Berlin. Kaum ist der Diktator gestürzt, wird über die Rückführung syrischer Flüchtlinge diskutiert. Bei Markus Lanz ging es heftig zur Sache.
Nach der Feierlaune über den Sturz des Assad-Regimes ist auch in den Talkrunden die Nachdenklichkeit angekommen. Was passiert mit den eine Million Flüchtlingen aus Syrien in Deutschland?
Politiker der Union – wie etwa Jens Spahn – sowie der AfD hatten in öffentlichen Statements rasch über eine Rückkehr der Syrer sprechen wollen. Bei Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) löst das dagegen großes Unbehagen aus, wie sie am Dienstagabend im ZDF-Talk von Markus Lanz bekannte.
„24 Stunden nach dem Sturz eines solchen Diktators schon über Abschiebungen zu reden, das finde ich abstoßend und der Situation nicht angemessen“, sagte Lemke. Sie plädierte für eine sensible Debatte und dafür, das Thema Syrien möglichst nicht für Wahlkampfzwecke zu nutzen. Es gehe der EU und der UN jetzt erst einmal um eine Stabilisierung des Landes. Ihr fehle in der Rückkehrdebatte die „Empathie“ für Syrer.
CDU-Abgeordneter Throm reagiert bei Lanz gereizt
Diese These wiederholte Lemke im Laufe der Sendung mehrfach und richtete sie so oft an ihren politischen Widerpart, den innenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Alexander Throm (CDU). Dem wurde es irgendwann zu bunt: „Ich verbitte mir Ihre moralischen Belehrungen, Frau Lemke.“
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Throm vertritt offensiv die Meinung, dass mit Assad auch der Fluchtgrund weggefallen sei. „Wenn das der Fall ist, müssen wir doch auch über die Rückkehr nachdenken dürfen.“ Er selbst aber habe nie über Abschiebungen gesprochen, sondern über „freiwillige Heimreise“
Deutschland müsse „jetzt klar in die Welt kommunizieren“, dass sich die Sachlage im Herkunftsland Syrien gravierend geändert habe, denn es gebe ja immer noch Syrer, die nach Deutschland einreisen wollten.
„Flucht ist ein Aufenthalt auf Zeit“
Dass Markus Lanz dem Unions-Politiker dann Zitate von Alice Weidel (AfD) vorhielt, wonach feiernde Syrer ja wohl keinen Fluchtgrund mehr hätten – die Äußerungen ähnelten denen von Alexander Throm stark – störte den Christdemokraten wenig: „Mit Assad ist der Fluchtgrund weg. Flucht ist ein Aufenthalt auf Zeit.“
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Schützenhilfe erhielt Throm vom Publizisten Nikolaus Blome. Der betonte, dass auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sofort nach dem Assad-Sturz gehandelt habe und bis auf Weiteres keine Asylanträge von Syrern mehr bearbeite.
Blome warnte dringend davor, das Thema Flüchtlinge und Migration aus dem Wahlkampf rauszuhalten, man müsse doch darüber sprechen, was die Bürger diskutierten. „Wenn das nicht geschieht, dann kocht die AfD ihr Süppchen auf dem Feuer.“
Stehen Syrien „Terror und heftige Machtkämpfe“ bevor?
Die drei Experten in der Talkrunde boten einen differenzierten Blick auf das Thema und plädierten alle – in abgestufter Form – für eine abwartende Haltung. Nahost- und Syrien-Experte Daniel Gerlach rechnet noch mit „Terror und heftigen Machtkämpfen“ in Syrien.
Es stimme auch nicht, so Gerlach, dass mit Assad der „Hauptgrund für eine Flucht“ weggefallen sei. Schließlich sei nur ein kleiner Teil der Syrer wegen politischen Asyls in Deutschland, die meisten seien dagegen auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention hier.
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Auch hält Gerlach die Lage im Land für äußerst instabil: „Im Osten bombardieren die USA den Islamischen Staat, die Israelis bombardieren in allen Landesteilen und im Norden bombardiert die Türkei kurdische Stellungen.“ Im Übrigen bestünden noch Sanktionen gegen Syrien, es gebe dort keine diplomatischen Vertretungen.
Außerdem stehe der Rebellenanführer Muhammed al-Dscholani auf westlichen Terrorlisten. Dessen HTS-Milizen mit „einigen Zehntausend Mann“ bezeichnete Gerlach als nur „ein Element“ im Machtgefüge von Syrien mit seinen rund zehn Millionen Einwohnern.
In Syrien könne es wieder zum Bürgerkrieg kommen
Auch der aus dem kurdisch dominierten Quamishli in Nordsyrien zugeschaltete „Welt“-Korrespondent Alfred Hackenberger zeigte sich skeptisch über die Sicherheitslage. Er könne ja nicht in eine Glaskugel schauen, aber „wenn der Kuchen nicht gerecht verteilt wird, kann es in Syrien wieder zum Bürgerkrieg kommen.“
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Die Lage sei äußerst diffus. Israelis bombardierten in Quamsishli die Munitionsdepots, mehr Sorge bereite ihm aber, dass die von der Türkei unterstützte Miliz der Syrischen Nationalarmee (SNA) eine Offensive starte und schon die Stadt Manbij eingenommen habe.
Assads Sturz sei für Deutschland eine Chance zur Entlastung
Der einzige, der Optimismus in der Sendung versprühte, war der aus Schweden zugeschaltete Migrationsforscher und Soziologe Gerald Knaus. Dieser sieht jetzt die Stunde gekommen, dass von den zwei großen Flüchtlingskrisen – Syrien und Ukraine – eine befriedet wird. Das sei für Deutschland eine Chance zur Entlastung.
Man müsse jetzt schon Bedingungen schaffen auch in der Türkei, im Libanon und Jordanien, dass syrische Flüchtlinge nicht weiterziehen müssten. „Deutschland muss einen umsetzbaren Plan haben.“ Gerlach erinnerte an Bosnien, wohin nach einer Befriedung des Landes auch die Flüchtlinge zurückgekehrt seien. Nach einer Denkpause klangen die Worte von Knaus jedenfalls nicht. Die Debatte – so ist zu erwarten – wird auch im Wahlkampf noch hitzig und an Fahrt aufnehmen.
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