Berlin. Elina Valtonen hat Russland gegenüber keine Illusionen. Europa muss sich stärker rüsten. Putin verstehe nur eine Sprache.
Finnland hat eine mehr als 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland. Das schärft den Blick auf den Nachbarn. Die finnische Außenministerin Elina Valtonen von der konservativen Nationalen Sammlungspartei sagt bei ihrem Besuch in Berlin im Interview mit unserer Redaktion, warum Deutschland und nicht Finnland das Hauptziel von Putins hybridem Krieg ist. Sie erklärt, warum die Ukraine auch weitreichende Waffen braucht und dass Putin nur eine Sprache versteht.
Finnland hat seine 1340 Kilometer lange Grenze zu Russland geschlossen. Was hat dieser drastische Schritt gebracht?
Elina Valtonen: Es ist jetzt ziemlich ruhig. Wir haben die Grenze im November vergangenen Jahres dichtmachen müssen. Erst haben wir es schrittweise versucht und haben nicht alle Grenzübergänge geschlossen. Russland hat aber damit weitergemacht, Migranten an die Grenze zu bringen, deshalb mussten wir sie komplett schließen. Das ist nicht optimal, aber wir hatten keine andere Wahl. Der russische Präsident Putin hat die Menschen zum Teil seiner hybriden Kriegsführung gemacht. Das ist instrumentalisierte Migration.
Bedroht diese hybride Kriegsführung Finnlands Sicherheit?
Russland darf nicht entscheiden, wer durch unsere Grenze kommt. Das können wir nicht akzeptieren, das ist eine Bedrohung für uns. Man stelle sich vor, Russland leert ein Gefängnis und bringt alle Inhaftierten, zum Beispiel Kriegsverbrecher, an die Grenze zu Finnland. Da würde schon eine geringe Anzahl von Menschen reichen, um die Sicherheit Finnlands und am Ende auch der EU und der Nato zu gefährden.
Trauen Sie Putin so was zu?
Ich traue Putin alles zu.
Wie sieht die hybride Kriegsführung aus, unter der Finnland leidet?
Das sind zum einen die ständigen Cyberangriffe, zum anderen die Sabotage. Wir wissen, dass Russland die finnische Infrastruktur im Blick hat und gezielt nach Schwachstellen sucht. Dazu kommt die Desinformation von Menschen. Neue Untersuchungen sagen, dass Finnland gar nicht das Hauptziel von Russlands hybrider Kriegsführung ist, sondern Frankreich und Deutschland. Vor allem die Desinformation hat das Ziel, dass die Unterstützung für die Ukraine nachlässt.
Wird in Deutschland die Gefahr, die von Russland ausgeht, immer noch unterschätzt?
Ich glaube das nicht. Aber worin sich vielleicht das Denken in Deutschland und Finnland unterscheidet, ist der Umgang mit der Bedrohung. In Deutschland hört man dem russischen Narrativ besser zu und folgt ihm. Und das geht so: Der Westen bedroht Russland. Die Nato-Osterweiterung ist Ursache dafür, dass Russland sich so verhält. Ich kann nur sagen: nein! Finnland hat Russland nie bedroht. Wir sind 5,5 Millionen Menschen, wir wollen doch gar nichts von Russland. Das ist krankes Denken. In den letzten Jahrzehnten haben wir alle im Westen versucht, Russland unter anderem durch Handel in eine Zusammenarbeit miteinzubeziehen. Außerdem ist die Nato ein Verteidigungsbündnis und stellt auch deshalb keine Bedrohung dar.
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Sie kennen Deutschland und die Deutschen gut.
Ich habe fast meine gesamte Schullaufbahn in Deutschland oder an einer deutschen Schule verbracht. Ich weiß, wie gut der Zweite Weltkrieg hierzulande aufgearbeitet worden ist. Man bekommt bis heute immer noch etwas Mitschuld davon mit. Aber die Grausamkeiten der Sowjetunion wurden nie verarbeitet. Nicht in Russland und auch nicht woanders, obwohl die Brutalitäten in der Sowjetunion auch furchtbar waren.
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Sie sagen, man muss die Ukraine in der Verteidigung gegen Russland stark machen. Deutschland weigert sich aber, weitreichende Waffen zu liefern. Ist das richtig?
Ich möchte nicht kommentieren, was unsere Freunde und Partner an souveränen Entscheidungen fällen. Im Rahmen des Völkerrechts darf man auch militärische Ziele außerhalb der eigenen Landesgrenzen angreifen – also auf der Seite des Aggressors. Die Ukraine hat das Recht auf Selbstverteidigung und das Recht, Hilfe von außen dafür anzunehmen.
Tut Europa genug für seine Verteidigung gegen Russland?
Nein. Europa muss mehr in die eigene Verteidigung und Abschreckung investieren. Das müssten mindestens die zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sein, die die Nato fordert. Aber künftig brauchen wir noch sehr viel mehr. Wir müssen endlich erwachsen werden. Es ist wichtig, dass wir mit den USA zusammenarbeiten. Das werden wir machen – ganz egal, wer nach der Wahl ins Weiße Haus einzieht. Aber: Wir können nicht abhängig sein von den Vereinigten Staaten. Wir müssen künftig viel stärker sein und unser eigenes Gewicht tragen.
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Wie könnte ein Frieden mit Russland aussehen?
Ein Frieden könnte mit einer glaubwürdigen Abschreckung gelingen. Putin ist ein Diktator, der nur Stärke versteht. Friedensverträge, die nicht mit gültigen und glaubwürdigen Sicherheitsgarantien oder eigener Abschreckung verbunden sind, haben auf lange Sicht keinen großen Wert. Ich möchte noch mal betonen: Alle hoffen auf Frieden, und niemand wünscht sich den Frieden mehr als die Ukraine. Aber wenn man denkt, dass man den Krieg beenden kann, indem man der Ukraine keine Waffen mehr liefert, dann kann ich nur sagen: Das führt nicht zum Ende des Krieges, es führt zum Ende der Ukraine.
Noch eine ganz andere Frage: Die Finnen sind laut Glücksatlas seit Jahren die glücklichsten Menschen. Die Deutschen landen weit dahinter. Sie kennen beide Welten. Warum können die Deutschen nicht glücklich sein?
Na ja … Ich finde, die Deutschen sind eigentlich auch glückliche Menschen. Wenn ich nur über Finnland spreche, dann geht es bei uns vielleicht darum, dass wir glücklich sind, unsere Freiheit und unsere Menschenrechte zu haben. Wir sind ein Teil der nordischen Familie, die die gleichen Werte teilt. Wir sind ein Land, wo jedes Kind, egal, wo es herkommt und ob die Familie arm oder reich ist, welcher Religion sie angehört, die Möglichkeit hat, sein Leben ganz frei und so zu gestalten, wie es möchte. Wir setzen auf Gleichberechtigung, vor allem aber gibt es Sicherheit und Vertrauen in unsere Gesellschaft.