Berlin. Laut dem CDU-General gibt es „gar keine Leistungsbereitschaft mehr.“ Warum diese Kollektivhaftung ein Problem für Deutschland ist.
Wer ist schuld an der schlechten Wirtschaftslage im Land? Um diese Frage für die eigene Wählerklientel zu beantworten, überzieht die Union seit Wochen die Menschen im Land mit Schuldzuweisungen. Und der Kreis der potenziellen Übeltäter wird stetig erweitert: Knöpft sich CSU-Chef Markus Söder gerne den Grünen Wirtschaftsminister vor, sind für Kanzlerkandidat Friedrich Merz die Bürgergeldempfänger die Wurzel allen Übels. Wer nicht arbeitet, liegt nicht nur dem Sozialstaat auf der Tasche. Man leistet einfach nicht genug für die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt.
Blöd nur, dass Merz‘ rechte Hand ein wichtiges Attribut dieser Unions-These beiseite lässt: „In Deutschland gibt es gar keine Leistungsbereitschaft mehr“, pauschalisiert CDU-General Carsten Linnemann am Mittwoch bei ntv. Ein Schlag, der nicht wie gewöhnlich nur die unliebsamen Bürgergeldempfänger trifft. Linnemann vergrault damit die arbeitende Mitte, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern – die Wähler.
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CDU-General Linnemann: Aus zwei Gründen ist seine Kollektivhaftung ein Problem
Leistet die Pflegerin nicht genug, die Tag für Tag den Alten und Kranken hilft? Sitzt der Supermarktkassierer zum Spaß acht Stunden hinter dem piependen Scanner? Muss ein Pilot längere Strecken fliegen, um dem Leistungsgedanken der Union zu entsprechen? Linnemann suggeriert, dass keiner mehr arbeiten möchte, was mitnichten der Fall ist.
Seine Kollektivhaftung ist in zweierlei Hinsicht ein Problem: Zum einen begeht die Union mit ihrer Fixierung auf den Leistungsgedanken einen groben taktischen Fehler. Denn nicht nur die von Linnemann geliebten Mittelstandsunternehmer wählen die Union. Die größte Wählergruppe sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich nun überlegen werden, ob sie bei der Union ihr Kreuz machen werden. Will die Partei wirklich als elitäre Reichenpartei dastehen?
Viel schlimmer aber ist die Verachtung, mit der Linnemann einen Großteil der Bevölkerung degradiert. Es ist einer Volks- und Kanzlerpartei nicht würdig, das Arbeitsleben von Millionen Bundesbürgern infrage zu stellen. Linnemann zeichnet das Bild eines dysfunktionalen Landes, das nicht der Realität entspricht. Was sich verändert hat, ist lediglich der Anspruch an Arbeit: Es ist nicht lasch, verweichlicht oder träge, wenn Menschen neben ihrer 40-Stunden-Woche auf eine Work-Life-Balance achten. Der CDU-General scheint es nicht verstanden zu haben, dass es abseits der Arbeit noch Zeit für andere Dinge braucht, die das Leben lebenswert machen.
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