Berlin. Die Furcht vor Chaos in Syrien wächst international. Experten warnen auch vor Terrorismus - und vor Assad-Schergen in Deutschland

Gut eine Woche nach dem überraschenden Sturz des Assad-Regimes in Syrien wächst international die Sorge vor Chaos und neuer Gewalt. Bei einer internationalen Syrien-Konferenz in Jordanien warnte der UNO-Sondergesandte Geir Pedersen vor einem möglichen Zusammenbruch des Landes. Man müsse sicherstellen, dass die staatlichen Institutionen in Syrien nicht zerfielen und dass man so schnell wie möglich humanitäre Hilfe leiste, sagte Pedersen. Wenn das gelinge, gebe für das syrische Volk „vielleicht eine neue Chance“.

Der Chef-Außenpolitiker des EU-Parlaments, David McAllister (CDU), äußerte die Befürchtung, dass es in Syrien zu einem neuen Bürgerkrieg kommen könne. Die Europäische Union müsse wachsam sein, die enormen potenziellen Konsequenzen der Entwicklung sowohl innerhalb Syriens als auch regional und global dürften nicht unterschätzt werden, sagte der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten unserer Redaktion. Zwar würde eine Stabilisierung des Landes die Rückkehr von Flüchtlingen ermöglichen. Aber: „Die Gefahr eines neuen Bürgerkriegs, der weitere Fluchtbewegungen nach sich ziehen würde, ist noch lange nicht gebannt.“ Ebenso stehe die Bedrohung durch den Terrorismus im Raum.

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In der Altstadt von Aleppo machen syrische Zivilisten Fotos mit Kämpfern der siegreichen Rebellen. © Getty Images | Burak Kara

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warnten Unterstützer des gestürzten Machthabers Baschar al-Assads vor einer Flucht nach Deutschland. „Wer von Assads Folterknechten darüber nachdenken sollte, jetzt nach Deutschland zu fliehen, dem kann ich nur klar sagen: Wir ziehen all die Schergen des Regimes mit der vollen Härte des Gesetzes für ihre furchtbaren Verbrechen zur Rechenschaft“, sagte Baerbock der „Bild am Sonntag“. Sicherheitsbehörden und Geheimdienste müssten international „aufs Engste zusammenzuarbeiten“, fügte Baerbock hinzu. Faeser sagte: „Wir sind äußerst wachsam.“

In der jordanischen Stadt Akaba waren am Wochenende Außenminister zahlreicher westlicher und arabischer Staaten zu Beratungen über die Lage nach dem Umbruch in Syrien zusammengekommen, darunter auch US-Präsident Anthony Blinken und die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas. Die Chefdiplomaten mehrerer arabischer Staaten forderten einen friedlichen Übergang in dem Bürgerkriegsland und beriefen sich auf frühere UN-Forderungen nach Ausarbeitung einer Verfassung und Wahlen unter UN-Aufsicht. In dem Prozess müssten „alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte vertreten sein“, hieß es in einer Erklärung der Minister von Jordanien, dem Irak, Saudi-Arabien, Ägypten, Libanon, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Katar.

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Syrien im Umbruch: Jubel, Hoffnung und neue Gefahren

Im Krisenmodus

Sie warnten zugleich vor einer „konfessionellen oder religiösen Diskriminierung“ und forderten „Gerechtigkeit und Gleichheit“ für alle Menschen in Syrien. Staatliche Institutionen müssten erhalten werden, damit das Land nicht „ins Chaos“ stürze, hieß es weiter. Die Türkei öffnete am Wochenende wieder ihre Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus, die 2012 wegen des Bürgerkriegs geschlossen worden war.

Bürgerkrieg in Syrien
Syrische Oppositionskämpfer machen ein Selfie im Präsidentenpalast in Damaskus nach dem Zusammenbruch der syrischen Regierung. © DPA Images | Omar Sanadiki

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) versprach unterdessen Hilfe beim Wiederaufbau Syriens. „Auch Europa wird beim Wiederaufbau helfen“, sagte der SPD-Politiker. Nach all dem Leid verdienten die Syrerinnen und Syrer ein Leben in Freiheit und Sicherheit. Es sei die Aufgabe der neuen Machthaber, das sicherzustellen. „Auf dieser Grundlage werden wir mit ihnen zusammenarbeiten“, sagte Scholz.

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Seit dem Sturz Assads vor gut einer Woche sind nach offiziellen Angaben von der Türkei aus mehr als 7.500 Flüchtlinge nach Syrien zurückgekehrt. Täglich hätten bis einschließlich Freitag mehr als 1.000 Syrer die Grenze überquert, teilte der türkische Innenminister Ali Yerlika mit.

McAllister äußerte sich besorgt über die Rebellenallianz HTS, die maßgeblich den Sturz von Assad herbeigeführt hatte. „Weltweit sind Dschihadisten vom Sieg der Islamisten elektrisiert“, betonte der CDU-Politiker. „Syrien darf nicht von Neuem zu einem Rückzugsort für international operierende Terroristen werden.“ Die Terrororganisation Al Kaida habe bereits ihre Gratulationen an den Führer der Rebellenallianz, Abu Mohammed al-Dschaulani, übermittelt.

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HTS sei eine extremistische Gruppe, die ihren Ursprung im sogenannten Islamischen Staat habe und mit Al Kaida verbündet gewesen sei, auf Dschaulani sei nach wie vor ein Kopfgeld in Höhe von 10 Millionen US-Dollar ausgesetzt, betonte McAllister. Wie überzeugend Dschaulanis offizielle Distanzierung vom islamistischen Extremismus ist, bleibe abzuwarten. Alle Beteiligten müssten sich nun an einem inklusiven, von Syrien geführten Dialog beteiligen, um einen geordneten, friedlichen und inklusiven Übergang zu gewährleisten, forderte der EU-Außenpolitiker. Die EU sollte zur Stabilisierung der Region beitragen und auf Staaten wie die Türkei und die Golfstaaten einwirken, die Einfluss in Syrien hätten.

Inside Mezzeh Prison, Liberated By Rebels After The Fall Of The Assad Regime
Ein zerstörtes und beschmiertes Plakat mit dem Porträt des gestürzten syrischen Diktators Bashar al-Assad im Gefängnis Mezzeh in Damaskus. © Getty Images | Ali Haj Suleiman

Skeptische Einschätzungen kommen auch aus Regierungen arabischer Staaten. Der diplomatische Berater des Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Scheich Mohammed bin Sajid Al Nahjan, sagte auf einer Sicherheitskonferenz in Abu Dhabi: Zwar höre man von der Rebellenallianz HTS vernünftige und rationale Erklärungen über die Einheit des Landes. Die Natur dieser neuen Kräfte, ihre Verbindungen zur islamistischen Muslimbruderschaft und zu Al Kaida seien aber „sehr besorgniserregende Indikatoren“.