Berlin. „Tünkram“ und „Fritze Merz“: In der Vergangenheit haben Politiker schon viel heftiger ausgeteilt. Ein Beispiel: „Herr Hodentöter“.
Wer aus Hamburg kommt, weiß, dass Fritze eine eher freundschaftliche Abwandlung des steifen Friedrich ist und „Tünkram“ eine nette Bezeichnung für Dinge, die nicht so ganz die Wahrheit sind. Friedrich Merz sieht das als Sauerländer wohl anders und ist recht beleidigt, während Olaf Scholz der langen Geschichte deftiger Politikersprüche eine neue Episode angefügt hat. Denn das Veralbern, Beschimpfen und Beleidigen politischer Gegner ist schon lange Teil der politischen Kultur, den man auch als einen Ausdruck von Redefreiheit verstehen kann. In aller Regel bleiben verbale Ausfälle ja folgenlos, von öffentlicher Empörung manchmal abgesehen.
Gerade in der jungen Bundesrepublik gab es einige Politiker, die diese Art der Auseinandersetzung besonders gepflegt haben. Dazu gehörten Herbert Wehner, langjähriger Fraktionsvorsitzender der SPD, und der CSU-Chef Franz-Josef Strauß. Wehner hatte besondere Freude an Späßen mit den Namen anderer Bundestagskollegen. Das ist eigentlich verpönt, hatte aber oft einigen Witz: So sprach er den CDU-Abgeordneten Jürgen Wohlrabe gern mit Herr Übelkrähe an, während dessen Kollege Jürgen Todenhöfer zum Abgeordneten Hodentöter wurde.
„Vergleichbare Populisten sind Lafontaine und Le Pen schon“
Aber Wehner konnte auch schneidend verletzend werden. Ausgerechnet während eines Besuchs in Moskau räsonierte er 1973 vor Journalisten über die Führungsschwäche von Willy Brandt, die in dem Ausspruch gipfelte: „Der Kanzler badet gern lau – so in einem Schaumbad.“ Der „Spiegel“ machte daraus eine Titelgeschichte, „Zerwürfnis mit Brandt“, und zitierte den Kanzler mit der Bemerkung, Wehner sei wohl nicht mehr zurechnungsfähig. Hier ging es erkennbar um mehr als Polemik und Rüpelei.
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In diese Kategorie gehört auch die böse Aussage von Oskar Lafontaine, damals SPD-Ministerpräsident im Saarland, über den Altkanzler Helmut Schmidt: Mit den von Schmidt gelobten „Sekundärtugenden Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit“ könne man „auch ein KZ betreiben“. Das Zitat führte zu einem dauerhaften Zerwürfnis zwischen den beiden Sozialdemokraten. Viele Jahre später revanchierte sich Schmidt bei dem inzwischen zur Linkspartei gewechselten Lafontaine: „Der eine ist links, der andere ist rechts. Aber vergleichbare Populisten sind Lafontaine und Le Pen schon.“
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums wütete Franz-Josef Strauß, der über den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl wissen ließ: „Ich bin zwar mit ihm befreundet, aber er ist ein Filzpantoffel-Politiker, das sage ich ihm auch selber.“ Den FDP-Vorsitzenden Hans-Dietrich Genscher beschrieb er indes so: „Der Genscher ist eine armenische Mischung aus marokkanischem Teppichhändler, türkischem Rosinenhändler, griechischem Schiffsmakler und jüdischem Geldverleiher und ein Sachse.“ Was nach heutigem Verständnis eine wüste Mischung aus Rassismus und Antisemitismus offenbart, löste in den 1970er Jahren wenig Empörung aus.
So konnte Strauß auch im Wahlkampf gegen Sozialdemokraten hetzen: „Was wir in diesem Land brauchen, ist der mutige Bürger, der die roten Ratten dorthin jagt, wo sie hingehören – in ihre Löcher.“ Herbert Wehner konterte so: „Wenn Sie das Wort ‚Marxist‘ hören, geht es Ihnen so, wie Goebbels damit operiert hat, nicht anders. Sie sind nämlich in dieser Frage genauso dumm, wie es jener war. Nur war er ganz jesuitisch raffiniert.“
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Unvergessen: „Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub!“
Einen unvergessenen rhetorischen Auftritt im Bundestag hatte auch der damalige Grünen-Fraktionschef Joschka Fischer 1984, nachdem ihn der amtierende Bundestagspräsident Richard Stücklen wegen vorangegangener Tumulte von der Sitzung ausgeschlossen hatte. Im Hinausgehen rief der spätere Außenminister: „Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub!“
Sehr lustig fanden viele die Bemerkung des SPD-Abgeordneten Karsten Voigt zu dem wohlbeleibten FDP-Minister Martin Bangemann: „Sie verkörpern Dick und Doof in einer Person.“ In diese Reihe gehört auch ein Reim des CDU-Politikers Heiner Geißler über den SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel: „Lügen haben kurze Beine, kürzer sind dem Vogel seine.“
Die Politiker der Ampelkoalition sind nicht die ersten Mitglieder eines Regierungsbündnisses, die schlecht übereinander geredet haben. Auch in der schwarz-gelben Koalition von Angela Merkel ging es deftig zu. „Die entwickeln sich zur gesundheitspolitischen Gurkentruppe: Erst schlecht spielen, dann auch noch rummaulen“, sagte der CSU-Politiker Alexander Dobrindt über die liberalen Partner. Deren Minister Daniel Bahr befand: „Die CSU ist als Wildsau aufgetreten.“ Dobrindt nahm noch einen weiteren FDP-Politiker aufs Korn: „Dem Quartalsspinner aus Kiel ist wohl die Schweinegrippe aufs Gehirn geschlagen“, befand er über Wolfgang Kubicki.
Dass es auch unter Unionspolitikern nicht immer freundschaftlich zugeht, belegt der verbale Zusammenprall zwischen dem damaligen Kanzleramtschef Ronald Pofalla und dem umtriebigen CDU-Abgeordneten Wolfgang Bosbach aus dem Herbst 2011. „Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen“, raunzte der Merkel-Vertraute den Kollegen vor Ohrenzeugen an – und entschuldigte sich am nächsten Tag. Das hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder vermutlich nicht getan, nachdem der den damaligen Finanzminister Olaf Scholz nach einer langen Sitzung in Sachen Corona-Maßnahmen anfuhr, er solle „nicht so schlumpfig herumgrinsen“. Wie man Scholz kennt, wird ihm das sogar gefallen haben.