Damaskus. Von den 2,5 Millionen Christen, die vor Kriegsbeginn 2011 im Land lebten, sind 600.000 geblieben. Sie hoffen auf das neue Syrien.
An Weihnachten wird Pater Malek allein an seinem Schreibtisch sitzen und eine Kerze anzünden. Es wird still und kalt sein im Kloster St. Thomas, einem großen Gebäudekomplex auf einem Hügel nördlich von Saidnaya. Über den Winter hält sich hier normalerweise kein Mensch auf, aber die Zeiten sind alles andere als normal. Pater Malek will sichergehen, dass niemand in seinem Kloster wütet. Für ihn und alle anderen Christen in Syrien hat mit dem Sturz Assads eine neue Zeit begonnen, und dieses Weihnachtsfest ist eines, bei dem sich die Erleichterung über das Ende der Diktatur mit bangen Erwartungen mischt. Er sagt: „Wir wissen nicht, was die Zukunft bringen wird“.
Im Kloster St. Thomas zeigt sich die lange Geschichte des Christentums in Syrien. Nahe dem modernen Gebäude, in dem im Sommer Hunderte Gäste übernachten und tagen, liegen antike Schätze. Eine kleine Kirche aus dem 4. Jahrhundert, die vor dieser Zeit ein römischer Tempel war. Höhlen, in denen einst Mönche ein asketisches Leben fristeten. „Wir waren lange vor dem Islam hier“, referiert Pater Malek. Er sitzt in seinem Büro, in dem Ikonen hängen, eingemummelt in eine dicke Jacke. Strom und Heizung sind ausgestellt, wenn er Licht braucht, nutzt der Geistliche Batterien.
Kommen nach Assad nun die Islamisten? Pater Malek schaut ängstlich in die Dunkelheit
Am frühen Morgen des 8. Dezember, als ihn die Nachricht von der Flucht des Langzeitdiktators Baschar al-Assad erreicht, steht Pater Malek ängstlich am Fenster seines Zimmers und starrt in die Dunkelheit, bis die Sonne aufgeht. Die neuen Herrscher des Landes sind Islamisten. Böse Erinnerungen werden wach. Vor elf Jahren war er Priester in Maarouneh, einem christlichen Dorf nicht weit entfernt von Saidnaya. Kämpfer der Dschaisch al-Islam versuchten, es zu stürmen, scheiterten aber am Widerstand der Bewohner. „Ihre schwarzen Fahnen wehten in direkter Nachbarschaft zum Dorf.“
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Jetzt haben die Islamisten der Haiat-Tahrir-as-Scham (HTS) und mit ihnen verbündete Milizen die Kontrolle in weiten Teilen Syriens. Aktuell geben sie sich staatsmännisch und tolerant. Ihre Kämpfer beteuern in Gesprächen, sie wollten für alle Syrer da sein. HTS-Führer Ahmad al-Schaara, früher bekannt unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Dschaulani, hat zugesichert, die Rechte der Minderheiten zu wahren und sie in politische Prozesse einzubinden. Die HTS hat Verbindungsoffiziere in die christlichen Städte und Dörfer geschickt, Männer aus den jeweiligen Regionen.
„Vor zwei Tagen war einer ihrer Kommandeure in Saidnaya und hat die Leute beruhigt. Er stammt ursprünglich aus einem benachbarten Ort“, erzählt Pater Malek. Die Islamisten schicken keine Fremden. Das soll Vertrauen aufbauen. Gleichzeitig gibt es vereinzelt Berichte über Übergriffe. In Hama soll eine Kirche attackiert worden sein, in Aleppo sollen Bewaffnete die Frauen dazu aufgerufen haben, Kopftücher zu tragen und in Gottesdiensten getrennt von den Männern zu sitzen.
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In Bab Tuma, dem uralten christlichen Viertel in Damaskus, umgeben von Mauern aus der Römerzeit, stehen schon seit Tagen Weihnachtsbäume, hängen Lichterketten, sind Krippen aufgebaut. Abends hasten Patrouillen von bewaffneten bärtigen Männern in grünen Uniformen durch die Straßen.
