Knapp sechs Wochen vor Beginn der Fußball-EM fordern deutsche Politiker immer lauter eine Verlegung der in der Ukraine geplanten Spiele.
Kiew/Berlin. Endspiel in Berlin statt in Kiew? Knapp sechs Wochen vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft fordern deutsche Politiker eine Verlegung der in der Ukraine geplanten Spiele. FDP-Generalsekretär Patrick Döring verlangte am Dienstag, schnell zu prüfen, ob alle EM-Spiele in Polen stattfinden könnten. Mehrere Bundestagsabgeordnete brachten Deutschland als Alternative für die Ukraine ins Gespräch. Die Polizeigewerkschaften hielten eine kurzfristige Verlegung der Fußball-EM-Spiele in der Ukraine nach Deutschland für möglich.
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Grund sind die Haftbedingungen für die erkrankte ehemalige ukrainische Regierungschefin Julia Timoschenko. Deutschland hat angeboten, sie in Berlin behandeln zu lassen. Döring sagte der „Bild am Sonntag“ (Ausgabe 1. Mai): „Sollte es Alternativen zu den Spielstätten in der Ukraine in Polen geben, muss man diese ernsthaft und schnell überprüfen.“
Bundesentwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) sagte der Düsseldorfer „Rheinischen Post“: „Es ist gut, der Ukraine aufzuzeigen, was schlimmstenfalls passieren kann.“ Das Land solle die Zeit und die Chance nutzen, zu den Standards von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit und damit auf den Weg nach Europa zurückzukehren.
DFB-Präsident Wolfgang Niersbach schloss eine kurzfristige Verlegung von Spielen der Fußball-EM aus der Ukraine nach Deutschland dagegen erneut kategorisch aus. „Mit dem Gedanken beschäftigen wir uns keine Sekunde“, sagte Niersbach der "Bild“-Zeitung. „Die Menschen in der Ukraine haben diese Europameisterschaft verdient“, fügte Niersbach hinzu.
Niersbach erteilte auch Überlegungen über einen Boykott der EM (8. Juni bis 1. Juli) eine klare Absage. „Es sind sich ja alle Entscheidungsträger einig darin, dass ein sportlicher Boykott der Europameisterschaft nichts bringen würde, mehr noch: der ukrainischen Bevölkerung sogar schadete“, sagte Niersbach der Wochenzeitung „Die Zeit“. Sollte sich die Lage in der Ukraine weiter zuspitzen, könne er sich jedoch vorstellen. „im Zusammenspiel mit der Uefa (...) entsprechende Zeichen“, zu setzen.
Unterdessen hat Niersbachs Vorgänger Theo Zwanziger angekündigt, während der EM nicht in die Ukraine reisen zu wollen. „Ich selbst habe entschieden, keine Spiele in der Ukraine zu besuchen, weil ich es nicht gut finde, was dort politisch passiert“, sagte Zwanziger der „Bild“. Der 66-Jährige ist Mitglied der Uefa-Exekutive.
Die menschenrechtspolitische Sprecherin der Unionsbundestagsfraktion, Erika Steinbach (CDU), sagte der „Bild am Sonntag“: „Eine Verlegung der Spiele von der Ukraine nach Polen, Österreich oder Deutschland wäre das richtige politische Signal an die undemokratische Regierung in Kiew.“
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Gabriele Fograscher sagte: „Wegen der Sicherheitslage und den Menschenrechtsverletzungen sollte die Uefa die EM-Spiele aus der Ukraine verlegen. Deutschland bietet sich wegen seiner Nachbarschaft zu Polen als Austragungsort an.“
Der Vorsitzende des Bundestagswirtschaftsausschusses, Ernst Hinsken (CSU), forderte die Uefa auf, zu prüfen, ob nicht Polen die EM allein ausrichten könne. „Sollte das nicht möglich sein, dann könnte in Deutschland geprüft werden, inwieweit eine Zusammenarbeit mit Polen möglich ist, um diese EM ohne die Ukraine zu realisieren“, sagte Hinsken.
Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, sagte der Zeitung: „Bereits vor mehr als einem Jahr haben sich Vertreter von Uefa, DFB und Bundesinnenministerium an einen Tisch gesetzt, um ein Krisen-Szenario zu entwickeln.“ Das sei bei Großveranstaltungen in politisch instabilen Ländern normal. „Danach ist Deutschland in der Lage, kurzfristig die ukrainischen EM-Spiele zu übernehmen. Die Zeit dafür würde auch jetzt noch ausreichen.“
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, hält die deutsche Polizei für ausreichend gerüstet, um ein sportliches Großereignis wie die EM kurzfristig abzusichern. „Wir würden das sofort schaffen“, sagte er dem Blatt.
Der schleswig-holsteinische FDP-Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki wollte nicht ganz so weit gehen. Er rief alle Fußballfans zum Boykott der Spiele in der Ukraine auf. „Schickt eure Karten zurück oder fahrt erst gar nicht zur EM in die Ukraine“, sagte er.
Grünen-Bundestagsfraktionschefin Renate Künast appellierte an die deutschen Fußballer, bei der EM ein Zeichen der Solidarität mit Timoschenko zu setzen. „Der orange Schal war ein Zeichen für die demokratischen Ziele der Revolution in der Ukraine. Ein solches Zeichen sollten Funktionäre und Sportler deutlich sichtbar tragen“, sagte sie.
Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler forderte die Bundesregierung auf, die Ukraine wegen schlechter Behandlung Timoschenkos zu verklagen. „Die Bundesregierung sollte Staatenbeschwerde beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof einlegen wegen Verstoß gegen Artikel sechs der Europäischen Menschenrechtskonvention“, sagte Gauweiler.
Mit Material von dapd und sid