Brüssel will der Finanzkrise die Stirn bieten. Exzessive Bonuszahlungen für Manager angeschlagener Banken hält der Chef der EU-Zentrale für ethisch nicht vertretbar.
Berlin. Hamburger Abendblatt:
Herr Präsident, Bundeskanzlerin Merkel hat die Deutschen auf ein Jahr der schlechten Nachrichten vorbereitet. Wie wird Europa, wie wird Deutschland am Ende dieses Jahres dastehen?
Jose Manuel Barroso:
Es wird in der Tat ein sehr schwieriges Jahr. Darauf sollten sich die Menschen einstellen. Die Krise hat in Amerika begonnen und breitet sich nun über den Globus aus. Nicht nur in Deutschland und Europa, auch in Japan und den Schwellenländern wird die Situation immer schwieriger. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir die Probleme in den Griff bekommen. Wir können sogar gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Eines ist für mich klar: Mit Pessimismus werden wir die Probleme nicht lösen.
Abendblatt:
Um der Rezession entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung ein zweites Konjunkturpaket auf den Weg gebracht. Sind Sie von den Maßnahmen überzeugt?
Barroso:
Das bin ich. Deutschland hat einen sehr wertvollen Beitrag zur Bekämpfung der Krise geleistet. Gleichzeitig möchte ich betonen: Es ist wichtig, einen Weg aus der Krise zu finden. Aber es ist ebenso wichtig, einen Weg aus der Verschuldung zu finden.
Abendblatt:
Das bedeutet?
Barroso:
Wir dürfen keine kurzfristigen Maßnahmen ergreifen, die unvereinbar sind mit nachhaltigem Wirtschaften. Wir müssen an die nächste Generation denken. Es ist wichtig zu verstehen, dass wir in einer außergewöhnlichen Situation außergewöhnliche Maßnahmen zur Stimulierung der Konjunktur treffen müssen. Aber wir müssen gleichzeitig die mittel- und langfristige Haushaltskonsolidierung anstreben, so wie es der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt vorsieht. Dieses Gleichgewicht müssen wir wahren. Ich denke, der Bundesregierung ist dies bisher gelungen.
Abendblatt:
Fürchten Sie um die Stabilität des Euro?
Barroso:
Wir müssen uns bewusst sein, dass es einige Spannungen innerhalb der Euro-Zone gibt. Aber außerhalb der Euro-Zone ist die Situation viel schlechter. Daher stimme ich jenen ausdrücklich nicht zu, die ein spezielles Problem innerhalb der Euro-Zone sehen. Der Euro ist ein großartiger Schutzschild. Wenn es 27 Währungen gäbe in der EU, hätten gerade exportorientierte Staaten wie Deutschland in sehr viel größerem Ausmaß unter der Krise zu leiden.
Abendblatt:
Finanzminister Steinbrück sieht auch Staaten innerhalb der Euro-Zone in Zahlungsschwierigkeiten - und Deutschland in der Rolle des Retters ...
Barroso:
Noch einmal: Innerhalb der Euro-Zone hat es bisher keine Probleme gegeben. Schwierigkeiten gab es in Ungarn und Litauen, und wir haben diese Länder mit Finanzhilfen unterstützt. Was die zukünftige Situation in der Euro-Zone angeht, ist es alles andere als hilfreich, hier zu spekulieren. Klar ist jedenfalls: Wenn alle den Stabilitäts- und Wachstumspakt in vollem Umfang einhalten, wird es keine Probleme geben. Für die Glaubwürdigkeit unserer gemeinsamen Währung ist es wichtig, dass dies auch geschieht.
Abendblatt:
Die Bundesregierung prüft, um Arbeitsplätze zu retten, einen Einstieg des Staates beim angeschlagenen Autobauer Opel. Sind Staatsbeteiligungen an Schlüsselindustrien der richtige Weg?
Barroso:
Ich habe von solchen Überlegungen gehört. Aber im Fall Opel stehen noch keine Entscheidungen bevor, daher ist es zu früh für eine Bewertung. Grundsätzlich kann man sagen: Die EU-Kommission versteht, dass die Mitgliedstaaten zu außergewöhnlichen Maßnahmen greifen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Aber wir rufen dazu auf, dabei die Regeln des Binnenmarkts einzuhalten. Das halten wir für sehr wichtig. Wenn Maßnahmen getroffen werden, ohne die Auswirkungen auf die Nachbarstaaten zu berücksichtigen, wird sich die Krise weiter verschärfen und es werden noch mehr Jobs verloren gehen.
