Berlin. Immer mehr Politiker sehen die rigide Asylpolitik Dänemarks als Vorbild für Deutschland. Was läuft in Dänemark anders, was bringt es?
Nach dem islamistischen Terroranschlag von Solingen diskutiert Deutschland eine schärfere Gangart in der Migrationspolitik nach dem Vorbild Dänemark: Dort hat die Regierung einen knallharten Kurs eingeschlagen, mit deutlichem Ergebnis nicht nur bei den rückläufigen Asylbewerberzahlen. CDU-Chef Friedrich Merz lobt die „konsequente Flüchtlingspolitik“ Dänemarks und fordert Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) jetzt dazu auf, die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Dänemarks, Mette Frederiksen, einzuladen, um die deutsche SPD von dieser Ausländerpolitik zu überzeugen. Was ist dran am Dänemark-Modell, kommt es bald auch in Deutschland?
Es waren zuletzt die Sozialdemokraten, die Dänemarks Migrationspolitik stark nach rechts rückten und die Parole „Null Asyl“ ausgaben, auch um jene Wähler zurückzuholen, die zuvor zu den Rechtspopulisten abgewandert waren. Eingeleitet wurde die Wende schon vor zehn Jahren während der Flüchtlingskrise in einem weitreichenden politischen Konsens, möglichst wenig Asylbewerber ins Land zu lassen und dafür auch auf Abschreckung zu setzen.
Kernpunkte des „Modells Dänemark“: Asylbewerber müssen bis auf einige Ausnahmen in Sammellagern den Ausgang ihres Antrags abwarten. Sie erhalten relativ niedrige Sozialleistungen, oft auch als Sachleistung, abgelehnte Asylbewerber werden in Abschiebezentren untergebracht und bekommen ausschließlich Lebensmittel statt Geld. Es gibt strengere Regeln beim Familiennachzug, dafür aber Heimkehr-Prämien. Dänemark erlaubt auch die Abschiebung von Flüchtlingen in Teile Syriens, was in Deutschland bislang tabu war.
Asylpolitik in Dänemark: Kita-Pflicht, Bargeld-Abnahme, Anti-Ghetto-Gesetz
Für den Nachwuchs der Migranten besteht Kindergartenpflicht, Verstöße werden mit Kürzung der Sozialleistungen geahndet. Zu den besonders umstrittenen Maßnahmen zählt das sogenannte „Schmuck-Gesetz“: Die dänischen Behörden können Asylbewerbern Schmuck und Bargeld abnehmen, die den Wert von 10.000 Kronen (etwa 1340 Euro) übersteigen, um so die Kosten des Aufenthalts mitzufinanzieren. Abschreckend wirkt auch das sogenannte „Anti-Ghetto-Gesetz“: Es dürfen nicht mehr als 30 Prozent „nicht-westliche Ausländer“ in einem Stadtteil leben.
Um die Quote durchzusetzen, sind auch Zwangsumsiedlungen zulässig – die Regierung ließ dafür sogar schon Häuser abreißen. Straftaten wie Einbruch oder Diebstahl, die in einem sozialen Brennpunkt begangen werden, werden härter bestraft als anderswo. Hunderte ausländische Strafgefangene wurden in Gefängnisse im Kosovo überstellt, wo sie ihre Strafe absitzen, bevor sie anschließend in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden sollen. Dänemark hat auch Sprach- und Staatsbürgerschaftstests erschwert.
Auch interessant
Das Ergebnis ist eindeutig: Dänemark zählte einst zu den europäischen Top-Fünf mit der höchsten Asylbewerberquote – inzwischen gehört es in der EU mit Tschechien, Ungarn, der Slowakei und Litauen zu jenen fünf Ländern mit den wenigsten Asylbewerbern im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Voriges Jahr wurden nach Zahlen des EU-Statistikamtes Eurostat nur 2300 Asylbewerber registriert, das sind 188 Schutzsuchende auf eine Million Bürger. Zum Vergleich: In Deutschland stellten 329.000 Menschen einen Asylantrag, macht 3900 Erstanträge pro eine Million Einwohner – also gut 20-mal so viel wie beim Nachbarn im Norden.
