Druck auf ukrainischen Präsidenten Janukowitsch wächst gewaltig. Die Bundesregierung verlangt angemessene Behandlung für erkrankte Timoschenko.
Berlin/Kiew. Die Fußball-Europameisterschaft droht für Gastgeber Ukraine wegen des Umgangs mit der inhaftierten Politikerin Julia Timoschenko zu einem diplomatischen Fiasko zu werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erwägt einen politischen Boykott. Sollte die in der Haft erkrankte Oppositionsführerin nicht freigelassen werden, will Merkel ihren Ministern laut "Spiegel“ empfehlen, den Spielen in der Ukraine fernzubleiben. Das Land trägt gemeinsam mit Polen die am 8. Juni beginnende Fußball-EM aus.
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) plädierte am Sonntag als erstes Kabinettsmitglied offen für einen Boykott. "Es muss unbedingt verhindert werden, dass das ukrainische Regime die EM zur Aufwertung ihrer Diktatur nutzt“, sagte er der "Bild“-Zeitung. "Deshalb finde ich, dass Besuche von Ministern und Ministerpräsidenten zur EM nach jetzigem Stand nicht in Frage kommen.“
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) zeigte sich schockiert über den Umgang mit Timoschenko, die seit längerem über starke Rückenschmerzen klagt. Ihr werde "entgegen aller rechtlichen und moralischen Pflichten in der Ukraine eine angemessene medizinische Behandlung verweigert“, sagte der FDP-Politiker der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
Die Widersacherin von Präsident Viktor Janukowitsch befindet sich nach eigenen Angaben seit dem 20. April im Hungerstreik. Sie wirft dem Staat Foltermethoden in Haft vor, weil sie nicht ordnungsgemäß behandelt werde. Der Machtapparat bezeichnete sie dagegen als Simulantin. Jüngste Fotos zeigen die 51-Jährige mit Prellungen, die ihr Wachbeamte zugefügt haben sollen.
Merkel hatte in einem Interview den Umgang mit der früheren ukrainischen Regierungschefin scharf kritisiert und deren Behandlung in einem Krankenhaus in Deutschland befürwortet. Dies stieß am Wochenende auf Empörung bei der Regierungspartei in Kiew.
Die Kanzlerin habe offenbar für einen Moment vergessen, dass sie die Bundesrepublik und nicht die Ukraine regiere, sagte Wassili Kisseljow von der Partei der Regionen. Merkels Äußerungen seien eine "ungenierte Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ der Ukraine, hieß es in einer am Sonntag veröffentlichten Erklärung Kisseljows.
Das Bundespresseamt wollte sich zu dem "Spiegel“-Bericht zu einer möglichen Boykott-Empfehlung Merkels nicht äußern. Regierungssprecher Steffen Seibert hatte am Freitag betont, Timoschenko müsse die nötige medizinische Behandlung erhalten. Deutschland bietet eine Behandlung durch Spezialisten der Berliner Charité an, die sie bereits in der Ukraine untersucht hatten. Die 51 Jahre alte Anführerin der Orangenen Revolution war im Vorjahr nach einem international umstrittenen Prozess wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Straflager verurteilt worden.
Timoschenkos Tochter Jewgenija forderte die Bundesregierung auf, das Leben ihrer Mutter zu retten. "Das Schicksal meiner Mutter und meines Landes sind jetzt eins. Wenn sie stirbt, stirbt auch die Demokratie“, sagte Jewgenija Timoschenko der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
Auch der russische Präsident Dmitri Medwedew nannte den Umgang des Nachbarlands mit Timoschenko "völlig inakzeptabel“. Der Staatschef bezeichnete die Situation im Nachbarland als "höchst befremdlich“. Der Kreml hatte bereits mehrfach massive Kritik am Prozess gegen Timoschenko geäußert. Sie war im Vorjahr wegen angeblich einseitiger Gasverträge zugunsten Russlands verurteilt worden.
Bayern-München-Präsident Uli Hoeneß ermutigte die deutschen Nationalspieler, ihre Solidarität mit ukrainischen Regierungskritikern zu bekunden. "Sie würden damit Größe zeigen“, sagte Hoeneß dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel“. "Ich hätte Respekt vor jedem Spieler, der öffentlich Stellung zu diesem Thema bezieht.“
In Kiew forderte der Oppositionspolitiker Vitali Klitschko eine schnelle Aufklärung der Bombenserie mit 30 Verletzten in der Stadt Dnjepropetrowsk. In der Heimatstadt Timoschenko, waren am Freitag vier Bomben explodiert. Die Hintergründe sind weiter unklar.
Der Inlandsgeheimdienst SBU veröffentlichte am Sonntag Phantombilder von drei mutmaßlichen Tätern. Den zwischen 30 und 45 Jahre alten Männern drohe eine Anklage wegen eines terroristischen Anschlags, sagte ein SBU-Sprecher nach Angaben örtlicher Medien in Kiew. (abendblatt.de/dpa)