Hamburg. Neue Daten zeigen: Ein Fünftel der Wohnfläche wird mit zu alten Heizungen beheizt – das ist verboten. Was der Senat nun plant.

  • 21 Prozent der Hamburger Wohnfläche werden von über 30 Jahre alten Heizungen betrieben
  • Dabei sind diese wegen ihrer Umweltschädlichkeit eigentlich gesetzlich verboten
  • Die Stadt Hamburg drückt jedoch anscheinend ein Auge zu

Es sind schockierende Zahlen, zu denen die Erhebung der Stadtentwicklungsbehörde geführt hat: Noch immer werden 21 Prozent der gesamten Hamburger Wohnfläche mit Heizungen beheizt, die älter als 30 Jahre sind – was extrem klimaschädlich und bis auf wenige Ausnahmen per Gesetz verboten ist. Diese Daten, die sich bei tieferer Analyse aus der 2022 vorgelegten Machbarkeitsstudie zur Gebäudesanierung ableiten lassen, hat die Behörde jetzt auf Abendblatt-Nachfrage bestätigt bzw. mitgeteilt. Warum aber offenbar Tausende veralteter Heizungen in Hamburg gesetzeswidrig betrieben werden können, ohne dass jemand einschreitet – das ist derzeit unklar.

Das Gebäudeenergiegesetz legt für Öl- und Gasheizungen klar fest: „Eigentümer von Gebäuden dürfen ihre Heizkessel, die mit einem flüssigen oder gasförmigen Brennstoff beschickt werden und vor dem 1. Januar 1991 eingebaut oder aufgestellt worden sind, nicht mehr betreiben.“ Ausnahmen gibt es für Niedrigtemperatur-Heizkessel und Brennwertkessel, die aber nach Auskunft der Schornsteinfegerinnung erst ab etwa Mitte der 1980er-Jahre verwendet werden. Ausgenommen sind überdies sehr kleine und sehr große Heizungen – und „Wohngebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen, von denen der Eigentümer eine Wohnung am 1. Februar 2002 selbst bewohnt hat“. Hier muss erst der Nachbesitzer binnen zwei Jahren nach Übernahme die Heizung austauschen.

Heizung: Besonders schlimm ist die Lage bei Mehrfamilienhäusern Baujahre 1949-78

Besonders gravierend ist die Situation nach den aktuellen Daten bei der größten Gebäudegruppe in Hamburg: den zwischen 1949 und 1978 gebauten Mehrfamilienhäusern mit sieben bis zwölf Wohnungen. Hier sind 37 Prozent der aktuell noch laufenden Heizungen bereits vor 1978 eingebaut worden, also mittlerweile mindestens 45 Jahre alt. Weitere elf Prozent stammen aus den Jahren 1978 bis 1990, sind also auch älter als 30 Jahre. Das zeigt eine bisher unveröffentlichte Tabelle des Instituts für Wohnen und Stadtentwicklung, die behördenintern bekannt ist und dem Abendblatt vorliegt. Auch laut einer bereits veröffentlichten Tabelle der Stadtentwicklungsbehörde werden 42,5 Prozent der Heizungen in dieser Gebäudeklasse als 30 Jahre und älter und „nicht oder gering modernisiert“ geführt.

Die Dimension des Problems wird erst klar, wenn man sich zwei andere Zahlen ansieht: Allein rund 43.400 der insgesamt etwa 262.000 Wohngebäude in Hamburg gehören in die genannte Kategorie „Baujahr 1949-78 mit sieben bis zwölf Wohnungen“. Damit ist dies die mit sehr großem Abstand größte Gebäudeklasse in der Hansestadt – und für mehr als ein Drittel der CO2-Emissionen im Wohngebäudebereich verantwortlich. Wenn von diesen 43.400 Gebäuden tatsächlich noch immer 37 Prozent mit Heizungen von vor 1978 ausgestattet wären, hieße das: Allein in dieser Gruppe würden womöglich bis zu 16.000 Heizungen widerrechtlich betrieben – wobei die Behörde betont, dass bisweilen mehrere Gebäude mit einer Anlage beheizt würden, sodass die Zahl auch niedriger liegen könnte.