Das zahlte sich für die seit 2019 wieder regierenden Sozialdemokraten aus: Die Wähler, die sie über Jahre an die Rechtspopulisten verloren hatten, konnten sie zurückholen. 2015 kam die rechtspopulistische, nationalkonservative Dansk Folkeparti auf 21 Prozent der Stimmen – bei der Parlamentswahl 2022 erzielte sie nur noch 2,6 Prozent. Verzweifelt versuchen die Rechtspopulisten, mit immer härteren Forderungen Aufmerksamkeit zu erringen, etwa dem Ruf nach Abschiebung auch der Familienangehörigen von Straftätern oder Schweinefleisch-Pflicht in Schul- und Kitakantinen. Als politisches Thema ist die Migrationspolitik in Dänemark aus der Diskussion weitgehend verschwunden, in der amtierenden Regierung aus Sozialdemokraten, Rechtsliberalen und Moderaten herrscht bei dem Thema Einigkeit.
CDU-Chef Friedrich Merz sieht Dänemarks Migrationspolitik schon seit längerem als Vorbild. Die sozialdemokratisch geführte Regierung mache eine Ausländerpolitik „mit großem Erfolg und hat nebenbei auf diese Weise dafür gesorgt, dass die Rechtsradikalen in Dänemark keine Rolle spielen“, erklärte Merz am Wochenende als Reaktion auf den Terroranschlag von Solingen. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht lobt, Dänemark habe gezeigt, dass „nationale Lösungen möglich sind”. Ähnlich äußert sich AfD-Chefin Alice Weidel. Auch in der FDP-Spitze heißt es, Deutschland solle sich ein Beispiel an Dänemark nehmen. Die Sozialdemokraten zögern allerdings, im konservativen Flügel gibt es Sympathien für den dänischen Weg, der linke SPD-Flügel ist ebenso wie die Grünen entschieden dagegen.
Migrationspolitik: Dänemark nutzt eine Ausnahmeregelung der EU
Allerdings: Dass Dänemark überhaupt diesen Sonderweg gehen kann, liegt an einer europäischen Ausnahmeregelung. Das EU-Recht im Migrationsbereich gilt für Dänemark nur teilweise. Die dänische Regierung hatte sich, als die Zuständigkeiten der EU auf den Bereich Inneres, Migration und Asyl ausgedehnt wurden, ausgehandelt, dass das Land daran nicht teilnehmen muss, sondern nur freiwillig einzelne Gesetze übernimmt. Für Deutschland ist das nicht der Fall. Die Bundesregierung müsste für den dänischen Weg erst in Brüssel eine EU-Vertragsänderung durchsetzen, was nicht absehbar ist und auf jeden Fall ein längerer Prozess wäre.
Der Migrationsexperte Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik (swp) in Berlin meint, der dänische Weg könne nicht „eins zu eins ein Modell sein“. Zum einen, weil Dänemark nicht an alle EU-Asylregelungen gebunden sei und damit mehr Handlungsspielraum habe. Wichtiger sei aber zum anderen: „Dänemark ist ein kleines Land und kann diese Politik auch auf Kosten anderer betreiben.“ Mit den strengen Regeln ließen sich zwar die Asylbewerberzahlen in Dänemark senken, aber das heiße nicht, dass die Migranten gar nicht mehr nach Europa kämen: Die gingen dann nur woanders hin, etwa nach Deutschland. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wirft Dänemark deshalb unsolidarisches Verhalten vor.
Die dänische Regierungschefin Frederiksen lässt sich davon allerdings nicht beirren: Der dänische Wohlfahrtsstaat, sagt sie, könne nur aufrechterhalten werden, wenn der Zuzug gestoppt oder wenigstens radikal eingeschränkt werde. Die bisherige Politik sieht die Ministerpräsidentin nur als Zwischenetappe: Ihr großes Projekt ist die Auslagerung der gesamten Asylverfahren in Drittstaaten. Die gesetzlichen Vorbereitungen sind getroffen, ein zentrales Aufnahmezentrum in Ruanda ist in Planung.