Region verspricht sich Arbeitsplätze und Wohlstand. Auch das leistungsstärkste Atomkraftwerk der Welt ist dort im Bau.
Eurajoki. Es war ganz einfach, Ja zu sagen. Harri Hiitiö musste niemanden bestechen. Sagt er. Ein paar persönliche Gespräche und eine Bewerbung. Dann war die Sache ausgemacht, der Ort für das erste Atommüllendlager der Welt gefunden. Eine "pragmatische" Entscheidung. "Pragmatisch" ist das Lieblingswort des Bürgermeisters von Eurajoki: "Die Brennstäbe sind seit 30 Jahren da, warum sollten sie 500 Meter unter der Erde gefährlicher sein?"
Der Mann mit dem weizenblonden Haar sitzt in seinem klapprigen Ford Escort. Kurz vor dem Ortseingang wirbt ein Schild für "Finnlands elektrischste Gemeinde." Harri Hiitiö ist stolz auf seine Atomstromgemeinde an Finnlands Südwestküste. Man kennt ihn im Ort. Ein prunkvolles Herrenhaus, eine mittelalterliche Burg und die Blockhütten in Olkiluoto, einer Insel, zehn Kilometer vor Eurajoki am Bottnischen Meerbusen, machen das 6000-Seelen-Dorf zum Ferienziel. Unter "einzigartigen Sehenswürdigkeiten" wirbt aber auch ein Faltblatt für das Besucherzentrum in Olkiluoto. Hier steht die Attraktion - nur sehen kann man davon noch nicht viel. "Onkalo" heißt "kleine Höhle" und steht für das Lager. Niedlich klingt das und wie Olkiluoto, der Ort, an dem Brennstäbe nun für Jahrmillionen ruhen sollen. Hier stehen schon zwei Atommeiler, ein dritter - OL3 - wächst in die Höhe. . Nun also das Endlager. Ob Hiitiö dabei nicht unwohl sei? Er lächelt. "Was spricht denn gegen Arbeitsplätze und mehr Wohlstand?"
Offenbar nicht viel. "Ach was, wir sind an Atomkraft gewöhnt, sagt der Kassenwart in der Eishalle. Ähnliches sagen hier alle. Die Tatsache, dass in Deutschland die Endlager-Diskussion nicht vorankommt und Unfälle in Asse oder im schwedischen Forsmark Vertrauen kosten, bestärkt Hiitiö sogar noch in seinem Glauben an die Atomenergie: "Wir können das besser."
Es gibt einen Sportplatz in Eurajoki, eine Kneipe und die Kirche. Und seit die Firma Posiva am Endlager forscht und die Eishalle finanziert, scheint das Dorfglück vollkommen: "Das ist wie ein Sechser im Lotto", sagen die Leute im Dorf. Der Energiekonzern TVO und Bauherr von OL3 lockert Physikstunden in der Oberstufe auf und lockt die Schüler in den Sommerferien vom Erdbeerfeld auf die Baustelle. Die Kleinen besuchen in Ferienlagern das Endlager für niedrig und mittelaktiven Abfall, das bereits in Betrieb ist. Dort stecken sie am Kontaminationsmessgerät ihre Hände in den Apparat, und wenn das Wort "clean" aufleuchtet, hat die finnische Atomindustrie ein paar Freunde mehr.
Umfragen zufolge ist die Mehrheit der Finnen seit Mitte der 80er-Jahre gegen den Ausbau der Kernenergie. Doch als im Gemeinderat von Eurajoki im Jahr 2000 über das Endlager abgestimmt wurde, war der Ergebnis eindeutig - 20:7.
Jura Jaakkola war damals Gemeinderatsvorsitzender und einer der Wenigen, die damals dagegenstimmten. Heute ist er Bauer, auf seinen Feldern wachsen Hafer, Roggen, Weizen. Er hat fünf Kinder, und er hat Angst. Er zeigt auf all die Fotos im Wohnzimmer, in der Küche, im Flur: ausgelassene Jungs, ein Mädchen mit blondem Zopf, das verlegen in die Kamera grinst. "Was, wenn doch etwas passiert?" Jaakkolas Stimme klingt leise. Und was, wenn entgegen aller Versprechen doch irgendwann Atommüll aus dem Ausland nach Eurajoki kommt? Wenn die Leute sein Getreide nicht mehr kaufen?
Aber dann zuckt Jaakkola mit den breiten Schultern: "Es wäre doch nur Zeitverschwendung, sich zu wehren." Das klingt resigniert und ist eigentlich pragmatisch: Der Atommüll ist da. Und er muss entsorgt werden. Das sagt die Moral, das sagt ein Gesetz von 1994, und das sagen selbst die Grünen: "Den Müll, den wir produzieren, müssen wir auch entsorgen." Das Parlament votierte quer durch die Parteien mit 159:3 Stimmen für Onkalo, für das Endlager.
Es ist teuer, für die Ewigkeit zu bauen: Drei Milliarden Euro kostet das Projekt. Schweres Gerät bohrt sich für Onkalo ins Gestein, sprengt den Stollen Stück für Stück, Laster transportieren den Schutt an die Oberfläche, 330 Meter sind sie schon in die Tiefe vorgedrungen. In zehn Jahren könnten die ersten Brennstäbe in 420 Meter Tiefe eingelagert werden, die letzte Fuhre soll 2120 in den Tunnel einfahren. 50 Jahre Kernenergie in Loviisa und 60 Jahre in Olkiluoto ergeben unter dem Strich 5500 Urantonnen. Eine Betriebsgenehmigung gibt es noch nicht. Aber die Betreiber zweifeln nicht daran.
