Präsident Zardari warnt nach gescheiterter Offensive im Grenzgebiet: “Es geht um das Überleben des Landes.“
Hamburg/Peshawar. Sieben Jahre nach der Vertreibung der radikalislamischen Taliban von der Macht in Afghanistan durch US-Truppen triumphieren die religiösen Eiferer nun im Nachbarland Pakistan.
Die pakistanische Regierung schloss gestern ein Abkommen mit lokalen Taliban-Gruppen, das die Einführung des grausamen islamischen Rechtssystems der Scharia in einem großen Teil von Nordwest-Pakistan vorsieht. Es ist eine Niederlage der Regierung gegenüber den Radikalislamisten, die beunruhigende Perspektiven für die ganze labile Atommacht Pakistan eröffnet.
Staatspräsident Asif Ali Zardari, Armeechef General Ashfaq Parvez Kayani und andere offizielle Vertreter Pakistans hatten seit dem Wochenende mit militanten Taliban-Vertretern verhandelt. Doch bereits am Sonntag hatte sich abgezeichnet, dass die Regierung nachgeben würde. Eine nicht zuletzt auf amerikanischen Druck gestartete Offensive von 12 000 Regierungssoldaten im Swat-Tal war kläglich am erbitterten Widerstand von rund 3000 Taliban-Milizionären gescheitert. Großzügig verkündete Taliban-Sprecher Muslim Khan eine einseitige zehntägige Feuerpause, in der die Militanten die Regierungstruppen nicht attackieren würden.
Amir Haider Khan Hoti, der Ministerpräsident der Nordwest-Grenzprovinz, sagte, die pakistanischen Behörden würden die Scharia nun in der Region Malakand offiziell einführen, deren Herz das Swat-Tal ist. Dieses Tal mit dem einzigen Skigebiet Pakistans war bis zum Vordringen der Taliban unter ihrem örtlichen Führer Maulana Fazlullah ein Touristenmagnet vor allem für Stadtbewohner, doch nun sind Zehntausende Menschen von dort geflohen.
Ähnlich wie damals in Afghanistan, haben die Taliban in der Region eine besonders rigide Abart des wahabitischen Islam und der Scharia installiert. Fernsehen, Musik und Tanzen sind ebenso verboten wie das Abrasieren von Bärten. Nach westlichen Maßstäben sind Frauen nahezu rechtlos, dürfen keine Berufe ausüben oder zur Schule gehen, und sind - da Ärztinnen verboten sind und Ärzte Frauen nicht behandeln dürfen - praktisch von medizinischer Versorgung ausgeschlossen.
Die Taliban haben im Nordwesten Pakistans wiederholt Mädchenschulen niedergebrannt und Menschen enthauptet, die ihre Gesetze nicht befolgten. "Unser ganzer Kampf gilt der Durchsetzung der Scharia", erklärte Taliban-Sprecher Muslim Khan. Alle Gesetze, die gegen die Scharia verstießen, würden nun abgeschafft. Die Taliban wollten die Scharia aber nicht nur in Pakistan, sondern auf der ganzen Welt erzwingen.
Erst am Sonntag hatte Pakistans Präsident Asif Ali Zardari im US-Sender CBS vor einer Niederlage gegen die Taliban gewarnt. "Wir sind uns darüber im Klaren, dass die Taliban versuchen, in Pakistan die Macht zu übernehmen", sagte er. "Es geht um das Überleben Pakistans."
Seit Anfang 2006 befinden sich die Taliban auch in Afghanistan wieder in der Offensive.
Ihre Hochburgen und Rückzugsräume haben sie in der pakistanischen Provinz Waziristan, die unter ihrer Kontrolle ist. Dort werden auch die Aufenthaltsorte von Taliban-Chef Mullah Omar sowie der Al-Qaida-Führer Osama Bin Laden und Aiman al-Zawahiri vermutet.
Offiziell ist die Bergregion Waziristan etwas kleiner als Schleswig-Holstein, Teil der "Stammesgebiete unter Bundesverwaltung" (FATA). Doch die Bundesregierung in Islamabad hat hier wenig zu sagen.
Das Abkommen zugunsten der Taliban dürfte die Spannungen zwischen Pakistan und den USA weiter verschärfen. Washington hat Islamabad wiederholt zum verstärkten Kampf gegen die Radikalislamisten aufgefordert.
Bei einem US-Luftangriff auf die Taliban-Region Kurram kamen gestern 31 mutmaßliche Militante ums Leben.