Seoul. Mit einem Waffentest sorgt Peking weltweit für Überraschung. Die Aktion wirft ein Licht auf die unverhohlene Aufrüstung des Landes.
Am Mittwochmorgen um 8.44 Uhr Ortszeit flog die chinesische Interkontinentalrakete, ausgestattet mit einer Sprengstoffattrappe, in hohem Bogen in den Pazifik. Für die Weltöffentlichkeit war der Waffentest eine riesige Überraschung. Doch Sprecher Zhang Xiaogang vom Verteidigungsministerium hingegen sprach von reiner „Routine“: Der Test steht „im Einklang mit dem Völkerrecht und richtet sich nicht gegen ein bestimmtes Land oder Ziel“.
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Doch von Routine kann tatsächlich gar keine Rede sein, denn Chinas letzter Start einer Interkontinentalrakete über dem Pazifik liegt gut 44 Jahre zurück. Was also will die Volksbefreiungsarmee mit dieser militärischen Machtdemonstration bezwecken?
Laut Experten ist die vielleicht wichtigste Botschaft, dass das notorisch intransparente China den Raketentest überhaupt öffentlich gemacht hat. Offensichtlich möchte es Stärke nach außen projizieren.
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China signalisiert: US-Territorium könnte mit Atomwaffen erreichbar sein
Und auch wenn das Säbelrasseln laut Angaben des Verteidigungsministeriums nicht gegen ein bestimmtes Land gerichtet ist, dürfte dies in der Region anders interpretiert werden. „Sie signalisieren, dass China in der Lage ist, US-Territorium mit Atomwaffen zu treffen“, zitiert die „Financial Times“ den taiwanischen Professor Lin Ying-yu. Jener Raketentest würde die Verhandlungsposition Pekings stärken, ehe Xi Jinping in den kommenden Wochen ein mutmaßlich letztes Telefongespräch mit US-Präsident Joe Biden abhält.
Doch auch bei Chinas direkten Nachbarn wird die rasante militärische Aufrüstung mindestens ebenso skeptisch beäugt. So haben sowohl Japan, Indien, Bhutan, Vietnam, Taiwan als auch die Philippinen ungelöste territoriale Streitigkeiten mit dem Reich der Mitte. Weitere Konflikte, darunter auch mit Russland und Nordkorea, sind zwar derzeit beigelegt, doch könnten jederzeit wieder ausbrechen.
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Derzeit ist die Volksbefreiungsarmee zudem besonders aktiv. So hat sie in den letzten Monaten nicht nur regelmäßige Militärübungen auf See und See und in der Luft durchgeführt, darunter auch gemeinsam mit den Armeen Russlands und des Iran. Sondern erstmals ließ die chinesische Marine am Mittwoch sämtliche der drei chinesischen Flugzeugträger gleichzeitig in See stechen. Vom taiwanischen Verteidigungsministerium heißt es ebenfalls, dass man aktuell „intensive Raketentestübungen und andere Aktivitäten“ der Volksbefreiungsarmee beobachtet habe.
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China steigert Militärbudget seit Jahrzehnten – Armee noch mächtiger als gedacht
Fakt ist: China steigert sein Militärbudget seit über drei Dekaden jährlich um mindestens sechs Prozent. Kritiker wenden zwar ein, dass dieses mit insgesamt 232 Milliarden Dollar nach wie vor nur ein Bruchteil des US-Etats ausmacht. Jedoch greift dieser Vergleich zu kurz – allein schon, weil die absoluten Zahlen aufgrund der unterschiedlichen Kaufkraft zwischen den zwei Staaten eben nicht vergleichbar sind.
Doch in China gibt es zudem etliche versteckte Kostenpunkte des Militärs, die aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht in den offiziellen Zahlen auftauchen. Zudem hat Xi Jinping eine Strategie der sogenannten „militärisch-zivilen Fusion“ forciert, die unter anderem beinhaltet, dass das Militär auf sämtliche Forschungsergebnisse der Universitäten und technologische Errungenschaften von Staatsunternehmen weitgehend ohne Restriktionen zugreifen kann. Die Volksbefreiungsarmee ist also um ein Vielfaches mächtiger, als sie auf dem Papier erscheinen mag.
Was die internationale Staatengemeinschaft jedoch am stärksten beunruhigen sollte, ist die nukleare Aufrüstung Chinas. In den letzten drei Jahren konnten US-Forscher aufgrund von Satellitenbildern mehrfach neue Nuklearsilos in den nordwestlichen Wüstengebieten der Volksrepublik entdecken. Derzeit schätzt Washington, dass China bereits über rund 500 Nuklearwaffen verfügt. Und sollte dieser Trend anhalten, dürfte China innerhalb des nächsten Jahrzehnts mit Russland und den USA aufschließen – jenen zwei Staaten mit den weltweit meisten Atomwaffen in ihren Beständen.
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China: Atomwaffen nicht mehr nur als Abschreckung?
Vor allem aber stellt sich die Frage, warum Xi Jinping überhaupt weiter nuklear aufrüstet. Denn für die ursprüngliche Strategie der sogenannten Zweitschlagfähigkeit hat das Land längst mehr als genug Sprengköpfe. Die Gleichung ist simpel: China brauchte lediglich ausreichend Atomwaffen, um einen amerikanischen Erstschlag zu überleben, und anschließend einen Gegenangriff zu starten. Dass Peking nun sein Arsenal aufstockt, ergibt also gemessen an der ursprünglichen Strategie keinen Sinn. Es sei denn, Chinas Staatsführung hat ebenjene geändert – und nutzt seine Atommacht von reiner Abschreckung nun möglicherweise als Druckmittel, um politische Ziele durchzusetzen.
Der Waffentest vom Mittwoch soll nicht zuletzt auch die Funktionsfähigkeit der chinesischen Raketenstreitkräfte unter Beweis stellen. Diese waren nämlich innerhalb der letzten Jahre von einer beispiellosen Säuberungswelle betroffen, bei der es nach offiziellen Angaben um Korruption gegangen sein soll. Mehrere hochrangige Militärs wurden von der Parteiführung entfernt. Das Signal nach außen war damals verheerend: Dass selbst hochrangige Generäle korrupt sind, warf kein gutes Licht auf die Disziplin innerhalb der Volksbefreiungsarmee – und letztlich auch auf die Personalführung Xi Jinpings.
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