Hamburg. Finanziell sei das Ganze ein Minusgeschäft, für Klimaschutz habe es auch nichts gebracht. Der Senat und die Volksinitiative kontern.
- Vor zehn Jahren hatte in Hamburg ein Volksentscheid darüber entschieden, die Energienetze von den bisherigen Eigentümern zurück zu kaufen.
- Im Rückblick sieht vor allem die FDP darin einen schlechten Deal. Die Entscheidung hatte keinen finanziellen Nutzen für die Stadt.
Zehn Jahre ist es nun her, dass die Hamburger sich in einem Volksentscheid knapp für den Rückkauf der Energienetze aussprachen. Im Text des Volksentscheids versprach die Initiative „Unser Hamburg – Unser Netz“ 2013 eine „sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien“. Die Initiatoren legten auch nahe, dass sich das Ganze für die Stadt rechnen würde, da die Einnahmen aus den Netzen dann Hamburg und nicht mehr den bisherigen Netzeigentümern Vattenfall und E.on zufließen würden.
Mittlerweile hat die Stadt Strom-, Gas- und Fernwärmenetz für 1,93 Milliarden Euro wieder übernommen, auf der Einnahmenseite stehen bisher laut Finanzbehörde lediglich 647 Millionen Euro. Senat und Volksinitiatoren sehen den Rückkauf dennoch als großen Erfolg an – denn mit den nun städtischen Netz- und Energieunternehmen könne Hamburg Kohleausstieg, Klimaschutz und Energiewende energisch vorantreiben. Michael Kruse, FDP-Bundestagsabgeordneter und energiepolitischer Sprecher seiner Faktion, macht dagegen eine ganz andere Rechnung auf. Die Initiatoren hätten Zusagen gebrochen, so Kruse.
Volksentscheid: „Versprechungen der Initiative wurden nicht eingehalten“
„Der vollständige Netzrückkauf hat keinen finanziellen Nutzen für die Stadt“, so der FDP-Politiker. Abzüglich Zinsen habe die Stadt nach seiner Rechnung „bisher gerade einmal rund 250 Millionen Euro eingenommen“. Eine fast identische Summe hätte laut Kruse auch ohne den Netzrückkauf durch die vorherige 25,1-Prozent-Beteiligung der Stadt an den Netzen eingenommen werden können.
Für die Energiekunden habe sich die Lage sogar verschlechtert, so Kruse. „Im Jahr 2022 hatte Hamburg die zweithöchsten Netzentgelte bundesweit, im Jahr 2023 sind die Netzentgelte sogar weiter gestiegen.“ Beim Ausbau der erneuerbaren Energien sei Hamburg „Schlusslicht, noch hinter Bremen und Berlin“, so Kruse. Die Fernwärme werde derzeit noch aus durchschnittlich 80 Prozent fossiler Energie erzeugt, der Strom aus rund 75 Prozent fossiler Energie, wobei der Durchschnitt in Deutschland zuletzt bei 45 Prozent gelegen habe. „Der Netzrückkauf hat also zehn Jahre intensiv Ressourcen zur Neustrukturierung gebunden, ohne die inhaltlichen Ziele des Volksentscheids umzusetzen“, so Kruse.
FDP-Kruse: „Senat verschleiert die Finanzierungskosten und Firmenstrukturen“
Auch bei der versprochenen Transparenz und der demokratischen Kontrolle hapere es. Firmenstrukturen, Gewinne und Beteiligungen würden „komplett verschleiert, die Finanzierungskosten für die Netzrückkäufe lassen sich heute – anders als Mitte der 2010er-Jahre – nicht zuordnen wegen des Finanzgeflechts der städtischen Beteiligungsgesellschaft“. Der Senat beschließe sogar, „dass die Jahresabschlüsse der Gesellschaften nicht einzeln veröffentlicht werden, Möglichkeiten zur Transparenz werden also bewusst nicht genutzt“, so Kruse.
„Das Kosten-Nutzen-Verhältnis des Netzrückkaufs wird bewusst verschleiert. Eine demokratische Kontrolle durch die Opposition wird dadurch erschwert, während rot-grüne Regierungsvertreter immer mehr Posten selbst besetzen und nach politischen Kriterien statt nach fachlicher Eignung. Das allerdings war mit demokratischer Kontrolle nicht gemeint.“
SPD-Finanzsenator: „Kollege Kruse hat die Niederlage wohl nicht verwunden“
Kruses Fazit: „Zehn Jahre Verstaatlichung von Energienetzen sind zehn verlorene Jahre für die Weiterentwicklung der Hamburger Energieversorgung. Von den vollmundigen Versprechungen ist nach zehn Jahren nichts mehr übrig.“ Der Netzrückkauf sei „ein Paradebeispiel dafür, dass komplexe unternehmerische Prozesse in die Hände von Fachleuten gehören und nicht in die von Politikern, die mehr an Postenbesetzung nach politischem Gusto als am Funktionieren von wichtigen Versorgungsunternehmen interessiert sind“.
SPD-Finanzsenator Andreas Dressel weist die Kritik zurück. „Kollege Kruse hat offenbar die Niederlage beim Volksentscheid immer noch nicht verwunden“, so Dressel. „Mehr Transparenz war selten bei unseren Energie- und Netzunternehmen – insbesondere in ihren Jahresberichten, gegenüber dem Parlament und gegenüber der Öffentlichkeit. Und wenn wir die Unternehmen neu aufstellen oder neue Kooperationsbeziehungen im Konzern begründen, dient das der Steigerung der Effizienz, einer verbesserten Zielerreichung mit Blick auf Wärmewände und Klimaneutralität sowie einer höheren Stadtrendite für die Stadtwirtschaft insgesamt.“ Die Unternehmen seien „gut gemanagt und gut beaufsichtigt unter Wahrung der bewährten Sozialpartnerschaft im Konzern Hamburg“.
Moorburg: Ex-BUND-Chef lästert über Kruses Lob für die privaten Energieunternehmen
Auch Manfred Braasch, 2013 BUND-Landesgeschäftsführer und ein Sprecher der Volksinitiative, sieht den Rückkauf als Erfolg. „Natürlich sind wir noch nicht am Ziel, und wer erwartet, dass nach zehn Jahren alles erreicht und bezahlt ist, verkennt geradezu naiv die Herausforderungen der Transformation“, so Braasch. „Aber ,Unser Hamburg – Unser Netz’ hat den Schalter für eine bessere Klima- und Energiepolitik umgelegt.“
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Kruses Kritik sei auch ein Angriff auf die Mitarbeiter der nun städtischen Unternehmen. „In den Geschäftsführungen der öffentlichen Energieunternehmen arbeiten kompetente Fachleute, die die komplexen unternehmerischen Prozesse steuern“, so Braasch. Kruses „Polemik“ sei „ein echter Schlag unter die Gürtellinie für diese Leute“.
Wie kompetent die Vattenfall-Manager gewesen seien, „lässt sich am Beispiel Kraftwerk Moorburg trefflich festmachen“, lästert Braasch. Die hätten mehr als drei Milliarden Euro trotz Warnung und Alternativen für ein Kraftwerk ausgegeben, das nur fünf Jahre gelaufen sei.