Hamburg. Bürgermeister, Senatoren und Fraktionschefs blicken kurz zurück auf 2020 – und dann nach vorn: auf neue Projekte und gute Vorsätze.
Eines der im Internet meist belachten Bildchen zum Jahreswechsel zeigt ein Motiv aus der „Sendung mit der Maus“. Die Maus und der kleine blaue Elefant stehen vor einer Tafel mit dem Wort „árslok“. Darunter die Übersetzung: „Jahresende“. Und: „Das war Isländisch“. Den lautmalerischen Zuruf an das endlich überstandene Jahr 2020 dürften auch in der Hamburger Politik viele als treffend empfinden. Eines aber ist auch diesmal nicht anders, allen miesfiesen Viren zum Trotz: Zum Jahreswechsel wird kurz Bilanz gezogen, dann aber werden Vorsätze gefasst und neue Projekte geplant – auch in der Politik.
Natürlich werden dabei die Blicke auf 2020 und 2021 von der Coronapandemie beherrscht. Auf die Frage, was beim Umgang damit im vergangenen Jahr positiv gelaufen sei, war man sich im Rathaus noch ziemlich einig: Hamburg sei gut durch die erste Welle gekommen und habe die Krise lange und selbst in der schweren Winterzeit noch passabel bewältigt – deutlich besser als andere Städte. Fragt man dagegen, was im vergangenen Jahr nicht so gut gelaufen sei, zeigt sich die Politik durchaus offen für Selbstkritik und das Eingestehen von Fehlern. Im Detail fallen die Antworten dabei recht unterschiedlich aus.
Tschentschers Bilanz: Das lief 2020 nicht gut
Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) etwa erwähnt „die unbeabsichtigten ‚Grenzkonflikte‘ zu Schleswig-Holstein im Frühjahr und die zu späte Quarantäneregelung für Reiserückkehrer aus Risikogebieten im Ausland“ als zwei Fälle von „Nicht gut gelaufen“. Die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) sagt: „Mit meinem heutigen Wissen hätte ich mich stärker dafür eingesetzt, in der zweiten Welle schneller einen härteren Lockdown zu verhängen, anstatt in einen wochenlangen Lockdown light zu gehen.“
Das sieht auch SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf ähnlich – der „Lockdown light“ sei zu spät gekommen und habe „nicht funktioniert, weil in Teilen der Bevölkerung das Gefahrenpotential unterschätzt und Schutzmaßnahmen nicht eingehalten wurden“. Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen sieht die Verantwortung eher bei der Politik selbst. „Für die Bewältigung der Coronapandemie wäre ein bundesweiter Stufenplan mit klaren Schwellen für Maßnahmen und einer einheitlichen Kommunikation der bessere Weg gewesen“, glaubt er.
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Sozial- und Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD) sieht es im Rückblick als Fehler, dass im ersten halben Jahr der Pandemie „oft die eigenen Rechte von Kindern aus dem Blick der politischen Diskussionen geraten“ seien. SPD-Schulsenator Ties Rabe räumt ein, „dass die frühen Schulschließungen im März keine gute Idee waren“. Es sei auch nicht nötig gewesen, „Tonnen von Desinfektionsmittel zu beschaffen und die Schulreinigung zu verdreifachen, weil heute klar ist, dass Corona kaum durch Schmierinfektionen übertragen wird“. Die „Wichtigkeit der Maske“ sei dagegen von allen zu lange unterschätzt worden, so Rabe. „Im Übrigen hätte ich mir eher eine Lesebrille kaufen sollen, weil ich meine Gesprächspartner in den Videokonferenzen am Bildschirm monatelang schlecht gesehen habe.“
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Für Kultursenator Carsten Brosda (SPD) hatte „das ganze Jahr 2020 mehr Improvisationsanteile als ein gutes Free Jazz-Stück“. Insgesamt habe man es in Hamburg „ganz gut hinbekommen, mit Kreativität und Engagement auf die Pandemie zu reagieren und neue Wege erst beim Gehen zu entdecken“. Kunst, Kultur und Medien seien früh von den Folgen der Pandemie betroffen gewesen und hätten sie solidarisch mitgetragen, so Brosda. „Dass wir in der Pandemie-Bekämpfung aber am Ende doch so viel mit Verordnungen und Verboten vorgehen mussten, darf man als Aufklärungsoptimist durchaus als Niederlage auffassen."
