Berlin/Moskau. Mit Waffen von westlichen Verbündeten kämpft die Ukraine seit Tagen auf russischem Gebiet. Moskau droht, doch Kritik ist kaum zu hören.
Die Menschen in Kursk und den umliegenden Gebieten fühlen sich alleingelassen. „Unsere Verwandten, Ehemänner und Nachbarn verteidigen den Donbass“, schreibt ein Anwohner auf einem örtlichen Telegram-Kanal. „Wir haben unser Land verloren, wir haben unsere Häuser verloren, wir sind unter Beschuss geflohen.“ Sie appellieren an Russlands Präsidenten Wladimir Putin: „Wir haben unserer Armee geholfen. Bitte helfen Sie uns, unser Land zurückzubekommen.“
Kursk liegt im Westen Russlands, rund 500 Kilometer südlich von Moskau. Doch während in der russischen Hauptstadt wenig vom Krieg gegen die Ukraine zu spüren ist, ist das in der Region Kursk, nahe der Grenze zur Ukraine, in diesen Tagen anders. Mit einer überraschenden Offensive sind ukrainischen Truppen dort in dieser Woche in russisches Gebiet vorgestoßen. Und Russland gelingt es seit Tagen nicht, sie zurück über die Grenze zu drängen.
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Am Freitag meldeten russische Nachrichtenquellen zudem einen heftigen Drohnenangriff auf die Region Lipezk, ebenfalls im Südwesten Russlands. Auf einem Militärflugplatz bei Lipezk, rund 300 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, kam es zu massiven Explosionen. Den bereits geltenden Ausnahmezustand in der russischen Grenzregion zur Ukraine stuften die Behörden zu einem nationalen Notstand hoch.
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Drohnenangriff auf Lipezk: Die Ukraine bringt den Krieg nach Russland
Die Ukraine bringt den Krieg, den Putin angefangen hat, nach Russland. Und sie tut das auch mit Waffen, die die westlichen Partner geliefert haben – eigentlich zur Verteidigung ukrainischen Gebiets. Geht das Land damit weiter als vereinbart? Gesichtet wurden in Russland bislang Schützenpanzer vom Typ Marder, US-amerikanische Stryker-Mannschaftstransporter und Kampfpanzer. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums ist unter den in der Kampfregion zerstörten gepanzerten Fahrzeugen auch eine 155-mm-Haubitze vom Typ M777, ein britisches Fabrikat.
Die Frage nach dem Einsatz von Waffen, die westliche Partner der Ukraine geliefert haben, auf russischem Gebiet stellt sich nicht zum ersten Mal. Schon im Frühsommer war darüber diskutiert worden. Damals signalisierten erst die USA und dann auch Deutschland zum ersten Mal, dass die Ukraine auch die von Partnern gelieferten Waffen für Schläge gegen russisches Gebiet einsetzen könne – wenn auch mit Grenzen. Vereinbart sei, hieß es damals, dass die Waffen „völkerrechtskonform“ eingesetzt werden.
Eine Sprecherin des US-Verteidigungsministeriums erklärte am Donnerstag, dass das Vorgehen der Ukraine jetzt in der Grenzregion um Kursk im Einklang mit der Position der USA sei. Die Ukraine dürfe sich gegen Attacken verteidigen, die über die Grenze kämen. Weiträumigere Attacken würden die USA dagegen nicht unterstützen.
Strack-Zimmermann: Ukrainer halten sich an alle Absprachen
Auch deutsche Verteidigungspolitiker halten den Einsatz der Waffen in der aktuellen Offensive für völkerrechtlich gedeckt. „Die Ukrainer halten sich bisher an alle Absprachen, die die Geberländer ihnen vorgeben“, sagte Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Europaparlament, unserer Redaktion. Das Land habe das Recht auf Selbstverteidigung. „Das schließt auch das Recht ein, den Feind auf dessen Territorium anzugreifen.“
Sie sei „froh darüber“, betonte Strack-Zimmermann, dass die EU „voll und ganz hinter den Bemühungen der Ukraine steht, ihre territoriale Integrität und Souveränität wiederherzustellen und die illegale Aggression Russland zu bekämpfen“. Ihr Parteifreund und Nachfolger als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marcus Faber, hatte schon zuvor darauf hingewiesen, dass die Waffen, die Deutschland dem Land liefert, mit der Übergabe keine deutschen Waffen mehr seien, sondern ukrainische.
Auch CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter stuft die ukrainischen Operationen auf russischem Staatsgebiet als „völkerrechtlich legitim“ ein. Das Vorgehen sei durch Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen gedeckt, sagte Kiesewetter dem RBB-Inforadio. Demnach dürfe sich der Angegriffene wehren, auch auf dem Territorium des Aggressors.
Russland droht mit Ausweitung – Experte sieht keine Eskalationsgefahr
Russland reagiert mit verstärktem Säbelrasseln. Dmitri Medwedew, der Vizevorsitzende des russischen Sicherheitsrates, drohte mit einer Ausweitung des Krieges in der Ukraine. Der russische Militäreinsatz dürfe sich nicht mehr nur darauf beschränken, die Gebiete in der Ukraine zu sichern, die Russland als sein Gebiet betrachte, sagt Medwedew. Vielmehr sollten die Streitkräfte in Richtung der Städte Odessa, Charkiw, Dnipro, Mykolajiw, Kiew und darüber hinaus vorstoßen. Der Vormarsch werde erst dann eingestellt, wenn es Russland für vorteilhaft halte.
Alle diese Städte erleben allerdings schon seit Kriegsbeginn russische Raketenangriffe. Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München, sieht keine Eskalationsgefahr, „schon gar nicht nuklear“. Putin werde versuchen, mit konventionellen Mitteln den Angriff zurückzuschlagen, sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion.
Währenddessen gehen auch die Angriffe auf der ukrainischen Seite der Grenze weiter. Ein russischer Raketenangriff traf in der ostukrainischen Stadt Kostjantyniwka einen Supermarkt. Mindestens zehn Menschen wurden nach Angaben der Behörden getötet, 35 verletzt. Kostjantyniwka in der Region Donezk ist nur etwas mehr als zehn Kilometer von der Frontlinie zwischen ukrainischen und russischen Truppen entfernt.
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