Abendblatt:
Die Große Koalition hat sich auch auf ein Gesetz zur Enteignung von Banken verständigt. Kehrt 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer der Sozialismus zurück?
Barroso:
(lacht) Das hoffe ich nicht. Zumindest hoffe ich, dass die diktatorische Form des Sozialismus niemals wiederkehrt. Aber wir leben in einer besonderen Situation, in der die Verstaatlichung von Finanzinstituten als letzte Möglichkeit zur Wiederherstellung von Stabilität und Vertrauen notwendig werden kann. In manchen Staaten geschieht das ja bereits. EU-Recht ist jedoch hinsichtlich der Eigentumsfrage neutral.
Abendblatt:
Ist der Staat der bessere Banker?
Barroso:
Das habe ich nicht gesagt. Ich glaube auch nicht, dass der Staat der bessere Banker ist. Aber manchmal können Eingriffe in den Bankensektor notwendig sein - siehe Großbritannien. Wichtig ist, dass der Eingriff auf eine bestimmte Zeit begrenzt bleibt.
Abendblatt:
Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust hat in einer aufsehenerregenden Regierungserklärung den reinen Kapitalismus für gescheitert erklärt. Teilen Sie diese Bewertung?
Barroso:
Das kommt darauf an. Kapitalismus ist ein schillernder Begriff mit einem starken ideologischen Bezug. Im Hinblick auf Europa spreche ich lieber von sozialer Marktwirtschaft. Und dazu gibt es keine bessere Alternative. Die deutsche Ausprägung der sozialen Marktwirtschaft gefällt mir besonders. Dass sie gescheitert sei, kann man nun wirklich nicht sagen. Was wir brauchen, sind offene, wettbewerbsfähige und soziale Marktwirtschaften mit einem vernünftigen Grad der Regulierung. Genauso wie offene Gesellschaften Rechtsstaatlichkeit brauchen, brauchen offene Wirtschaftsordnungen Regeln und Prinzipien.
Abendblatt:
Der Blick richtet sich auf den Weltfinanzgipfel der G20 Anfang April in London. An diesem Wochenende nehmen Sie auf Einladung von Angela Merkel an einem Vorbereitungstreffen im Bundeskanzleramt teil. Auf welche neuen Regeln sollte sich die internationale Gemeinschaft verständigen?
Barroso:
Wir brauchen eine bessere globale Finanzmarktaufsicht. Und wir müssen entschlossener gegen Protektionismus vorgehen. Die G20 sind ein wichtiges Forum, das in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird, weil es Industriestaaten und Schwellenländer umfasst. Aber wir wollen auch auf europäischer Ebene handeln. Nach einer Reihe von Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung und zum Konjunkturanschub wird die EU-Kommission im Frühjahr weitere konkrete Vorschläge unterbreiten, insbesondere zu Managervergütungen.
Abendblatt:
Welche?
Barroso:
Es ist wirklich ein Skandal, was manchmal vor sich geht. Wir erleben eine Privatisierung der Gewinne und eine Sozialisierung der Verluste. Das ist ethisch nicht vertretbar. Exzessive Bonuszahlungen verleiten Finanzmanager dazu, unvertretbare Risiken einzugehen. Die Folgen sehen wir jetzt in der Finanzkrise. Hier müssen wir handeln, und wir sollten keine Zeit verlieren. Die Europäer haben die Möglichkeit, Maßstäbe zu setzen für den Rest der Welt.
Abendblatt:
Konkret?
Barroso:
Die Vorschläge sind noch in Vorbereitung, daher nur so viel: Wir wollen Bonuszahlungen nicht grundsätzlich verbieten. Aber wir wollen ein System schaffen, das die Gier nach schnellen Gewinnen zügelt und in dem Scheitern nicht belohnt wird. Das Konzept werden wir im April oder Mai vorstellen. Beim Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU am 1. März legen wir einen ersten Fahrplan vor.
Abendblatt:
In den Industriestaaten wächst die Versuchung, massive Schutzwälle um die eigene Wirtschaft zu errichten. Die französische Regierung beispielsweise bereitet ein milliardenschweres Hilfspaket für die Automobilbranche vor. Geld soll aber nur fließen, wenn sich die Konzerne verpflichten, ausschließlich bei französischen Zulieferern einzukaufen ...
