Berlin. Militärexperte Carlo Masala über die Neuordnung im Nahen und Mittleren Osten und ihre Folgen für Russland, Syrien und die Ukraine.
„Wir erleben gerade eine Neuordnung vieler Teile des Mittleren und Nahen Ostens“, sagt Carlo Masala. Der Militärexperte erklärt, was der Sturz des syrischen Machthabers Assad für die Ukraine bedeutet, welche Konsequenzen ein geschwächter Iran hat und wie Israel folgenreich Fakten schafft.
Russland ist nach dem Sturz des syrischen Machthabers Assad geschwächt. Was bedeutet das für die Ukraine?
Carlo Masala: Zunächst würde ich nicht sagen, dass die Russen bereits jetzt geschwächt dastehen. Nicht falsch verstehen, natürlich stehen sie augenblicklich nicht gut da. Es ist ein schlechtes Signal an sämtliche Regime in Afrika, die sich auf die Russen verlassen. Aber die entscheidende Frage wird sein, ob sie die Kontrolle über ihre Militärbasen in Tartus und bei Latakia an der syrischen Küste behalten können. Für die Ukrainer könnte das bedeuten, dass Putins Bemühungen, in der Ukraine so viel wie möglich zu erobern, bevor Donald Trump offiziell Präsident wird, an Intensität zunehmen. Die Ukraine ist Russlands Schwerpunkt.
Welche Bedeutung hat dabei die neue russische Mittelstreckenrakete „Oreschnik“. Ist mit ihrem Einsatz zu rechnen?
Masala: Die Amerikaner sagen, sie rechnen damit in den nächsten Tagen. Putin hat in seiner Rede vor wenigen Tagen klargemacht, dass die Drohungen mit Nuklearwaffen nicht mehr so wichtig seien, weil man jetzt die „Oreschnik“ habe. Es ist das Symbol, dass man mit der „Oreschnik“ nun theoretisch viele europäische Hauptstädte erreichen kann.
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Es gibt Überlegungen in der Ukraine, auch die 18- bis 25-Jährigen zu mobilisieren. Man hat das Gefühl, dass die Ukrainer nicht mehr sehr lange durchhalten können.
Masala: Dieses Gefühl gibt es seit Langem, die Ukrainer halten aber durch, obwohl es nicht gut läuft. Der zweite Punkt: Natürlich macht es theoretisch Sinn, 18- bis 25-Jährige zu mobilisieren, aber: Warum sollten die Ukrainer das tun, wenn auf der anderen Seite das Gerät fehlt? US-Außenminister Blinken stellte es kürzlich so dar, als ob das Personal das einzige Problem sei. Das stimmt ja nicht. Personal und Material sind ein Problem. Warum sollen sich 18- bis 25-Jährige an die Front einziehen lassen, wenn sie wissen, dass sie nicht entsprechend ausgerüstet werden können?
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Noch einmal zurück zu den russischen Stützpunkten in Syrien, die für Putin ja sehr wichtig sind. Ist es denkbar, dass die Syrer für den Verbleib der Russen die Auslieferung von Assad fordern?
Masala: Es liefen Nachrichten, dass es bereits einen Deal mit den neuen Machthabern in Syrien gibt und die Russen auf den Basen bleiben können. Ich weiß aber noch nicht, ob das schon bestätigt wurde. Bisher gibt es auch keine offiziellen Forderungen aus Damaskus, Assad auszuliefern. Doch auszuschließen ist das nicht. Das werden die Russen am Ende des Tages aber nicht machen. Das ist in der Tat etwas, was ihnen komplett zum Nachteil gereichen würde. Wenn man sich anschaut, wer sich alles in Moskau aufhält, dann sieht man, dass Russland zu einem sicheren Hafen für Diktatoren und Schwerverbrecher geworden ist. Würde Assad ausgeliefert, würde die Reputation Russlands in vielen Teilen der Welt einen enormen Schaden erleiden.
Carlo Masala
Er ist einer der bekanntesten Militärexperten in Deutschland. Masala (Jahrgang 1968) lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Konflikt in der Ukraine.
Droht Syrien jetzt der Zerfall, das gleiche Schicksal wie Libyen und Irak?
Masala: Ich bin kein Syrien-Experte. Aber theoretisch besteht jede Möglichkeit. Das Land kann in einen Bürgerkrieg abgleiten oder wie der Irak in drei Teile aufgespalten werden oder auch für eine gewisse Zeit eine Regierung der nationalen Einheit erleben. Aber mit Syrien kenne ich mich wirklich nicht so gut aus.
Was ist aus den syrischen Chemiewaffen geworden. Ist davon noch was übrig?
Masala: Wir wissen nicht, ob die Israelis alles zerstört haben. Aber was bekannt war, haben sie zerstört.
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Welche Rolle spielt die Türkei in diesem Konflikt?
Masala: Die Türkei spielt die entscheidende Rolle. Sie steht, nach allem, was man weiß, hinter dem, was gerade in Syrien passiert. Die Türkei ist derzeit der große Gewinner dieses Konflikts.
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Iran, der andere mächtige Faktor in der Region, hat mit Assad, Hisbollah und Hamas seine wichtigsten Verbündeten verloren. Wie geschwächt ist der Iran?
Masala: Sehr geschwächt, das sieht man ja. Wir erleben gerade eine Neuordnung vieler Teile des Mittleren und Nahen Ostens, von der wir noch nicht wissen, wie sie ausgeht.
Wird Iran sein Atomprogramm jetzt ausbauen?
Masala: Das ist Spekulation. Aber natürlich ist damit zu rechnen, das wäre auch ohne Syrien der Fall gewesen. Sie wissen ja jetzt, wie schwach ihre Luftverteidigung ist.
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Israel schafft gerade Fakten in der Region. Ist es denkbar, dass sie bald das Atomprogramm ins Visier nehmen?
Masala: Das ist wieder hoch spekulativ. Alles ist denkbar. Ob das passieren wird, ist eine ganz andere Frage.
Sie haben für Ihre Aussage, Deutschland solle sich bei einem Waffenstillstand an einer Friedenstruppe für die Ukraine beteiligen, viel Kritik eingesteckt. Warum ist dieses Thema so schwierig?
Masala: Wir befinden uns im Wahlkampf. Sich im Wahlkampf positiv dazu zu äußern, würde eine Flanke eröffnen für AfD und BSW, die behaupten würden, man wolle Deutschland in einen Krieg mit Russland hineinziehen. Ein anderer Punkt ist: Es gibt in Deutschland große Vorbehalte. Aber es ist paradox, nach einem Waffenstillstand zu rufen und sich gleichzeitig zu verweigern, diesen abzusichern. Die USA werden uns diese Aufgabe aber nicht abnehmen. Das ist eine deutsche Schizophrenie, weil Deutschland noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen ist.
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