Maschinengewehre befinden. Ferner hat die RIRA mehrfach versucht, Lenkflugkörper, Flugabwehrraketen, Scharfschützengewehre, schallgedämpfte Pistolen und tonnenweise C-4-Militärsprengstoff zu erwerben.

"Stopp die Verbrecher, die diese beiden Männer so feige niedergestreckt haben! Schließt sie aus der Gesellschaft aus!" rief der Methodistenpfarrer Jack Moore gestern in Antrim erregt aus. Die von der RIRA erschossenen 21 und 23 Jahre alten britischen Soldaten, zwei Pioniere, wurden dort beigesetzt. Mit Blumen und Fotos bezeugten viele Nordiren ihre Anteilnahme und Sympathie. Und auch, dass sie keine Rückkehr der blutigen "troubles" wünschen.