Richard Holbrooke ist eigentlich kein Mann, der sich leicht entmutigen lässt. Barack Obamas neuer Sonderbeauftragter für Afghanistan und Pakistan...
Hamburg/Kabul. Richard Holbrooke ist eigentlich kein Mann, der sich leicht entmutigen lässt. Barack Obamas neuer Sonderbeauftragter für Afghanistan und Pakistan zwang immerhin 1995 den serbischen Despoten Slobodan Milosevic zur Unterschrift unter den Vertrag von Dayton, indem er ihm ein paar US-Generäle vorstellte: "Das sind übrigens jene Offiziere, die das Bombardement auf Sie befehlen werden - falls Sie jetzt nicht unterschreiben."
Doch selbst der hartgesottene Diplomat deutscher Abstammung konnte vor wenigen Tagen auf der Münchner Sicherheitskonferenz über die Lage in Afghanistan nur stöhnen: "Der Schlamassel, den wir dort geerbt haben, ist der schlimmste, den ich je gesehen habe." Gestern Abend traf Holbrooke, aus Pakistan kommend, zu Gesprächen mit der afghanischen Führung am Hindukusch ein. Seine Ankunft wurde durch heftigen Schneefall in Kabul um Stunden verzögert. Heute hat Holbrooke erste Termine mit der politischen Führung, am Sonnabend soll er Staatspräsident Hamid Karsai treffen. Dessen Stern ist in Washington im freien Fall; Karsai agiert zunehmend hilflos.
Es wird kaum Zufall gewesen sein, dass die radikalislamischen Taliban im Vorfeld der mit Spannung erwarteten Visite gleich eine ganze Serie von Anschlägen auslösten. Hatten acht Selbstmordattentäter am Vortag bei präzise koordinierten Angriffen auf drei Regierungsgebäude in Kabul mindestens 26 Menschen getötet und 55 verwundet, so starben gestern bei zwei Anschlägen in den Provinzen Paktia und Nimros außer den Attentätern zwei weitere Menschen. Die Botschaft an Nato und afghanische Armee ist klar: Ihr könnt weder euch selber noch die Menschen schützen.
Obama will bis zu 30 000 weitere US-Soldaten an den Hindukusch schicken; 36 000 sind schon dort. Insgesamt summieren sich die Truppen aus 41 Staaten bereits jetzt auf rund 71 000 Mann. Doch die Menschen in Afghanistan verlieren das Vertrauen in die Fähigkeit des Westens, ihr Land zu befrieden. Nach einer Umfrage der BBC in 34 afghanischen Provinzen glauben nur noch 40 Prozent der Menschen dort, dass die Entwicklung in die richtige Richtung geht. 2005 waren es noch 77 Prozent.
Nato und Taliban steckten in einem Patt fest, räumte der britische Außenminister David Miliband jetzt ein. Die Taliban, offenbar massiv unterstützt aus Pakistan, befinden sich derzeit in der Offensive. Zugleich eskaliert die Gewalt in einer Weise, wie es früher nur aus dem Irak bekannt war. Nicht nur Afghanistan hat den Irak als Hauptschlachtfeld zwischen dem Westen und dem radikalen Islam abgelöst, auch der blutige Terror scheint dort jetzt einzuziehen. Die bestialische Enthauptung der polnischen Geisel Pjotr Stanczak, eines 42-jährigen Öl-Ingenieurs, mit einem Messer hat Polen schockiert; die Regierung in Warschau schwor, die dafür verantwortlichen Täter zu jagen. Auch mit dieser grausigen Tat ist eine Botschaft verbunden: Taliban und al-Qaida erklären damit, dass ihre westlichen Gegner für sie nichts weiter als Schlachtvieh sind, dem man nach islamischer Sitte kurzerhand den Hals abschneidet.
Doch vor allem die Anschläge in Kabul werfen die heikle Frage auf, ob die Nato im Herbst 2008 nicht viel zu früh die Sicherheitsverantwortung für die Hauptstadt Kabul an die Afghanen übertragen hat.
Polizei und Armee des Landes sind ungeachtet aller Bemühungen der Nato-geführten Truppe Isaf bestenfalls auf Amateurniveau und den hoch trainierten Taliban hoffnungslos unterlegen. Polizisten und Soldaten sind das bevorzugte Anschlagsziel der Taliban, und viele ziehen die Uniform aus, um nicht dem nächsten Anschlag zum Opfer zu fallen. Und damit geht das zynische Kalkül der Taliban auf.