Berlin. Scholz-Telefonat, Trumps Wahlsieg, Ukraine-Krieg – wohin steuert Russland? Der deutsche Botschafter in Moskau gewährt tiefe Einblicke.
Das Telefonat zwischen Bundeskanzler Scholz und Russlands Präsidenten Putin sei ein offener Meinungsaustausch gewesen, berichten russische Staatsmedien. Zum ersten Mal seit fast zwei Jahren sprachen beide miteinander. Mit altbekannten Argumenten. Scholz habe Putin zum Truppenabzug aus der Ukraine gedrängt. Putin wiederum beharrte auf den „neuen territorialen Realitäten“. Und Ukraines Präsident Selenskyj zeigte sich verärgert. Mit dem Telefonat öffne der Kanzler eine Büchse der Pandora und spiele Moskau in die Hände.
Seit 2023 ist der 58-jährige Alexander Graf Lambsdorff deutscher Botschafter in Russland. Zuvor war der Diplomat für die FDP im Deutschen Bundestag und im Europaparlament. Im Interview mit unserer Redaktion sagt Lambsdorff: „Putin muss begreifen, dass wir die Ukraine so lange wie nötig unterstützen werden.“
Herr Botschafter, in den USA ist Donald Trump gewählt. Gleichzeitig gibt es den Bruch der Ampel in Deutschland. Wie nimmt Russland dies alles wahr?
Alexander Graf Lambsdorff: Russland hat zur Wahl in den USA über viele Monate eine aufgesetzte Gleichgültigkeit vor sich hergetragen. Nach dem Motto: Wer in den USA regiert, ist gar nicht so wichtig. Die Beziehungen seien ohnehin schlecht und noch schlechter könnten sie gar nicht werden. Bis dann Präsident Putin von sich aus sagte, er würde mit Trump reden. Also eine Bereitschaft, wieder miteinander zu sprechen, das ist erstmal gut. Ob so ein Gespräch dann wirklich Substanz hat, hängt stark von den Umständen ab.
Zur deutschen Situation ist man hier relativ gelassen. Neben der Propaganda gibt es aber auch russische Gesprächspartner, die einen verfassungsgemäß ablaufenden Prozess in Deutschland sehen. Da gibt es wenig Aufregung.
Knallen nach der US-Wahl in Moskau jetzt die Champagner-Korken, oder ist man eher abwartend?
Lambsdorff: Der eine oder andere denkt sicher, der Trump, das ist so ein Typ, den schätzen wir hier als starken Mann. Es gibt die Hoffnung, dass sich die Politik der Unterstützung für die Ukraine in den USA vielleicht verändere, aber auch noch keine Sicherheit, dass es tatsächlich in diese Richtung geht. Denn Trump war ja schon einmal Präsident und damals hatte man ganz ähnliche Hoffnungen. Konkret, man könne irgendwelche Deals zu Lasten Dritter machen. Das hat sich aber nicht bewahrheitet. Im Gegenteil, Trump hat in seiner ersten Amtszeit viele Sanktionen gegen Russland verhängt.
Es wird viel spekuliert über eine demilitarisierte Zone, angeblich ein Vorschlag von Trump. Könnte es demnächst in der Ukraine einen Waffenstillstand oder gar Frieden geben? Was bedeutet das für uns?
Lambsdorff: Wir wünschen uns natürlich, dass Russland seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine beendet. Dafür unterstützt Deutschland die Ukraine jeden Tag, denn es geht auch um unsere Sicherheit in Europa, in Deutschland. Aber zurzeit sehen wir ständig neue Angriffe, nachts aus der Luft, tagsüber am Boden. Ich will hier keine Diskussion darüber beginnen, ob es eines Tages eine Kontaktlinie, eine Waffenstillstandslinie, eine demilitarisierte Zone geben soll, ob da Beobachter drin wären oder nicht. Das mögen alles Details für spätere Verhandlungen sein. Jetzt gerade bombardiert Russland jeden Tag die Ukraine und wir sind deshalb leider noch nicht an dem Punkt, wo man das diskutieren kann. Aber es ist doch völlig klar, dass Europa eine Rolle in der Befriedung dieses Krieges haben wird.
