Hamburg. Zahl der Fälle größer als aus dem linken Spektrum. Potenzial in der Szene wächst. Taten zeigen Gemeinsamkeiten.

Wenn es um politisch oder religiös motivierte Gewalt geht, sind als rechtsextrem eingestufte Täter in Hamburg im vergangenen Jahr besonders oft aufgefallen. Laut Verfassungsschutz gehen 56 Taten auf ihr Konto.

Zum Vergleich: Als linksextremistisch motivierte Gewalttaten werden 23, als islamistisch motivierte Taten ein Fall eingestuft. Anders sieht es aus, wenn man die vom Verfassungsschutz als gewaltorientiert eingestuften Anhänger der verschiedenen Strömungen zählt. 850 Linksextremisten, 1450 Islamisten und 130 Rechtsextremisten gelten als gewaltaffin.

Polizei Hamburg: Rechtsextreme fallen vermehrt mit Gewalttaten auf

Was verblüfft: Etwas mehr als ein Fünftel aller als rechtsextremistisch eingestuften Gewalttaten, die als Straftat von der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes (LKA 7) im vergangenen Jahr notiert wurden, wurde von Ausländern verübt.

So findet man unter den Tätern vier Polen, jeweils einen Russen, einen Kroaten, einen Esten, eine 18 Jahre alte Serbin und einen 17 Jahre alten Ghanaer. Das zeigen Daten, die das Abendblatt eingesehen hat.

Rechtsextreme in Hamburg: So groß ist das Potenzial

Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten, die der Verfassungsschutz nennt, weicht von der ab, die beim Staatsschutz des LKA erfasst wurde. Das dürfte daran liegen, dass die Polizei eine sogenannte Ausgangsstatistik erhebt, in der die Tat erst erfasst wird, wenn die Ermittlung abgeschlossen und die Akte an die Staatsanwaltschaft weitergegeben wird. So werden Fälle, die sich Ende des Jahres 2022 ereigneten, möglicherweise erst im Jahr 2023 erfasst.

Aufgeklärt wurden nach einer Liste des LKA 7 im vergangenen Jahr 33 rechtsextrem motivierte Gewalttaten. Die Mehrheit waren Körperverletzungen, in sieben Fällen gab es eine gefährliche Körperverletzung. Hier setzte in allen Fällen ein Einzeltäter einen Gegenstand als Waffe ein.

Gefährliche Körperverletzung mit Gegenständen als Waffe

In einem Fall schlug eine Frau – sie ist eine von insgesamt fünf Frauen, die im Zusammenhang mit rechten Gewalttaten ermittelt wurde – mit einer Glasflasche zu. In zwei weiteren Fällen wurden eine Bierdose und eine Flasche als „Waffe“ eingesetzt.

In drei Fällen blieb es bei einem Versuch. In einem davon wollte ein Mann seinen Kontrahenten mit einem Einkaufswagen rammen. Es wurde niemand verletzt. In zwei Fällen wurde „Schubsen“ als Körperverletzung gewertet. Einmal war dabei ein Kind das Opfer.

„Hitlergruß“ und Widerstand oft unter Alkoholeinfluss

In drei Fällen waren Polizisten oder allgemein: Vollstreckungsbeamte die „Opfer“. Die Fälle sind schnell erklärt. Dahinter stecken oft Auseinandersetzungen mit Betrunkenen, die dann einen „Hitlergruß“ zeigen oder rechtsextreme, strafrechtlich relevante Äußerungen machen und anschließend Widerstand leisten. In einem Fall kam es zu einer Körperverletzung „mit ausländerfeindlichen Motiven unter Familienangehörigen und eines Lebensgefährten“.

Wie viele der ermittelten Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss standen, wird laut Polizei nicht statistisch erfasst. Die Zahl der Täter, die schon in der Vergangenheit im Zusammenhang mit rechtsmotivierten Straftaten auffielen, beträgt vier. Alle anderen waren bislang nicht mit politisch motivierter Kriminalität polizeilich auffällig.

„In allen Fällen ist eine situative Tatbegehung wahrscheinlich“

Der Verfassungsschutz ordnet das so ein: „In allen Fällen ist eine situative Tatbegehung wahrscheinlich“. Die Täter seien einem „weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial zuzurechnen“. Dieses Potenzial wird vom Verfassungsschutz mit rund 170 Personen beziffert.

Diese mutmaßlichen Rechtsextreme kommunizierten oft über das Internet. Die Zahl der NPD-Anhänger darunter schrumpfte im vergangenen Jahr auf 90, die Zahl der Unterstützer der „Identitäten Bewegung“ halbierte sich auf etwa zehn Personen. „Kameradschaften“ und andere vergleichbare Gruppierungen spielen demnach keine Rolle mehr.

Was wurde aus bekannten Hamburger Neonazis?

Völlig verschwunden sind offensichtliche „Führungspersönlichkeiten“. Der Rechtsanwalt und Neonazi Jürgen Rieger, der über Jahrzehnte eine bestimmende Figur der hiesigen Neonazi-Szene war, starb 2009 in Berlin.

Der im Stadtteil Hamm geborene Christian Worch, der durch Erbschaft reich wurde und über Jahre die rechte Szene in Hamburg prägte (1989 Mitgründer der Nationalen Liste) und auch hier zahlreiche Demonstrationen organisierte, verdient sein Geld als Taxifahrer in Mecklenburg-Vorpommern und ist Bundesvorsitzender einer von Querelen geprägten rechten Splitterpartei.

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Der gebürtige Hamburger Thomas Wulff erhielt nach einem SS-General den Spitznamen „Steiner“. Er war ein langjähriger Weggefährte von Worch und Führungsfigur bei zahlreichen Demos in Hamburg. Wulff zog sich in ein „Herrenhaus“ auf dem Land zurück.

Der Nachwuchs beging „Fahnenflucht“, wie es in der Szene genannt wird. Alexander H., lange als neue Führungsfigur der Rechtsextremen im Norden gehandelt, verschwand bereits vor über 15 Jahren von der Bildfläche.

Rechtsextreme Szene in Hamburg unterliegt Schwankungen

Dabei muss man wissen: Die rechtsextreme Szene in Hamburg ist in den vergangenen Jahren offenbar starken Schwankungen unterworfen. Nachdem sich das rechtsextremistische Potenzial von 1998 auf 2004 nahezu halbierte und bis 2014 auf 340 Personen weitersank, liegt es nach den Behördenzahlen seit 2020 wieder bei 380 Personen.