Berlin. NRW-Innenminister Herbert Reul will nach dem Ampel-Bruch im Bund einen Deal mit SPD und Grünen schließen. Um dieses Gesetz geht es.
Viele in der CDU können es kaum erwarten, dass nach dem Bruch der Ampel-Koalition neu gewählt wird. Der CDU-Politiker Herbert Reul will vorher allerdings noch etwas erledigen: Der 72-jährige Innenminister von Nordrhein-Westfalen sieht in der aktuellen politischen Konstellation eine günstige Gelegenheit, den Sicherheitsbehörden wichtige Befugnisse im Kampf gegen Terroristen, Kinderschänder und Clans zu verschaffen.
Herr Reul, wird Ihnen angesichts der hohen Gefährdungslage durch islamistische Gewalttäter unwohl, wenn Sie an die Weihnachtsmärkte denken?
Herbert Reul: Nein. Wir dürfen uns von denen, die uns bedrohen, nicht unsere Feste, unsere Feiern, unsere Art zu leben kaputtmachen lassen. Aber: Die Welt ist nicht ohne Risiko, ist sie nie gewesen.
Gibt es konkrete Hinweise auf Anschlagspläne?
Reul: Keine.
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Solche Hinweise stammen oft von ausländischen Geheimdiensten – deren Befugnisse zur Überwachung von Kommunikation sind größer.
Reul: Ja, das kann nicht so bleiben. Es ist erst einmal gut, dass es diese Zusammenarbeit gibt und sie funktioniert. Aber: Unsere Ermittler brauchen mehr Kompetenzen. Jetzt ist die Zeit für eine Weichenstellung gekommen. Anstatt jeden Tag zu sagen: Man müsste, man sollte, man könnte, müssen jetzt Taten folgen.
„„Wir brauchen die Verkehrsdatenspeicherung. Damit können unsere Sicherheitsbehörden nicht nur Terroristen auf die Spur kommen, sondern auch den Tätern im Bereich Kinderpornographie oder Bandenkriminalität““
Das heißt?
Reul: Wir brauchen die Verkehrsdatenspeicherung. Damit können unsere Sicherheitsbehörden nicht nur Terroristen auf die Spur kommen, sondern auch den Tätern im Bereich Kinderpornographie oder Bandenkriminalität. Die gefährliche Kriminalität findet heute meist im Netz statt.
Bisher gab es keine Mehrheit für die Vorratsdatenspeicherung.
Reul: Uns bietet sich nach dem Bruch der Ampel-Koalition eine große Gelegenheit: Mit der FDP und ihrem Justizminister Marco Buschmann sind die ideologischen Störenfriede bei diesem Thema in der Bundesregierung weg. Das macht die eigentlich handlungsunfähige Restregierung in diesem Punkt handlungsfähig. Wir sollten jetzt gemeinsam mit Union, SPD und Grünen einen Weg finden, vom Schwätzen ins Handeln zu kommen.
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Was fordern Sie genau?
Reul: Die Speicherung von sogenannten Verkehrsdaten ist das zentrale Instrument der Verbrechensbekämpfung in einer digitalen Welt. Es geht um die Information, wer mit wem telefoniert hat, SMS oder E-Mails ausgetauscht hat. Die Inhalte werden nicht erfasst. Außerdem lässt sich nachvollziehen, von welchem Computer, zu welchem Zeitpunkt welche Internetseiten aufgerufen worden sind.
Wie sollen Ermittler an diese Informationen kommen?
Reul: Diese Verbindungsdaten liegen bei den Telekommunikationsanbietern. Fahnder sollten sie nach der Genehmigung eines Richters abrufen können. Dafür müssen die Anbieter die Daten speichern. Mein Vorschlag und der meiner Experten ist eine Speicherdauer von mindestens sechs Monaten. Aber ich weiß auch, dass Politik kein Wunschkonzert ist. Damit wir das jetzt beschließen können, bin ich bei dem Zeitraum verhandlungsbereit – es muss aber Sinn machen.
Datenschützer kritisieren, dass damit auch das Kommunikationsverhalten Millionen unbescholtener Bürger gespeichert wird.
Reul: Es geht nur um die Verbindung, nicht um die Inhalte. Wo ist da das Problem? Ich kenne kein besseres Mittel, um den Tätern im Bereich Kindesmissbrauch oder Terroristen und ihren Netzwerken auf die Spur zu kommen. Außerdem bin ich mir sicher, dass die meisten Menschen auch nichts dagegen hätten, weil es die Sicherheitsbehörden vor die Lage bringt und damit Menschenleben gerettet werden.
„Wir brauchen eine Zustimmung im Bundestag, solange der noch beschlussfähig ist. Durch den Bruch der Ampel-Koalition haben wir jetzt eine Konstellation, die viel möglich macht.“
Warum beschließen Sie die Vorratsdatenspeicherung nicht, wenn die Union die Bundestagswahl gewonnen hat und regiert?