Der Barkeeper einer kleinen Kneipe hat vorsichtshalber die Flaschen mit dem Hochprozentigen aus dem Regal geholt und unter dem Tresen versteckt. „Am Flughafen haben sie alle Alkoholvorräte im Duty-free zerstört.“ Der Mann sagt, er wolle abwarten. Die Übergangsregierung besteht nur aus HTS-Funktionären aus Idlib. „Wenn sie das nicht wie versprochen im März ändern, werde ich das Land verlassen.“ Ob Europa nicht Sonderregeln für syrische Christen einführen könne?
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Die Zahl der Christen in Syrien schrumpft ohnehin dramatisch. Vor dem Beginn des Krieges in Syrien vor 14 Jahren sollen 2,5 Millionen in dem Land gelebt, jetzt seien es noch etwa 600.000, erzählt Pater Raafat Abou al-Naser, Vorsteher der melkitischen griechisch-katholischen Gemeinde „Unserer Frau von Damaskus“. Es ist in Syrien ähnlich wie im benachbarten Irak, wo das Christentum auf eine ebenso lange Geschichte zurückblicken kann, aber zunehmend verdrängt wird.
„Es ist eine herausfordernde, eine kritische Zeit des Übergangs“, sagt der junge Geistliche und dass es noch einen Mangel an Vertrauen in die neuen Machthaber gebe. Viele seiner Gemeindemitglieder hätten Angst. Er sagt auch: „Wir wollen nicht, dass Syrien ein islamisches Land wird. Die Scharia sollte nicht die Grundlage der Verfassung werden.“ Was den Christen derzeit bleibt, ist Gottvertrauen.
Am dritten Adventssonntag, eine Woche nach dem Sturz des Diktators, versucht Pater al-Naser den Gemeindemitgliedern in seiner kleinen, prächtig ausgeschmückten und weihrauchgeschwängerten Kirche Zuversicht zu spenden. „Weihnachten steht bevor, und das erfüllt uns mit Freude. Gott wird immer mit uns sein und uns beschützen.“ Nach den Jahren der Entmenschlichung und der Furcht werde Jesus als der „Prinz des Friedens“ nun die syrische Nation in eine bessere Zukunft leiten.
Auch in anderen Gottesdiensten an diesem Sonntag sprechen die Prediger von der Hoffnung auf ein besseres Syrien, eines, in dem auch die Christen ihren Platz finden. Tia, 14, gehört einer evangelikalen Gemeinde der „Christian Missionary Alliance“ (CMA) an. Ihr Traum ist es, nach der Schule Informatikerin zu werden, erzählt sie. Sie will mit ihren Eltern im Land bleiben. „Ich vertraue auf Gott“, sagt das Mädchen. „Wir beten für einen guten Start in unser neues Syrien“.
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Die Gemeindemitglieder stehen nach der Messe bei einem Kaffee zusammen, natürlich ist der Sturz Assads das wichtigste Thema. Alle hier sagen, sie seien froh über das Ende der Diktatur. „Früher hatten wir große Angst, unsere Meinung zu äußern, jetzt ist der Schleier der Angst weg“, sagt Eham, 21. Er hofft darauf, dass insbesondere die jungen Christen bleiben, um das Land zu verändern. Anderen ist die Verunsicherung deutlich anzumerken. „Es ist nicht eine einzige Frau in der neuen Regierung“, schimpft eine Dame. „Hoffentlich sind sie nicht Wölfe im Schafspelz“, sagt eine andere.
Anto Assaians Vorfahren sind vor über einhundert Jahren nach dem Völkermord an den Armeniern nach Syrien gekommen. Noch heute pflegt die evangelikale Gemeinde, in der er predigt, das Erbe der Vorfahren. Die Messe wird auf Armenisch gehalten. Assaian ist ein Mann, der vom Glauben beseelt und überzeugt ist, dass die syrischen Christen eine Zukunft haben werden. „Wir sind ein Teil dieses Landes, wir haben Rechte, aber wir haben auch die Verantwortung, es mitzugestalten.“ Das Christentum in Syrien ist in viele unterschiedliche Kirchen zersplittert. Um zu überleben, sagt Assaian, müssten die syrischen Christen vereint sein und mit einer Stimme sprechen.
Pater Malek, der in diesen unruhigen Tagen allein im Kloster St. Thomas bei Saidnaya ist, hat vor allem einen Wunsch: „Ich will, dass die Kinder endlich ein friedliches Weihnachten feiern können.“