Berlin. Russland hat einen berühmten US-amerikanischen Journalisten verurteilt. Will das Regime so den Tiergarten-Mörder freipressen?
Am Ende ging alles ganz schnell, nach nur drei Tagen Verhandlung wurde das Urteil in Jekaterinburg verkündet: Der „Wall Street Journal“-Reporter Evan Gershkovich muss für 16 Jahre unter strengen Bedingungen ins Straflager. Das Urteil eines russischen Gerichts wurde letzten Freitag verkündet, die Anklage hatte zuvor 18 Jahre Haft gefordert. Dass die Verurteilung am Ende so schnell ging, ist auch deshalb überraschend, weil Gershkovich zuvor ein Jahr lang in Untersuchungshaft gesessen hatte.
Warum die Eile? Und wäre jetzt ein Gefangenenaustausch möglich? Ein Überblick.
Worum geht es im Fall von Gershkovich genau?
Evan Gershkovich arbeitet als Reporter für die renommierte amerikanische Wirtschaftszeitung „Wall Street Journal“. Er berichtete primär über Russland, beschrieb, was im Land geschieht, während die Ukraine angegriffen wird – und wie die russische Bevölkerung auf diesen Krieg schaut. Der russische Staat sieht in Gershkovich einen Spion. Am 29. März 2023 verhaftete der dortige Geheimdienst FSB den Reporter. Laut Anklage versuchte er, für die CIA geheime Informationen über eine russische Waffenfabrik zu beschaffen. Die US-Regierung hat die Vorwürfe als „haltlos“ zurückgewiesen.
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Was plant das russische Regime mit Gershkovich jetzt?
Das ist nicht ganz sicher. Die Möglichkeit eines Gefangenenaustausches ist jedoch sehr realistisch – auch weil in Russland die Justiz in weiten Teilen vom Staat gelenkt wird. Beobachter gehen davon aus, dass Russland und die USA im Geheimen über einen Austausch von Gershkovich gegen einen anderen Häftling verhandeln. Der russische Außenminister Lawrow sagte: „Die Geheimdienste beider Länder pflegen nach Vereinbarung zwischen den Präsidenten Putin und Biden vom Juni 2021 Kontakte, um zu prüfen, ob jemand gegen einen anderen ausgetauscht werden kann. Es gibt solche Kontakte.“
Warum wird im Zuge eines Gefangenenaustauschs über den Tiergarten-Mörder gesprochen?
Weil es einer der prominentesten Fälle ist – und der Kreml ein großes Interesse daran hat, den in Deutschland verurteilten Russen freizubekommen: Der Mann, der mit bürgerlichem Namen Wadim Krassikow heißt, wurde 2021 verurteilt, weil er im Kleinen Tiergarten in Berlin-Moabit im Auftrag Moskaus aus Rache einen Georgier ermordet hat, der im Tschetschenienkrieg russische Soldaten getötet haben soll.
Susanne Schattenberg, Leiterin der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, sagt: „Dahinter steckt die krude Putin’sche Logik, wonach die USA sein Hauptgegner sind und alle anderen Regierungen ohnehin praktisch Vasallenstaaten der Amerikaner sind. Die Frage ist, ob sich die Bundesregierung darauf einlässt. Schon bei einem Austausch von Krassikow gegen den mittlerweile verstorbenen Alexej Nawalny, wo das spekuliert wurde, war der Deal sehr unsicher.“
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Manche in Berlin befürchten, dass man sich künftig erpressbar mache: Im Zweifel müsste Russland nur einen westlichen Bürger festnehmen – und Auftragsmörder des russischen Staates müssten für Straftaten auf deutschem Boden künftig praktisch keinerlei Rechenschaft mehr ablegen.
Wie könnte ein möglicher Gefangenenaustausch ganz praktisch ablaufen?
Zunächst müsste Gershkovich vom russischen Präsidenten Wladimir Putin begnadigt werden und freikommen. Das kann jedoch sehr schnell geschehen. Wichtiger ist, wie der weitere Prozess angebahnt wird: Ein Austausch müsste sorgfältig vorbereitet werden. Manche Beobachter, wie Susanne Schattenberg, gehen davon aus, dass die ersten Schritte dafür bereits eingeleitet wurden.
Dabei finden am Anfang Gespräche auf Ebene der Geheimdienste statt, anschließend gibt es möglicherweise auch einen offiziellen Austausch auf Regierungsebene. Erst wenn es eine offizielle Übereinkunft gibt, kann die Abmachung in die Praxis umgesetzt werden. Möglicherweise würden sowohl Gershkovich als auch Krassikow mit einem Charterflug aus Russland beziehungsweise Deutschland ausgeflogen und in ihr jeweiliges Heimatland gebracht werden.
Könnte es auch zu einem Ringtausch kommen?
Ja, auch darüber wird gerade spekuliert. Denn der US-Bürger Gershkovich sollte eigentlich gegen einen in den USA lebenden Gefangenen aus Russland eingetauscht werden, was der normale Weg eines Gefangenenaustauschs wäre. Doch weil das Interesse Russlands am Tiergarten-Mörder Krassikow so hoch ist, ist auch Deutschland Teil der aktuellen Diskussion.
Vor wenigen Tagen wurde nun bekannt, dass der 29-jährige deutsche Staatsbürger Rico Krieger in Belarus zum Tode verurteilt wurde. Weil Belarus wiederum davon abhängig ist, was in Moskau entschieden wird, könnte es Teil eines organisierten Ringtauschs werden: Der US-Bürger Gershkovich kehrt zurück in die USA, der deutsche Krieger zurück nach Deutschland – und der Tiergarten-Mörder Krassikow darf zurück nach Russland reisen. Der Geschichtswissenschaftler Alexey Tikhomirov von der Universität Bielefeld sagte unserer Redaktion dazu: „Das ist schon wirklich eine Möglichkeit. Vielleicht will der belarussische Diktator sich so bei Putin beliebt machen und Krassikow nach Russland auf dem Silbertablett servieren. Aber wir wissen es natürlich nicht.“
Alexander Friedman von der Universität des Saarlandes, der zu sowjetischer Geschichte forscht, setzt hinzu: „Krieger hat die Höchststrafe in Belarus bekommen, er kann jeden Tag hingerichtet werden – was selbst für dortige Verhältnisse überproportional brutal ist. Das ist kein Zufall, höchstwahrscheinlich wurde das von Putin in die Wege geleitet. Er will maximalen Druck auf Deutschland aufbauen, weil er besessen davon ist, Krassikow freizubekommen. Es ist für ihn eine Art Ehrensache.“