Berlin. Übernehmen Le Pen und die Rechtsextremen die Regierung? Warum etwas eintreten kann, was es noch nie gab. Wichtige Fragen und Antworten.

Für Emmanuel Macron war es eine historische Niederlage, und der Schock über das Ergebnis der französischen Europawahlen saß tief. Noch in der Nacht löste der Präsident die Nationalversammlung auf und setzte Neuwahlen an. Worum geht es am 30. Juni und in der zweiten Runde am 7. Juli? Wer wird gewählt, und was passiert, wenn die Rechtsextremen gewinnen? Alles, was Sie jetzt wissen müssen:

Warum lässt Präsident Macron das Parlament neu wählen?

Bei den Europawahlen am 9. Juni entschieden sich nur 14,6 Prozent für die Liste des Präsidenten, 31 Prozent wählten den extrem rechten Rassemblement National (RN). Zudem bekam die ebenfalls extrem rechte Partei Reconquête mehr als fünf Prozent. Macron hatte offenbar den Plan, die Abstimmung zu einer Art Referendum über die Rechtsextremen zu machen. Der Präsident gilt als impulsiver Mensch, der ungern halbe Sachen macht. Vielleicht hoffte er, die Euphorie der Fußball-EM, die Vorfreude auf die Olympischen Spiele in Paris und die kurze Vorbereitungszeit bis zu den Wahlen könnten ihm in die Hände spielen. Neuen Umfragen zufolge könnte dieser Schuss aber nach hinten losgehen. Der RN liegt klar vorn.

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Wie wird gewählt?

Die Wahlen finden in zwei Wahlgängen am 30. Juni und am 7. Juli statt. Frankreich wählt – anders als Deutschland – seine Parlamentsabgeordneten im Mehrheitswahlrecht. Es gibt 577 Wahlkreise. Dort entscheiden die Wahlberechtigten über ihren Abgeordneten. Es treten 4010 Kandidaten an – gut ein Drittel weniger als noch 2022. Bekommt niemand im ersten Wahlgang 50 Prozent oder mehr Stimmen, geht es am zweiten Wahltag in die Stichwahl. In nur fünf Wahlkreisen wurde bei der vorherigen Wahl 2022 der Abgeordnete in der ersten Runde gewählt.

Welche Parteien und Bündnisse treten an?

Ins Parlament zieht nur ein, wer in der zweiten Runde am 7. Juli die meisten Stimmen erhält. Deshalb bilden sich vorher Wahlbündnisse. Mehrere Parteien einigen sich hier auf einen Kandidaten. Das Parteiensystem ist extrem zersplittert. Zwei Bündnisse haben sich rechts und links der Wahlvereinigung von Macron gebildet.

Macrons Bündnis: Dem Wahlzusammenschluss „Ensemble pour la Majorité présidentielle“ (Zusammen für die Präsidentenmehrheit) von Emmanuel Macron gehören sechs Parteien an. Dessen Partei Renaissance, früher bekannt als La République en Marche, dominiert hier. Dem Lager drohen starke Stimmverluste. Umfragen sehen es bei 19 bis 22 Prozent.

Das Linksbündnis: Links vom Macron-Lager steht das Wahlbündnis „Neue Volksfront“. Darin haben sich die linkspopulistische Partei La France insoumise (LFI), Parti socialiste (PS), Parti communiste français (PCF) und Les Écologistes (EELV) zusammengefunden. Der Name ist eine Anspielung auf die historische Volksfront von 1936 gegen den zunehmenden Faschismus. In diesem Bündnis arbeitet unter anderem der sozialistische Ex-Präsident François Hollande mit und der linke und grüne Ex-Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon. An ihm und seinen extremen Positionen scheiden sich die Geister. Das Lager könnte nach Umfragen auf 29 Prozent der Stimmen kommen.

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Der Rechtsblock: Als Favorit gilt der Rechtsblock, angeführt vom Rassemblement National. Er wird bei 34 bis 35 Prozent gesehen. Der Chef des rechtspopulistischen RN, Jordan Bardella, verkündete vor einigen Tagen eine „historische Übereinkunft“: Der RN werde in 70 Wahlkreisen gemeinsame Kandidaten mit den konservativen Republikanern aufstellen. RN-Fraktionschefin Marine Le Pen erklärte, ihre Partei werde im Falle eines Wahlsiegs eine „Regierung der nationalen Einheit“ bilden und Sofortmaßnahmen gegen Einwanderung einleiten. Doch nachdem sich der Chef der Republikaner, Éric Ciotti, dem Bündnis angeschlossen hat, droht dem Lager die Spaltung.

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Marine Le Pen will 2027 Präsidentin werden, der 28-jährige Chef des rechtspopulistischen RN, Jordan Bardella, soll ihr dabei behilflich sein. Die Parlamentswahlen könnten ein erster Schritt werden.
Marine Le Pen will 2027 Präsidentin werden, der 28-jährige Chef des rechtspopulistischen RN, Jordan Bardella, soll ihr dabei behilflich sein. Die Parlamentswahlen könnten ein erster Schritt werden. © dpa | Thomas Padilla

Was würde ein Wahlsieg des rechtspopulistischen Lagers für Präsident Emmanuel Macron bedeuten?

Gehören der Präsident und die Mehrheit im Parlament politisch nicht ins gleiche Lager, kommt es zu einer sogenannten „Kohabitation“. In den vergangenen 40 Jahren hat Frankreich das dreimal erlebt, das letzte Mal von 1998 bis 2002 unter dem konservativen Präsidenten Jacques Chirac und dem sozialistischen Regierungschef Lionel Jospin. Doch sollte der Rassemblement National eine absolute Mehrheit von mindestens 289 Abgeordneten erzielen (derzeit stellen sie 88 Abgeordnete), entstünde eine fast unüberwindbare Kluft zwischen den beiden Machtzentralen der Regierung.

Premierminister würde dann, als Gegenspieler des Präsidenten, der 28-jährige RN-Chef Jordan Bardella. Marine Le Pen würde Fraktionschefin bleiben und sich darauf vorbereiten, im vierten Anlauf 2027 Präsidentin von Frankreich zu werden. In Frankreich wird der Präsident direkt gewählt.

Allerdings müssten sich die Rechtspopulisten in der Regierungsverantwortung beweisen. Bisher stellten sie nur Forderungen aus der Opposition heraus. Bei der Kohabitation sind dem Präsidenten in vielen Fällen die Hände gebunden. Er könnte dann nur noch in der Außenpolitik und bei der Verteidigung mitentscheiden. Allerdings muss Macron die Gesetzesvorhaben der Regierung unterschreiben, damit sie in Kraft treten. Wenn er sich verweigert, geht gar nichts.

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Was passiert, wenn keine Partei eine Mehrheit erhält?

Unter Umständen wird Macron versuchen, eine Allianz der Mitte aus allen Lagern zusammenzuführen. Gelingt das nicht, droht eine Blockade. Diese Situation ist in Frankreich noch nie eingetreten. Ein Jahr lang kann die Nationalversammlung nicht erneut aufgelöst werden. Deshalb würde vermutlich versucht werden, eine Regierung aus Technokraten und Experten zu bilden.

Wird Macron dann zurücktreten?

Das hat er nicht vor. Der Präsident hat angekündigt, unabhängig vom Wahlergebnis sein Amt bis zum Ende seines Mandats auszufüllen. „Sie können mir vertrauen, dass ich bis Mai 2027 als Ihr Präsident handeln werde“, schrieb er in einem offenen Brief an die Franzosen. Macron räumte ein, dass sich die Art des Regierens nach den Wahlen „grundlegend ändern“ müsse. 

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