“Neue Kriegsführung“: Der US-Präsident entscheidet angeblich persönlich, welcher Terrorist von Kampfdrohnen getötet werden soll.
Hamburg. "Der Krieg in Afghanistan ist nicht Barack Obamas Krieg." So lautete im Dezember 2009 die trotzige Antwort von Thorbjörn Jagland auf die heftige Kritik an der Verleihung des Friedensnobelpreises an US-Präsident Barack Obama. Jagland, ehemaliger norwegischer Ministerpräsident, war damals und ist noch heute Vorsitzender des Komitees zur Vergabe dieses weltweit renommiertesten Friedenspreises.
Man konnte Obama damals sein Unbehagen ansehen, als er in seiner Dankesrede einräumte, seine Verdienste seien, gemessen an denen früherer Preisträger, doch sehr gering.
In der Tat ist Obama der erste Träger des Friedensnobelpreises, der die Auszeichnung auf Vorschuss bekam. Es ging um seine erklärte Absicht, die Kriege im Irak und Afghanistan zu beenden. Der "Spiegel" sprach damals vom "falschen Preis zur falschen Zeit".
Krieg sei manchmal notwendig, hatte Obama betont und hinzugefügt: "Ich bin der Oberbefehlshaber einer Armee, die zwei Kriege führt. Ich bin verantwortlich für die Entsendung von Tausenden in den Krieg. Einige werden töten. Einige werden getötet werden." Eine sehr ungewöhnliche Dankesrede eines Friedensnobelpreisträgers.
Wie sich herausstellte, sind weit mehr als nur einige getötet worden. Der US-Präsident hatte zunächst 30 000 zusätzliche Soldaten an den Hindukusch in Marsch gesetzt, um den Aufstand der militanten Islamisten niederzuschlagen. Die Strategie war nur teilweise erfolgreich, und die USA können es sich auch nicht länger leisten, permanent 160 000 Mann im Kampfeinsatz zu halten. Die Truppe wurde wieder reduziert und soll 2014 bis auf einen Restbestand an Beratern abgezogen werden.
Doch damit schlug die Stunde einer neuen Strategie, die die Verleihung des Friedensnobelpreises an Barack Obama endgültig ins Zwielicht rückt: des Drohnenkriegs. Von der Creech Airforce Base in Nevada aus, gut 50 Kilometer nordwestlich von Las Vegas, werden die tödlichen Kampfmaschinen gesteuert, die in Afghanistan, im pakistanischen Grenzterritorium oder im Jemen auf die Jagd nach Taliban- und Al-Qaida-Kämpfern gehen. Tausende Menschen sind den "Hellfire"-Raketen schon zum Opfer gefallen, die unter den Flügeln der Kampfdrohnen MQ-1 "Predator" (Raubtier) und der mehrfach größeren MQ-9 "Reaper" (Sensenmann) aufgehängt sind. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu einem Drittel der Getöteten Zivilisten waren. Der erbarmungslose Drohnenkrieg hat al-Qaida nahezu enthauptet und zutiefst verunsichert. Kaum ist ein neuer Feldkommandeur als Ersatz für einen getöteten bestimmt, fällt er oft selber dem fliegenden "Sensenmann" zum Opfer.
Die "New York Times" berichtete nun, dass Barack Obama höchstpersönlich die Entscheidung fälle, wer getötet werden soll. Die Zeitung berief sich dabei auf die Aussagen von drei Dutzend derzeitigen und ehemaligen engen Beratern. An jedem Dienstag, dem "Terror Tuesday", sichte Obama im "Situation Room" des Weißen Hauses zusammen mit mehr als 20 Experten Fotos und Lebensläufe potenzieller Opfer. Geschildert wird eine Szene vom 19. Januar 2010, als der Präsident unter 15 Al-Qaida-Verdächtigen ein 17-jähriges Mädchen entdeckte. "Wie alt sind diese Leute eigentlich?", fragte Obama. "Wenn sie jetzt anfangen, Kinder einzusetzen, dann kommen wir in eine ganz neue Phase." Offiziell sieht die Politik der US-Regierung vor, Terrorverdächtige festzunehmen und nur zu töten, wenn es nicht anders geht. Doch die Realität sieht anders aus. Kampfdrohnen machen keine Gefangenen, und auch im Fall der von Obama persönlich sanktionierten Tötung von Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden in Pakistan war eine Gefangennahme offenbar gar nicht erst erwogen worden.
+++ Präsident Obama sieht Ära der langen Kriege als beendet an +++
Staunend verfolgen nicht nur die US-Bürger die Wandlung vom professoralen Kriegsgegner und Friedensnobelpreisträger zum "Henker-Präsidenten", wie ihn das Magazin "Time" bereits etikettierte. Statt eines Oberkommandeurs (Commander-in-Chief) sitze nun so etwas wie ein Oberscharfrichter (Executioner-in-Chief) im Weißen Haus, lästerte ein "Time"-Kommentator. Die "New York Times" zitierte den US-Botschafter in Pakistan, Cameron Munter, der über Obamas Strategie knurrte, er habe gar nicht gewusst, dass sein Hauptjob darin bestehe, Leute zu töten. Munter hat vorzeitig gekündigt.
Barack Obama sei ein innerlich widersprüchlicher Führer, der vor dem politische Ringen um die Schließung des umstrittenen US-Gefängnisses Guantánamo auf Kuba zwar zurückschrecke, aber tödliche Operationen genehmige, "ohne die Hände zu ringen", schrieb das Blatt. Jener liberale Rechtsprofessor, der gegen den Irakkrieg und die Folter aufgestanden sei, behalte sich nun die moralische Kalkulation bezüglich Leben und Tod vor, falls ein Top-Terrorist von seiner ganzen Familie umgeben sei. Der US-Sender ABC kommentierte, Obama sei der Präsident, der einen Krieg beendet habe (Irak), einen anderen gerade beende (Afghanistan) und zugleich einen dritten - den Drohnenkrieg - eskaliere.
Zu Beginn seiner Amtszeit habe er das Prinzip "Tötet alle und sucht die Schuldigen später heraus" gehasst, erklärte ein enger Mitarbeiter des Präsidenten. Inzwischen gehe er pragmatisch mit dieser Art Kriegsführung um.
+++ Medien: Cyberattacken gegen Iran von Obama angeordnet +++
Wie US-Medien jetzt berichteten, sei es auch Obama gewesen, der den Einsatz des Computerwurms "Stuxnet" befohlen habe, der das Siemens-System Simatic S7 zur Steuerung der Zentrifugen in der iranischen Atomanlage Natans lahmlegte und 1000 Zentrifugen außer Betrieb setzte. Irans Atomprogramm wurde durch den von amerikanischen und israelischen Softwareexperten erstellten Wurm für 18 bis 24 Monate zurückgeworfen. Stuxnet sei Teil eines geheimen Cyberkriegsprogramms mit dem Namen "Olympische Spiele" gewesen, das von Obama persönlich betreut worden sei. Jeden Schritt habe er selber autorisiert. Barack Obama sei sich völlig darüber im Klaren gewesen, dass er mit dieser Operation eine völlig neue Art der Kriegsführung entfesseln könne.