Wie kommentieren Sie in diesem Zusammenhang das Gespräch von Scholz mit Putin?
Lambsdorff: Ich habe ja von der Rolle Europas bei der Befriedung dieses Kriegs gesprochen. Es ist nur folgerichtig, dass der Bundeskanzler und die Bundesregierung Russland zur Beendigung des Krieges, zum Rückzug seiner Truppen und zu Verhandlungen mit der Ukraine mit dem Ziel eines gerechten und dauerhaften Friedens drängen.
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Sie sind jetzt über ein Jahr in Moskau als Botschafter, Sie sind kein ‚Russland Neuling‘, aber trotzdem: Wie erleben Sie persönlich Russland und Moskau. Was hat sich verändert?
Lambsdorff: Ich war 1982 das erste Mal hier, seitdem viele Male wieder und die Stadt hat sich schon sehr verändert. Das Ende der Sowjetunion und die Einführung der Marktwirtschaft haben der Stadt ein völlig neues Gesicht gegeben. Die Gebäude sind hergerichtet, die Läden sind voll. Leider sind diese ganzen kleinen Kioske verschwunden, die das Straßenbild hier früher so charmant geprägt haben. Das macht es manchmal ein bisschen steril. Was in den letzten 30 Monaten neu zu sehen ist, sind die Propagandaplakate, mit denen die Bewohner Moskaus aufgefordert werden, sich als Freiwillige zu den Streitkräften zu melden. Wo früher kommunistische Parteipropaganda war, sehen wir jetzt Propaganda fürs Militär. Das ist auch eine Veränderung. Leider keine, die man irgendwie positiv finden kann.
Sie haben ganz zu Anfang gesagt, sie wollen eigentlich so viel wie möglich mit ‚normalen‘ Russinnen und Russen reden. Bleibt da überhaupt noch Zeit? Im diplomatischen Alltag?
Lambsdorff: Tatsächlich kaufe ich hin und wieder auch mal einen Liter Milch. Das ist nun mal so. Man muss die ganz normalen täglichen Dinge tun, die man macht, wenn man hier lebt, Supermarkt, Tankstelle und so weiter. Und es gibt das ein oder andere Gespräch. Da erlebe ich praktisch ausschließlich positive Reaktionen, wenn ich sage, dass ich aus Deutschland bin. Die Propaganda, der Westen sei gegen die Russen als solche eingestellt, die verfängt erkennbar nicht.
Zu Veranstaltungen der Botschaft laden Sie immer wieder Menschen aus der russischen Zivilgesellschaft ein. Von Organisationen, die ums Überleben kämpfen oder vielleicht schon verboten sind. Wie wichtig ist Ihnen das?
Lambsdorff: Das sind für uns ganz wichtige Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner. Das sind Menschen, die hier unter schwierigsten Umständen für Demokratie, Menschenrechte, Pressefreiheit, akademische Freiheit, Kunstfreiheit eintreten. Das sind Werte, die wir teilen. Sie einzuladen, ist auch ein politisches Signal. Ich freue mich sehr, wenn sie kommen, denn natürlich ist es nicht völlig frei von Risiken, sich in eine westliche Botschaft zu begeben.
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Wie gefährdet sind Deutsche, die hier leben und arbeiten?
Lambsdorff: Wir gehen von 30.000 bis 40.000 Deutschen aus, die nach wie vor in Russland leben. Darunter sind sehr viele Doppelstaatler, die natürlich besonderen Risiken ausgesetzt sind, weil sie hier im Inland für die russischen Behörden nur als russische Staatsangehörige gesehen werden und uns deshalb eine konsularische Betreuung versagt wird. Was die Gefährdung angeht, so gilt ganz klar, dass Russland kein Rechtsstaat ist. Wer hier in die Mühlen der Justiz gerät, hat es sehr schwer. Wir können hier niemanden aus dem Gefängnis holen. Ich rate daher allen, sich die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes sehr genau anzuschauen. Und da steht ganz klar drin, dass, wer nicht zwingende Gründe hat, nach Russland zu reisen oder sich hier aufzuhalten, sich das sehr gut überlegen sollte.
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