Energie: Ausnahmen für selbst bewohnte Ein- und Zweifamilienhäuser

Ausnahmen für Niedrigtemperatur-Heizkessel und Brennwertkessel kann es hier allerdings nicht geben, da diese Technik laut Schornsteinfegerinnung erst seit den 1980ern verwendet wird. Hinzu kommt: Die Gebäude in dieser Gruppe sind in der Regel schlecht gedämmt – sie sind in Hamburg ohnedies das große Sorgenkind beim Thema klimagerechte Gebäudesanierung.

Wie aber kann es sein, dass die Stadt also offenbar den massenhaften illegalen Betrieb von Heizungen zulässt, ohne einzuschreiten? Dazu gibt es bisher keine befriedigenden Erklärungen – wohl auch, weil die Verantwortlichkeiten sich über unterschiedliche Institutionen verteilen. Ein Verstoß gegen die genannten gesetzlichen Pflichten stellt laut Stadtentwicklungsbehörde „eine Ordnungswidrigkeit dar, wenn der Betrieb des Heizkessels vorsätzlich oder leichtfertig erfolgt“. Und weiter: „Die Überwachung des Verbotes erfolgt durch die Bezirksschornsteinfeger.“

Schornsteinfeger kontrollieren Heizungen und mahnen Erneuerung an

Bei Verstößen weise dieser die Eigentümer darauf hin und setze eine Frist zur Nachbesserung „oder zur Beseitigung eines verbotswidrigen Zustands“. Erfüllt der Eigentümer seine Pflicht nicht, meldet der Schornsteinfeger dies den Behörden – in Hamburg laut Innung beim jeweiligen Bezirksamt. Für die Bezirke ist im Senat Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) zuständig, für das Schornsteinfegerwesen Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) – und für die Sanierungsoffensive und die Machbarkeitsstudie die neue Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD). Bezirksschornsteinfeger, sieben Bezirke und drei Senatsbehörden – bei so vielen Beteiligten ist bisher anscheinend die Frage offen geblieben, wer sich denn nun um die Durchsetzung von Recht und Gesetz zu kümmern hat.

Diesen Verdacht hegt wohl auch der Klimabeirat des Senats. „Der Klimabeirat Hamburg empfiehlt, die Altersstruktur der Heizungen in Mehrfamilienhäuser, die zwischen 1949 und 1978 gebaut wurden, sehr genau anzuschauen“, sagte der stellvertretende Beiratsvorsitzende Prof. Jörg Knieling dem Abendblatt. „Die Daten aus der Machbarkeitsstudie sind ein deutliches Warnsignal. Mit einem konzentrierten Austauschprogramm, das mit gezielter Förderung die Hausbesitzer unterstützt, könnten große Einspareffekte bei den CO2-Emissionen erreicht werden. Dies wäre gerade im Gebäudesektor notwendig, da dieser die Zielvorgaben zur CO2-Minderung bisher nicht einhält.“

Heizung: Klimaneutralität bis 2045 bleibt Herkulesaufgabe – auch weil Personal fehlt

All das zeigt: Es ist und bleibt eine Herkulesaufgabe, im Hamburger Gebäudesektor bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen – Gebäude bis dahin also so zu dämmen und zu beheizen, dass das Klima nicht mehr geschädigt wird. Die Stadtentwicklungsbehörde setzt dabei derzeit nach eigenen Angaben vor allem auf vier Strategien: die finanzielle Förderung der Modernisierung, die Zusammenarbeit mit Wohnungsunternehmen im Bündnis für das Wohnen, eine Kommunikationskampagne im zweiten Halbjahr 2023 und einen Kapazitätsausbau für anstehende Sanierungen durch Kooperation zwischen Behörde und Bauwirtschaft.

Denn ein Problem kommt ja noch hinzu: Auch bei gutem Willen gibt es momentan wohl gar nicht genug Betriebe und Personal, um das Versäumte nachzuholen und all das in den Hamburger Gebäuden zügig zu sanieren oder zu modernisieren, was für den Klimaschutz so dringend nötig wäre.