Berlin/Kasan. Russlands Präsident isoliert? Von wegen: Putin empfängt zum Gipfeltreffen. Doch nicht alle Gäste folgen ihm so, wie er es gerne hätte.
So mag es Wladimir Putin: Der russische Präsident lädt ein und die Staatenlenker aus dem Rest der Welt kommen. Zumindest aus bestimmten Teilen der Welt. Auf Einladung Putins tagen in diesen Tagen die Brics-Staaten. Aus Sicht des Herrschers im Kreml ist das Bündnis die Grundlage für eine neue Weltordnung, die nicht von den USA dominiert wird. Putin demonstriert außerdem, dass er mächtige Verbündete hat, die ihn nicht wegen seines Angriffs auf die Ukraine ächten.
Wer sind die Brics-Staaten?
Der Kern der Gruppe aufstrebender Industriestaaten sind Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, aus deren Anfangsbuchstaben sich der Name zusammensetzt. Seit Jahresbeginn zählen auch Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate zu dem Kreis der Länder mit wachsender geopolitischer Bedeutung. Weitere Länder sollen aufgenommen werden. In den aktuellen Mitgliedstaaten leben mit rund 3,6 Milliarden Menschen 45 Prozent der Weltbevölkerung, sie erwirtschaften ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung – und sie sind verantwortlich für mehr als die Hälfte der weltweiten CO2-Emissionen.
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In jeder dieser Kategorien wird der globale Fußabdruck der Staatengruppe in Zukunft wachsen. Die G7-Gruppe westlicher und demokratischer Wirtschaftsmächte um die USA, Deutschland und Frankreich wird immer wieder als Klub der Mächte von gestern bezeichnet. Geht es nach Putin, vereinen sich in der Brics-Runde die Mächte von morgen – und grenzen sich damit von westlichen Demokratien ab.
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Welche Bedeutung hat der Gipfel für Putin?
Für den russischen Präsidenten ist das Treffen eine Genugtuung, schließlich haben die USA, Deutschland und andere westliche Staaten Putin nach dem Angriff auf die Ukraine mit Strafmaßnahmen belegt und versucht, ihn politisch und wirtschaftlich aus der internationalen Ordnung auszustoßen. „Putin kann mit diesem Gipfel zeigen, dass er trotz der westlichen Sanktionen nicht isoliert ist“, sagt der Russland-Kenner Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) dieser Redaktion. „Er sitzt mit wichtigen Staatsführern zusammen, die zu ihm nach Russland kommen. Putin präsentiert eine Alternative zu den westlichen Institutionen – mit sich als Gastgeber des Gipfels in führender Rolle.“
Insgesamt erwartet Russland bis Donnerstag Vertreter aus 36-Ländern, darunter der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, dessen Land Nato-Mitglied ist. Nach russischen Angaben kommt auch UN-Generalsekretär António Guterres. Die Ukraine kritisierte daraufhin empört, dass Guterres die „Einladung des Kriegsverbrechers Putin“ angenommen habe.
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„Für Putin ist der Gipfel das bedeutendste außenpolitische Ereignis des Jahres“, heißt es in einer Analyse der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Dem russischen Präsidenten kommt es nicht nur im Sinne seiner Selbstdarstellung gelegen, dass er den Gipfel ausrichtet: Infolge des Ukraine-Kriegs ist der Machthaber mit einem internationalen Haftbefehl belegt, was seine Möglichkeiten zu Auslandsreisen stark einschränkt.
Wie stehen die Brics-Staaten zum Ukraine-Krieg?
Der Iran unterstützt Russland militärisch im Krieg gegen die Ukraine, etwa mit der Lieferung von Drohnen. China ist Russlands wichtigster Verbündeter: Staatschef Xi Jinping gibt Putin Rückendeckung und erlaubt trotz mehrfacher Ermahnungen des Westens die Lieferung von Gütern, die auch militärisch genutzt werden können. Länder wie Indien und Brasilien stellen sich nicht klar gegen Russland. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte bei Reisen in diese Staaten versucht, diese für die Sicht der Verbündeten der Ukraine auf den Krieg zu gewinnen, um Druck auf Putin aufzubauen.
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„Der Gipfel zeigt, dass sich die großen Länder in Asien, Afrika und Südamerika hinsichtlich des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine nicht auf die westliche Sichtweise festlegen lassen“, analysiert DGAP-Experte Meister. Der Versuch des Westens, diese Staaten in dem Konflikt auf seine Seite zu holen, habe nicht funktioniert. „Es ist für den Westen einfach nicht mehr möglich, andere Staaten dazu zu zwingen, seiner Politik zu folgen. Wir sehen hier die Grenzen westlicher Politik“, sagt Meister.
Indien und Brasilien hatten in der Vergangenheit Vorschläge gemacht, um einen Frieden in der Ukraine zu vermitteln. Diese waren aus Sicht der Ukraine jedoch unannehmbar. Nachdem Putin ihn am Dienstag mit einer Umarmung in Kasan begrüßt hatte, erneuerte Indiens Regierungschef Narendra Modi das Angebot, auf der Suche nach Frieden zu vermitteln. Brasiliens Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva kommt wegen einer Kopfverletzung nicht nach Russland, hatte aber angekündigt, per Videoschalte teilzunehmen.
Warum braucht Putin diese Partner?
Russland ist eine Militärmacht, aber anders als China oder Indien keine Wirtschaftsmacht. Der Westen hat die Handelsbeziehungen zu Russland infolge des Angriffs auf die Ukraine abgebrochen und Sanktionen verhängt. Davon profitiert zum Beispiel Indien, das nun russisches Öl zu niedrigen Preisen kauft. Putin will die finanzielle Zusammenarbeit in der Brics-Gruppe vertiefen und eine Alternative zum westlichen System des Finanzdatenaustauschs Swift aufbauen, von dem russische Banken 2022 abgeschnitten worden waren. Doch andere Staaten wie China und Indien haben kein Interesse daran, die Verbindungen zu Handelspartnern wie Deutschland und den USA zu kappen.
Geht Putins Plan auf?
Der Idee eines eindeutig gegen den Westen gerichteten Bündnisses folgen viele der Gipfelteilnehmer nicht. „Das Lagerdenken Putins, der sich in Kasan als Anführer einer antiwestlichen Gruppe inszenieren will, ist in der multipolaren Welt von heute überholt“, findet Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD). „Das zeigt sich auch daran, dass viele der Brics-Gäste zugleich auch bei G7-Treffen vertreten sind und gut mit uns zusammenarbeiten.“
Indiens Regierungschef Modi wird kurz nach seiner Rückkehr aus Russland bereits am Freitag Scholz und weitere deutsche Kabinettsmitglieder zu deutsch-indischen Regierungskonsultationen empfangen. Brasilien richtet im November den G20-Gipfel aus, an dem neben Deutschland und den anderen G7-Mächten etwa auch China, Indien und Südafrika teilnehmen.
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Nach Analyse von Politikwissenschaftler Meister wird die Welt von morgen von mehreren Kraftzentren geprägt sein, nicht von zwei sich gegenüberstehenden Blöcken. Er verweist auf den Pragmatismus Modis oder Lulas: „Die Staatschefs von Ländern wie Indien und Brasilien treffen sich mit Putin ebenso wie mit Scholz“, erläutert der DGAP-Fachmann. Diese wollten sich nicht festlegen und zu einem Block gehören, sondern flexibel Geschäfte machen mit allen Seiten. „Das ist die Zukunft der neuen globalen Ordnung.“
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