Auch Benjamin Netanjahu sieht sich als Sieger. Aber offen ist, wer eine Koalition zustande bringen kann.

Tel Aviv. Wahlkrimi pur in Israel: Nach den ersten Prognosen sah es gestern Abend so aus, als ob Zipi Livni es ganz knapp geschafft hätte. Zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale um 21 Uhr lag ihre Kadima-Partei mit zwei Mandaten vor der Likud-Partei des Kontrahenten Benjamin Netanjahu. Aber auch der beanspruchte eine Stunde später das Amt des Regierungschefs für sich.

Für beide Parteien war es noch zu früh, die Champagnerkorken knallen zu lassen. Die Zeitung "Maariv", die am liebsten schon am Wahltag das Ergebnis publiziert hätte, lag mit ihrer Aufmachung gar nicht so verkehrt: Auf der oberen Hälfte der Titelseite prangte neben dem Bild einer lächelnden Zipi Livni die Überschrift: "Die neue Ministerpräsidentin". Darunter, verkehrt herum, lächelte Netanjahu den Leser an: "Der nächste Ministerpräsident".

Zwar ist Livni ihrem Traum ein paar Zentimeter näher gekommen, als zweite Frau nach Golda Meir Regierungschefin von Israel zu werden. Ihre Kadima-Partei, die gegen Ende des Wahlkampfs überraschend aufgeholt hatte, scheint stärkste Fraktion in der künftigen Knesset zu werden. Aber das allein ist im israelischen Wahlsystem nicht entscheidend. Alles kommt darauf an, wer eine Mehrheit in der Knesset um sich scharen und eine Regierung bilden kann.

Nach der Verkündung des offiziellen Wahlergebnisses hat Staatschef Schimon Peres sieben Tage Zeit, um zu entscheiden, wer am ehesten zur Bildung einer Regierung in der Lage ist. In der Regel ist es der Vorsitzende der Partei, die bei der Wahl die meisten Stimmen erzielt hat. Der Präsident kann allerdings auch jemand anderen mit der Regierungsbildung beauftragen, den er für geeigneter hält.

Und das könnte jetzt Benjamin Netanjahu sein, da seine Likud-Partei mit anderen rechtsgerichteten und religiösen Parteien den ersten Prognosen zufolge auf 63 der 120 Knessetsitze kommen wird.

Voraussichtlich kann die ultrarechte Partei Israel Beiteinu von Avigdor Lieberman mit nur 14 bis 15 Sitzen rechnen, die streng religiöse Schas-Partei mit neun bis zehn Sitzen. Als großer Wahlverlierer steht bereits die Arbeitspartei von Verteidigungsminister Ehud Barak fest, die nur noch 13 statt bislang 19 Sitze erhalten wird.

Bei der Stimmabgabe hatte jeder Kandidat sich noch siegesgewiss gegeben. Alle hatten sie am Feiertag Tu Bischwat vor laufenden Kameras irgendwo ein Bäumchen gepflanzt und ein Kleinkind geherzt. Nur dem Chef der Arbeitspartei, Ehud Barak, schien bei einem Besuch in seinem Heimatkibbuz Mischmar HaScharon allmählich zu dämmern, dass die meisten Israelis ihn einfach nicht wieder als Premier möchten. Nicht einmal sein im Krieg gewachsenes Renommee als Verteidigungsminister hat ihm diesmal geholfen.

Benjamin Netanjahu betete an der Klagemauer in Jerusalem, um traditionelle und religiöse Wähler zu gewinnen. Auch der Chef der Rechtspartei Israel Beiteinu, Avigdor Lieberman, begab sich zur heiligsten Stätte des Judentums. Mit seiner aggressiven Kampagne, die sich gegen die arabischen Staatsbürger richtet, wilderte Lieberman vor allem im Wählerpotenzial des Likud und der sephardisch-orthodoxen Schas-Partei. Umgekehrt hatte deren spiritueller Mentor, Rabbi Owadia Jossef, Lieberman im Wahlkampf immer harscher angegriffen, weil der sich für die Zivilehe starkmacht.

Falls nun Netanjahu die Regierung bilden soll, könnte ihn das zerrüttete Verhältnis von Schas und Israel Beiteinu in die Zwickmühle bringen. Egal, wer den Regierungsauftrag bekommt: Die Bildung einer Koalition wird kein leichtes Unterfangen. Vor der Wahl hatten sowohl Livni als auch Netanjahu angedeutet, sie wollten nicht mit dem Konkurrenten koalieren. Gestern Abend hieß es allerdings aus Kadima-Kreisen, Livni strebe nun doch eine Große Koalition an.

Die palästinensische Führung äußerte sich gestern Nacht enttäuscht über den Rechtsruck in Israel. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ließ erklären, dass er nicht mit einem israelischen Ministerpräsidenten verhandeln werde, der den Friedensprozess ablehne.