Brüssel. Der ukrainische Präsident kämpft beim EU-Gipfel und einem Nato-Treffen für seinen Plan. Die Probleme, warum er an Atomwaffen denkt.
Es sieht nicht gut aus für den Siegesplan des ukrainischen Präsidenten, aber Wolodymyr Selenskyj kämpft unerschüttert weiter: „Wir können den Krieg spätestens 2025 beenden“, drängt er im großen Saal des EU-Ratsgebäudes in Brüssel, wo ihn die 27 Staats- und Regierungschefs der EU zum Auftakt ihres Gipfeltreffens freundlich empfangen. Die Ukraine stehe vor einem „gefährlichen Winter“, sie müsse jetzt gestärkt werden, um danach eine diplomatische Lösung zu erreichen, sagt Selenskyj. Er wolle „Frieden durch Drohungen“ erreichen.
Alles hänge vom Willen der westlichen Partner ab: Die müssten mehr Waffen liefern und für Angriffe auf Russland freigeben, die Ukraine schnell und bedingungslos in die Nato einladen, ein größeres konventionelles Waffenarsenal zur Abschreckung Russlands in der Ukraine deponieren – so die wesentlichen Punkte des Siegesplans.
Auch interessant
Selenskyjs Siegesplan: Die zentralen Punkte bleiben unerfüllt
Ein paar Stunden später und vier Kilometer entfernt wiederholt der Präsident die Forderungen auch im Nato-Hauptquartier, wo sich die Verteidigungsminister der Allianz treffen. Doch die Antworten sind hier wie dort eher enttäuschend. Zwar bekräftigen die Spitzen der EU und die Nato-Minister die weitere Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen die russischen Angreifer und erneuern Hilfszusagen von zusammen rund 75 Milliarden Euro.
Aber die zentralen Punkte des Siegesplans bleiben unerfüllt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) macht beim Gipfel wie andere Regierungschefs klar, dass es bei den Streitfragen wie dem schnellen Nato-Beitritt oder Taurus-Lieferungen keine Bewegung gibt: „Sie kennen die Haltung Deutschlands in den Fragen, die da berührt sind. Daran wird sich auch nichts ändern“, sagt Scholz kühl. Selenskyj hat den Kanzler kürzlich erneut um die Lieferung von Taurus-Marschflug gebeten, solche Waffen sind Bestandteil eines geheimen Anhang seines Plans.
Ukraine wird Schritt für Schritt in die Nato-Strukturen einbezogen
Auch im Nato-Hauptquartier trifft Selenskyj auf verhaltene Reaktionen: „Die Ukraine wird dem Bündnis natürlich beitreten, wenn die Zeit reif ist“, hatte dort Nato-Generalsekretär Mark Rutte schon vorab klargestellt, „aber ich kann heute noch nicht genau skizzieren, wie dieser Weg aussehen wird.“ Er könne deshalb nicht zusagen, dass er den gesamten Siegesplan unterstütze. Beim Nato-Gipfel in Washington im Juli hatten vor allem die USA und Deutschland beim Beitritt gebremst. Die Befürchtung: Der Krieg könne eskalieren, die Allianz könne unmittelbar in den Konflikt hineingezogen werden. Rutte bekräftigt aber, dass die Ukraine „unumkehrbar“ auf dem Weg in das Verteidigungsbündnis.
Tatsächlich wird die Ukraine Schritt für Schritt bei der militärischen Ausbildung, Zusammenarbeit und Ausrüstung in die Nato-Strukturen einbezogen. Selenskyj argumentiert, die Einladung zur Bündnismitgliedschaft jetzt sei der Ausgangspunkt seines Siegesplans, denn das würde seine Position für Verhandlungen stärken und sei ein klares Signal an Putin, dass sein zentrales Kriegsziel gescheitert sei.
Viktor Orban teilt gegen Selenskyj aus
Der Präsident wirbt auch für weitere Elemente des Plans: Dazu gehört, dass westliche Partner – konkret wohl vor allem Polen - mit ihren Abwehrwaffen russische Raketen und Drohnen über der Ukraine abschießen sollen, sowie ein Abkommen, in dem sich Partner verpflichten, die wertvollen Rohstoffvorkommen der Ukraine etwa an Uran oder Lithium zu schützen und zu entwickeln. Schließlich bietet Selenskyj an, die USA in Europa zu entlasten, in dem nach dem Krieg ukrainische Streitkräfte in Westeuropa stationiert würden. Auch solche Punkte finden kaum Anklang in Brüssel. Selenskyj legt deshalb später am Rande des Gipfels nach - und droht indirekt mit einer eigenen Nuklearbewaffnung: „Entweder wird die Ukraine Atomwaffen haben, und dann werden sie unsere Verteidigung sein. Oder wir müssen eine Art von Bündnis eingehen“, sagte der Präsident, fügte hinzu: „Außer der Nato kennen wir heute keine wirksamen Bündnisse.“
Immerhin erneuern die Regierungschefs in der Gipfelerklärung ihre Verpflichtung, die Ukraine so lange wie nötig zu unterstützen – politisch, finanziell, wirtschaftlich, humanitär, militärisch und diplomatisch, heißt es in dieser Reihenfolge im Erklärungsentwurf. Mehr ist nicht drin, das verhindert schon der ungarische Premier Viktor Orban. Der nennt Selenskyjs Siegesplan „mehr als beängstigend“ und mahnt, statt mehr Waffen sei ein Waffenstillstand nötig.
Der Gipfel sichert aber erneut zu, dass die EU mit 35 Milliarden Euro den Großteil der von den G7-Staaten zugesagten 45-Milliarden-Finanzhilfen beisteuert. Selenskyj drängt auf die Zahlung, die Ukraine brauche das Geld schnell für die Produktion von Drohnen und Gerät zur elektronischen Kriegsführung. Scholz nennt die Milliardenhilfe ein wichtiges Zeichen der Solidarität und ein Signal an Russlands Präsident Wladimir Putin, der nicht auf ein Nachlassen der westlichen Unterstützung spekulieren dürfe. Die Ukraine, sagt Scholz, müsse ausreichend Mittel erhalten, um sich selbst zu verteidigen.
- Militärgerät: Ukraine treibt potente Rakete voran – was sie kann
- Ukraine blickt auf USA: Trumps neue Amtszeit als Chance im Krieg?
- Ukraine-Krieg: Noch bleiben die Atomkraftwerke verschont
- Erfindung: Neue Raketen-Drohne soll russische Flugplätze pulverisieren
- Kriminelle an die Front? „Natürlich gibt es Parallelen“