"Dabei waren die Geologen erst gegen ein Endlager in Olkiluoto", erinnert sich Jaakkola. Aber dann waren da die Reaktoren, Transportprobleme gibt es nicht. Die Strahlenschutzbehörde gab grünes Licht. Grünes Licht für Jahrtausende strahlendes Material an einem Ort, der vor 10 000 Jahren noch von einem Gletscher bedeckt war. "Das ist eine verdammt lange Zeit." Es klingt wie ein Fluch.
Für andere ist es ein Segen. "Wir sind einen hohen Lebensstandard gewöhnt. Den wollen wir nicht verlieren", sagt auch Jaakkola. Auf der Baustelle von OL3 arbeiten mehr als 4000 Menschen aus 60 Nationen. Jeder Ausländer, der länger als 18 Monate hier arbeitet, zahlt Steuern an die Gemeinde - das bringt Wohlstand für alle. Eurajoki lebt von Immobilien-, Einkommens- und Gewerbesteuern. Und da ist noch etwas.
Mit Zahnschmerzen muss Jaakkola nicht mehr ins 20 Kilometer entfernte Rauma fahren. Eurajoki hat jetzt ein eigenes Gesundheitszentrum, direkt beim Altenheim. Auch das ist neu. Das Endlagerungs-Unternehmen Posiva zahlte die Miete 40 Jahre im Voraus. Bestechung? "Bei uns? Niemals!" Das sieht ein ranghoher Kritiker, der nicht genannt werden will, anders: "Es wurden Unsummen Geld in Manipulation und Lobbyarbeit gesteckt", die Mär vom Eigenbedarf sei schnell entlarvt. Mit OL3 würde drei- bis viermal so viel Strom produziert wie benötigt. "Und wenn Parlamentspräsident Lipponen behauptet, man stärke mit mehr Atomkraft die Energievielfalt, ist das reiner Hohn."
Vom schilfbestandenen Ufer der Ostsee her ragen die Türme von OL1 Und OL2 in den Himmel. Das Meer ist an dieser Stelle nicht ganz zugefroren. "Es ist schon der dritte Winter nacheinander, der kein richtiger Winter ist." Jaakkola seufzt. Der Klimawandel ist spürbar und mit ihm die größere Akzeptanz für Atomkraft.
Man hätte neue Kohlekraftwerke bauen können. Stattdessen wächst nun OL3 in die Höhe, mit 1600 Megawatt das leistungsstärkste Atomkraftwerk der Welt und aufwendigste Industrieprojekt der finnischen Geschichte. Die Region produziert fast 20 Prozent des gesamten Stroms für Finnland. Mit OL3 werden es 35 Prozent sein.
Jaakkola ist stolz auf die kleine Veranda, die endlich winterfertig ist, Turnschuhe in verschiedenen Größen stehen da, und verschlammte Gummistiefel. Der Boden ist auch bei Minusgraden schön warm - dank Fußbodenheizung. "Wir Finnen sparen keinen Strom", sagt er und zuckt wieder mit den Schultern. Die Winter sind meist lang, kalt und dunkel, der Energiebedarf ist in 40 Jahren um das Vierfache gestiegen. Schuld sind Singlehaushalte, hohe technische Standards - und das Gewerbe. Die finnische Papier-, Metall- und Chemieindustrie verschlingt so viel Energie, dass der Stromverbrauch pro Kopf etwa doppelt so hoch ist wie in Deutschland. Die sechs Aktionäre des Energiekonzerns TVO sind Strom- und Holzkonzerne. Das stört Jaakkola nicht: "Solange sie mit ihren Arbeitsplätzen hierbleiben und die Beteiligungen transparent sind."
Windräder stehen bereits still. Eis legt die Flügel oft lahm, und den Sommer wollen die Finnen ohne Blick auf "hässliche" Windräder genießen. Mehr Wasserkraft ist kaum machbar, weil die drei großen Flüsse geschützt sind. Doch OL3 wurde mit Krediten finanziert, von denen Betreiber von Wind- und Wasserkraft träumen. Und während in Deutschland umweltfreundliches Heizen mit Holzpellets boomt, exportieren die Finnen die Presslinge aus dem reichlichen Abfallholz nach Schweden.
Jaakkola will kein Endlager, und er will keinen vierten Meiler. Aber er ist realistisch. "Die da oben haben einfaches Spiel, weil ja schon etwas da ist."
Einmal sang eine Frauengruppe vor den Pforten ein Protestständchen. Das war laut - gehört hat es keiner. Dann war Greenpeace da. Erst kletterten sie auf einen Kran der OL3-Baustelle. Dann mieteten die Umweltschützer eine Hütte im Wald, sie wollten einen Heißluftballon gegen das Endlager in den Himmel schicken. Doch daraus wurde nichts. "Das Wetter hat wohl nicht mitgemacht", sagt Harri Hiitiö. Und: "Nach drei Tagen waren sie wieder weg."
Es ist still in Eurajoki. Man schmeckt nichts, man riecht nichts und man hört auch nichts.