Barroso:
Wir prüfen gerade, ob Binnenmarktregeln verletzt werden. Wir verstehen, dass die Regierungen der europäischen Staaten bemüht sind, Arbeitsplätze zu schützen. Und gerade die Automobilindustrie hat sich in dieser Krise als besonders verwundbar erwiesen. Aber wir werden nicht zulassen, dass die Entscheidungen eines Staates zu Arbeitsplatzverlusten in anderen Staaten führen. Die Autoindustrie ist eine vernetzte Industrie, eine europäische Industrie. Protektionismus funktioniert nicht. Das werden wir auch den Amerikanern sagen.
Abendblatt:
Aus welchem Anlass?
Barroso:
Die Vereinigten Staaten haben massive Unterstützung für die heimische Automobilindustrie angekündigt. Das macht uns sehr besorgt. Wir untersuchen gerade, ob diese Subventionen mit den Regeln der Welthandelsorganisation vereinbar sind. Wenn dies nicht der Fall ist, müssen wir handeln.
Abendblatt:
Welche Botschaft haben Sie für die Menschen, deren Arbeitsplätze aufgrund der Wirtschaftskrise bedroht sind?
Barroso:
Wir sind sehr besorgt über die soziale Situation, vor allem über die wachsende Arbeitslosigkeit. Ich bin sehr froh, dass die tschechische Ratspräsidentschaft für Mai einen Job-Gipfel einberufen hat. Wir müssen uns auf Maßnahmen verständigen, um die negativen sozialen Auswirkungen der Krise einzudämmen und den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu begrenzen. Gesunde Firmen, die allein wegen der Wirtschaftskrise in Turbulenzen geraten, sollten Geld vom Staat bekommen, damit sie auf Jobabbau verzichten. Das Geld könnte in die Weiterbildung jener Mitarbeiter fließen, für die es gegenwärtig weniger oder keine Arbeit gibt.
Abendblatt:
Kritiker werfen der EU vor, der kriselnden Wirtschaft mehr zu schaden als zu nutzen - etwa mit strengen Klimaschutzauflagen für Autos ...
Barroso:
Ich stimme nicht zu. Ich bin stolz, dass die Europäische Union weltweit Vorreiter beim Klimaschutz ist, und ich bin davon überzeugt, dass andere Staaten mitziehen. Vor Kurzem habe ich mit Präsident Obama telefoniert. Er sagte, ganz oben auf der Agenda der Zusammenarbeit zwischen Amerika und Europa stünden für ihn der Klimawandel und die Energiesicherheit. Wir haben eine Verantwortung gegenüber künftigen Generationen, was die Lebensqualität auf diesem Planeten angeht. Aber Klimaschutz ist auch wirtschaftlich interessant.
Abendblatt:
Woran denken Sie?
Barroso:
Die Entwicklung intelligenter Umwelttechnologie schafft neue Arbeitsplätze. Deutschland ist auf diesem Gebiet doch Weltmarktführer. Ich sehe keinen Widerspruch zwischen der Bekämpfung des Wirtschaftskrise und der Bekämpfung des Klimawandels.
Abendblatt:
Was bedeutet das - sagen wir - für die Zukunft der Kernenergie?
Barroso:
Es ist die Entscheidung der Mitgliedstaaten, ob sie auf Atomenergie setzen oder nicht. Die Europäische Kommission mischt sich da nicht ein. Wir stellen allerdings fest, dass das Interesse an nuklearer Energie zunimmt - in Europa und auf der ganzen Welt.
Abendblatt:
Deutschland hält am Atomausstieg fest.
Barroso:
Der globale Trend ist, neue Kernkraftwerke zu bauen. Allen EU-Staaten, die auf Kernkraft setzen, bietet die EU-Kommission auf den Feldern der Forschung und der Sicherheit ihre Unterstützung an.
Abendblatt:
Herr Präsident, im Juni wird ein neues Europäisches Parlament gewählt, im November tritt eine neue Europäische Kommission zusammen. Wird es wieder eine Barroso-Kommission sein?
Barroso:
Das ist eine Entscheidung, die unmittelbar nach den Europawahlen getroffen werden muss. Ich kann sagen, dass ich es als große Ehre empfinde, in dieser Position zu sein. Ich bin ein sehr begeisterter Europäer, es macht mir Freude, was ich mache. Natürlich ist es ein harter Job. Aber ich bin sehr motiviert. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich genug Unterstützung aus dem Europäischen Parlament und von den Mitgliedstaaten bekomme, bin ich bereit, als Kommissionspräsident weiterzumachen.