Washington. Der 81-jährige Amtsinhaber will seinem Nachfolger ein Schnippchen schlagen und Verbündete schützen. Vorbild sind frühere Präsidenten.
Kurz bevor er die Regierungsgeschäfte an seinen Nachfolger Donald Trump übergeben wird, steht US-Präsident Joe Biden in der Kritik. Biden hat die Strafen von 1500 verurteilten Straftätern verkürzt sowie 39 Personen gänzlich begnadigt. Bei den rund 1.500 Straftätern handele es sich um Personen, die ihre Strafen seit der Corona-Pandemie im Hausarrest verbüßten und sich erfolgreich wieder in ihre Familien und Gemeinden integriert hätten. Bei den 39 Begnadigungsfällen gehe es um Verurteilungen wegen nicht gewalttätiger Straftaten. Das Weiße Haus veröffentlichte die Namen aller Betroffenen.
Doch damit ist es nicht genug. Biden plant, zahlreiche Regierungsmitarbeiter und politische Verbündete, die Trump strafrechtlich verfolgen will, vorbeugend zu begnadigen. Zwar würde er damit der Tradition vieler seiner Vorgänger folgen, die ebenfalls Begnadigungen ausgesprochen hatten. Umstritten ist das Ansinnen aber deswegen, weil der Präsident das Recht quasi als Blankovollmacht nutzen will, um Freunde zu schützen.
Der zweite Teil von „Artikel 2“ der US-Verfassung gibt einem amtierenden Präsidenten das Recht, Personen, die „Verbrechen gegen die Vereinigten Staaten begangen haben“, von strafrechtlichen Konsequenzen freizustellen. Nicht selten haben Amtsinhaber das Recht genutzt, um kontroverse Entscheidungen zu treffen. So begnadigte der Republikaner Gerald Ford seinen Vorgänger Richard Nixon wegen dessen Rolle in der Watergate-Affäre. Er tat das, bevor die Staatsanwaltschaft Klage gegen Nixon erhoben hatte.
Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama: Kontroverse Präzedenzfälle
Umstritten war auch die Immunität, die George H.W. Bush dem ehemaligen Verteidigungsminister Caspar Weinberger gewährte. Weinberger war in mehreren Punkten im Zusammenhang mit der Iran-Kontra Affäre angeklagt. Im Mittelpunkt standen Erlöse aus US-Waffenverkäufen an Iran, die an Rebellen in Nicaragua weitergeleitet wurden, um diese beim Sturz der sozialistischen Regierung zu unterstützen.
Später begab sich der Demokrat Bill Clinton auf politisches Glatteis. Er begnadigte den Finanzier Marc Rich, der großzügig für Clintons Präsidentschaftskampagne gespendet hatte. Rich war aber in mehreren Fällen wegen Betrugs und Steuerhinterziehungen sowie illegaler Geschäfte mit dem Iran verurteilt worden. Er war in die Schweiz geflüchtet, um sich dem Zugriff der US-Justiz zu entziehen. Auch George W. Bush und Barack Obama gewährten Freunden und Verbündeten volle Immunität.
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Begnadigungen haben Tradition, doch Trump setzte neue Maßstäbe
Ganz neue Maßstäbe setzte aber Donald Trump. In der Anfangsphase seiner Amtszeit gewährte Trump seinem früheren Nationalen Sicherheitschef, General Michael Flynn, Amnestie. Flynn wurde vorgeworfen, das Bundeskriminalamt FBI im Zusammenhang mit russischer Einmischung in die US-Wahl belogen zu haben. Im Dezember 2020 – nach seiner Niederlage – sprach Trump 26 weitere Begnadigungen aus, unter anderem für seinen Schwager Charles Kushner. Kushner, der bereits wegen Betrugs eine Gefängnisstrafe abgesessen hat, wurde nicht nur begnadigt. Er soll jetzt auch Trumps Botschafter in Paris werden.
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Nun aber ist Biden an der Reihe. Kürzlich schlug der Präsident bereits Wellen, als er seinen Sohn Hunter begnadigte. Er war wegen Steuerhinterziehung und illegalen Waffenbesitzes verurteilt worden. Hunter würde das prominenteste Opfer des politischen Rachefeldzugs werden, den Trump angekündigt hat, argumentiert das Weiße Haus.
Schutz vor Trump: Biden plant Begnadigungen für seine Familie und politische Freunde
Biden will aber nicht nur seine Familie, sondern auch politische Freunde vor Trumps Vendetta schützen. Umso dringlicher wurde das in den letzten Wochen. Denn Kash Patel, der neuer FBI-Chef werden soll, hat gesagt, dass „ich alle Gegner Präsident Trumps verfolgen werde“. Patel ist nicht nur ein glühender Anhänger des künftigen Präsidenten. Auch glaubt er fest an den „deep state“. Hinter dem „tiefen Staat“ verbirgt sich die Überzeugung, dass multinationale Konzerne, das Militär, die Geheimdienste und die wichtigsten Entscheidungsträger in Washington hinter den Kulissen kooperieren, um die Politik in ihrem eigenen Interesse zu manipulieren.
Im Fadenkreuz Trumps und seines designierten FBI-Direktors – dieser muss noch bestätigt werden – stehen die früheren Kongressabgeordneten Liz Cheney und Adam Kinzinger. Sie waren die einzigen Republikaner in dem Sonderausschuss, der Trump wegen seiner Rolle bei dem blutigen Aufstand im Kapitol zur Rechenschaft ziehen wollte. Auf der „schwarzen Liste“ steht auch der Mediziner Dr. Anthony Fauci, der sich während der Corona-Pandemie profilierte und Trumps Verharmlosungen des Virus der Lächerlichkeit preisgab. Zudem hat der 47. Präsident andere Abgeordnete, Richter, FBI-Mitarbeiter und sogar Justizminister Merrick Garland im Visier. Selbst Gouverneure und Beamte in den „swing states“, die sich weigerten, an seinem Versuch mitzuwirken, das Wahlergebnis vor vier Jahren zu kippen.
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Trumps Rachefeldzug: Wird der designierte US-Präsident die Justiz missbrauchen, um Gegner zu bestrafen?
Trump schimpft bereits über die anvisierten Begnadigungen als angeblich illegales Verhalten „der Biden Familie von Verbrechern“. Aber auch einige Demokraten kritisieren Biden. Sie meinen, dass der Präsident damit sein Mandat überschreiten würde. Auch weisen sie darauf hin, dass die Annahme einer Begnadigung durch einen Unschuldigen als indirektes Geständnis ausgelegt werden könnte. Viele im Kongress unterstützen Biden aber. Der Abgeordnete Brendan Boyle sagt, dass „es nicht theoretische Drohungen sind“. Trump und seine „Henker“ würden ihre Drohungen wahrmachen. „Die Zeit für Zurückhaltung ist vorbei“, meint Boyle. Es sei notwendig, unschuldige Beamte zu schützen „und Trump am Missbrauch seiner Macht zu hindern“. Ähnlich sieht es der demokratische Senator Ed Markey. „Wenn bis zum Tag vor dem Regierungswechsel klar ist, dass Trump die Justiz missbrauchen will, um Gegner zu bestrafen, dann sollte Präsident Biden alle Register ziehen und jeden Unschuldigen dagegen rechtlich immunisieren“.