Soldaten haben bei den wichtigsten Klöstern des Hochlandes Stellung bezogen. China will Proteste wie 2008 mit aller Macht im Keim ersticken.
Hamburg. Das "Dach der Welt" ist abgeriegelt. Die chinesischen Sicherheitskräfte sind in erhöhter Alarmbereitschaft, Scharfschützen und Soldaten haben rund um die wichtigsten Klöster in Tibet Stellung bezogen. Ausländer dürfen nicht mehr nach Tibet einreisen. Internet- und Mobilfunkverbindungen sind weitgehend ausgeschaltet. Mit Hausdurchsuchungen und Festnahmen wollen Chinas kommunistische Führer jeden Aufruhr im Keim ersticken. Zum 50. Jahrestag des Aufstands der Tibeter gegen die Volksrepublik China herrscht in dem formell autonomen Hochland der Ausnahmezustand.
Die tibetische Exilregierung spricht von einer Art "Kriegsrecht", das China über Tibet verhängt habe. Der Dalai Lama, geistiges Oberhaupt der Tibeter, appellierte an die fünf Millionen Tibeter, sich "in Geduld zu üben und nicht provozieren zu lassen, um nicht kostbares Leben zu verschwenden und Folter und Leid zu erdulden". Die Lage sei sehr angespannt, sagte der Dalai Lama der "Frankfurter Rundschau" und warnte vor gewalttätigen Auseinandersetzungen. "Ich bin in großer Sorge."
Kurzer Rückblick auf die Geschichte Tibets: 1240 eroberte der Mongolen-Khan Güyük das unabhängige Reich Tibet, 1720 erklärte China Tibet zum Protektorat. 1750 rebellierten die Tibeter, Chinas Armee erstickte den Aufstand blutig. 1913 erklärte sich Tibet für unabhängig und wurde 1950 von Maos Armee brutal annektiert. 1959 rebellierten die Tibeter, China griff wieder ein, der Dalai Lama und Tausende seiner Anhänger flohen nach Indien - fast 100 000 Menschen starben. Anschließend kam es zu einer mörderischen "linken Kulturrevolution": Chinas rote Garden zerstörten 80 Prozent der buddhistischen Tempel und töteten 1,2 Millionen Tibeter.
Auch fünf Jahrzehnte später haben sich die tief religiösen Tibeter nicht mit der kommunistischen Herrschaft abgefunden. Sie fühlen sich als Bürger zweiter Klasse im eigenen Land. Da hilft es wenig, dass Peking Fehler der Kulturrevolution längst eingestanden hat. In der vergangenen Woche kündigte Peking zudem an, in Tibet ein Infrastrukturprogramm im Wert von umgerechnet fünf Milliarden Euro aufzulegen. Mit politischen Versprechungen, "patriotischen Erziehungskampagnen" und militärischer Macht will Peking verhindern, dass sich die Ereignisse des vergangenen Jahres wiederholen. Damals erinnerten buddhistische Mönche in Drepung zunächst mit einem friedlichen Protestmarsch an den Aufstand der Tibeter - doch China schlug barbarisch zu. Mit gezielten Todesschüssen, mit landesweiten Massenhinrichtungen. Tagelang glichen die Hauptstadt Lhasa und weitere Orte Tibets einem Bürgerkriegsgebiet. Die Weltöffentlichkeit reagierte mit heftiger Empörung. Zwischenfälle mit Demonstranten verwandelten den olympischen Fackellauf rund um die Welt in ein Spießroutenlaufen. Alle Versuche des kommunistischen Regimes, sich einen modernen weltoffenen Anstrich zu geben, waren auf einen Schlag als Fassade enttarnt.
Heute sind nach US-Angaben noch immer mehr als 600 Menschen wegen der Unruhen von 2008 in Haft, wahrscheinlich sind es weit mehr. Nach tibetischen Angaben wurden 220 Menschen getötet.
China spricht dagegen lediglich von 22 Toten in Lhasa, bei denen es sich überwiegend um chinesische Zivilisten handeln soll. Und der vor einem Jahr unter internationalem Druck versprochene Dialog mit dem Dalai Lama, in Tibet als "Ozean der Weisheit" verehrt, in China als "Wolf in Mönchskutte" geschmäht, endete nach drei Gesprächsrunden in gegenseitigen Beschuldigungen und ohne Ergebnis.