Reul: Wir wissen nicht, wie die Mehrheiten nach der Wahl sind. Ab Mittwoch tagen die Innenminister von Bund und Ländern, bei denen werde ich für einen schnellen Beschluss werben. Im Bundesrat werden wir eine Mehrheit bekommen. Die Grünen waren lange skeptisch, aber die schwarz-grünen Landesregierungen aus Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg unterstützen meinen Vorschlag. Das ist ein starkes Signal. Wir brauchen eine Zustimmung im Bundestag, solange der noch beschlussfähig ist. Durch den Bruch der Ampel-Koalition haben wir jetzt eine Konstellation, die viel möglich macht.
CDU-Chef Friedrich Merz will erst über gemeinsame Beschlüsse reden, wenn der Kanzler die Vertrauensfrage gestellt hat.
Reul: Dann machen wir es danach. Das ist mir egal. Aber man sollte wenigstens anfangen, das Thema vorzubereiten.
Angenommen, die CDU und CSU gewinnen die Wahl: Halten Sie an der Forderung fest, Migranten an der deutschen Grenze zurückzuweisen?
Reul: Ja. Wir brauchen das Signal an die Bevölkerung: Wir haben verstanden. Dazu gehört: Wir müssen an den deutschen Grenzen kontrollieren und die Zuwanderung begrenzen, wenn ein anderer EU-Staat für Asylverfahren zuständig ist.
Die Zahl der Asylanträge ist im Vergleich zum Vorjahr auch ohne Zurückweisungen um ein Viertel gesunken.
Reul: Das ist gut, aber es reicht nicht. Wer Integration will, muss dafür sorgen, dass die Zahlen beherrschbar sind. Aus vielen Schulen und Kindergärten höre ich, dass das nicht der Fall ist. Und wer das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zurückgewinnen will, muss dieses Problem lösen. Und die Lösung ist nicht, mehr abzuschieben, sondern den Zustrom zu verringern.
Was heißt das konkret?
Reul: In der Vergangenheit hat nur eine Maßnahme wirklich funktioniert. Das war das von Angela Merkel mit dem türkischen Präsidenten Erdogan vereinbarte Abkommen, wonach er über die Türkei in die EU gekommene Flüchtlinge zurücknimmt und Geld von uns bekommt. Von solchen bilateralen Vereinbarungen brauchen wir noch mehr, auch wenn Erdogan oder die Regierenden in anderen Ländern nicht die Demokraten sind, wie wir sie uns vorstellen. Das muss die nächste Bundesregierung anpacken.
Bei den Abschiebungen können die Länder nicht besser werden?
Reul: Wir in Nordrhein-Westfalen schieben jährlich in etwa so viele Menschen ab, wie in einem Monat zu uns kommen. Das reicht hinten und vorne nicht, weil Abschiebungen rechtlich sehr komplex sind. Da reichen Anpassungen allein nicht aus. Aber natürlich lassen sich Dinge verbessern. Wenn jemand abgeschoben werden soll und kurz vor dem Einsteigen ins Flugzeug sagt, „Meine Freundin bringt sich um, wenn ich heute Deutschland verlassen muss“, wird die Rückführung abgebrochen. Es muss weniger Möglichkeiten geben, eine Abschiebung juristisch ständig infrage zu stellen.
Friedrich Merz prangert gerade auffällig oft die alarmierenden Zahlen von häuslicher Gewalt gegen Frauen an. Warum stimmt die Union dem Gewalthilfegesetz von SPD und Grünen nicht zu, das betroffenen Frauen zum Beispiel einen Rechtsanspruch auf kostenlosen Schutz im Frauenhaus geben will?
Reul: In der Frage, dass da was passieren muss, sind sich alle einig. Aber die Bundesregierung will jetzt schnell ein unausgegorenes Gesetz auf den Weg bringen, ohne mit der Union zu verhandeln. Es braucht mehr als das, was jetzt auf dem Tisch liegt. Warum wollen SPD und Grüne da nicht nachbessern?
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Beobachten Sie eine Zunahme von Gewalt in der Gesellschaft insgesamt?
Reul: Ja. Mich treibt das um. Beispiel Schulhöfe und Jugendgewalt: Früher wurde geschubst, heute tritt man direkt auf den Kopf. Es gibt eine große Ratlosigkeit, wie damit umzugehen ist. Die wachsende Gewalt von Kindern und Jugendlichen ist beispielsweise für unsere Gesellschaft besonders problematisch.
Wie wollen Sie dem begegnen?
Reul: Ich bin offen dafür, über die Altersgrenze der Strafmündigkeit zu diskutieren. Klar ist für mich aber: Wer mit 14 Jahren eine schwere Straftat begeht, muss schwerere Konsequenzen spüren, als das heute der Fall ist. Außerdem müssen wir Prävention und Abschreckung verbessern. Beamte in Uniform sind auch bei Kindern und Jugendlichen eine Autorität. Warum nutzen wir das nicht? Wir könnten Polizisten gezielt in die Schulen schicken, damit sie Jugendlichen klar machen, was ihnen droht, wenn sie straffällig werden.
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