Andere Themen: Klimaschutz und Wohnungsbau
SPD-Finanzsenator Andreas Dressel bereut es mittlerweile, sich „bei den November- und Dezemberhilfen des Bundes zu sehr auf die Zusagen des Bundeswirtschaftsministers verlassen“ zu haben, „dass alles schnell klappt“. Das sei leider nicht so gewesen, sagt Dressel. „Hier hätten wir in Hamburg doch den Weg gehen sollen, diese Hilfen selbst mit einem eigenen IT-System bereitzustellen.“
CDU-Fraktionschef Dennis Thering moniert im Rückblick, dass Deutschland auf eine solche Pandemie trotz bestehender Pläne nicht ausreichend vorbereitet gewesen sei. Und Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus sagt selbstkritisch: „Wir hätten bereits zügiger eine kurz-, mittel- und langfristige Strategie im Umgang mit dem Virus und seiner Bekämpfung einfordern müssen, um diesen ermüdenden und frustrierenden Jo-Jo-Effekt bei den Corona-Zahlen zu vermeiden.“
Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg räumt ein, „dass wir die Zeit des geringen Infektionsgeschehens nicht ausreichend genutzt haben, um uns umfassend auf die nicht unwahrscheinliche zweite Welle der Pandemie im Winter vorzubereiten. Ein Abgleich mit Erfolgsgeschichten anderer Länder wäre hilfreich gewesen.“
Anna von Treuenfels-Frowein, die wegen des Scheiterns ihrer FDP an der Fünfprozenthürde nun mit Direktmandat als Einzelkämpferin in der Bürgerschaft sitzt, ärgert sich noch immer ein wenig, wie sehr „äußere Einflüsse“ den Hamburger Wahlkampf erschwert hatten.
Gemeint ist sicher der Flirt der Thüringer FDP mit der AfD, der die Liberalen wohl den Einzug in die Bürgerschaft kostete. Auch Hamburgs AfD-Fraktionschef Alexander Wolf findet, seine Partei, die es nur knapp ins Parlament schaffte, hätte besser abschneiden können.
Wie schnell steht genügend Impfstoff zur Verfügung?
Wendet man den Blick ins neue Jahr, dann ist eines Konsens: Wie schnell man die Pandemie unter Kontrolle bekommt, hängt neben der weiterhin nötigen Selbstdisziplin der Bürger in allererster Linie davon ab, wie schnell genügend Impfstoff zur Verfügung steht.
Bisher sah es dabei noch nicht so gut aus. Grünen-Schatzmeister Karl-Heinz Karch rechnete nach Weihnachten bei Facebook vor: Sollte es so langsam weitergehen wie bisher, würde man allein zur Impfung der „ca. 17.000 Menschen in vollstationären Pflegeeinrichtungen“ bis Mitte, Ende April brauchen – vorausgesetzt man impfe auch an Wochenenden und Feiertagen, sonst dauere es sogar bis Juni, allein diese eher geringe Zahl von extrem gefährdeten Hamburgern zu schützen.
Sozialsenatorin Leonhard bleibt gleichwohl zuversichtlich, dass es bald schneller geht. „Die Anzahl der verfügbaren Schutzimpfungen wird in den kommenden Wochen zunehmen“, sagte sie dem Abendblatt. „Unser Ziel ist es, so schnell wie möglich so vielen Personen wie möglich eine Schutzimpfung anbieten zu können. Deshalb werden wir je nach verfügbarer Menge direkt auf die Personen, Berufsgruppen und Einrichtungen zugehen, die wir im Rahmen der Priorisierung schon berücksichtigen können.“
Bau der neuen U5 und die Abschaltung des Kohlekraftwerks Moorburg
Trotz der Vordringlichkeit der Pandemiebekämpfung gibt es aber natürlich auch andere politische Vorhaben, die für die Zukunft Hamburgs wichtig sind. Bürgermeister Tschentscher nennt „die Fortführung des Wohnungsbauprogramms, den weiteren Bau der neuen U5 und die Abschaltung des Kohlekraftwerks Moorburg mit dem Einstieg in die Nutzung des Standortes für die Wasserstoffproduktion“.
Grünen-Politiker wie Umweltsenator Jens Kerstan und Verkehrssenator Anjes Tjarks betonen die Bedeutung von Klimaschutz und der auch dafür nötigen Mobilitätswende, weg vom Auto, hin zu mehr Nutzung von Fahrrad, Bus und Bahn. Insgesamt seien die Aussichten gut, die jetzigen Konjunkturhilfen mit den Klimaschutzzielen zu verknüpfen, heißt es immer wieder. Auch der parteilose Wirtschaftssenator Michael Westhagemann nennt die Bedeutung des Klimaschutzes – und setzt außerdem stark auf Digitalisierung und Künstliche Intelligenz.
„Am Wichtigsten ist, dass die Wirtschaft nicht ins Stocken kommt“, so Westhagemann. Finanzsenator Dressel hat derweil mit der Reform der Grundsteuer ein Projekt vor der Brust, das noch für viel Streit sorgen könnte. „Wir bleiben da bei unserem Versprechen, ein einfach zu administrierendes und große Mehrbelastungen vermeidendes Modell umzusetzen“, so Dressel.
Künftig mehr Wohnungsbau an den Magistralen
Die grüne Justizsenatorin Anna Gallina will sich vor allem gegen die „massive Gewalt gegen Frauen und Mädchen“,gegen „Hatespeech“, also Hassbotschaften im Internet einsetzen – und gegen die Verschwendung von Lebensmitteln. Schulsenator Rabe möchte dafür sorgen, dass die Hamburger Schüler „beim Lesen und Schreiben sowie in Mathe besser werden“ und die Digitalisierung vorantreiben – wohl auch eine Lehre aus der Pandemie, die gezeigt hat, wie schlecht die Schulen selbst in einem reichen Land wie Deutschland hier noch aufgestellt sind.
SPD-Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt setzt ihren Fokus 2021 darauf, das „Bündnis für das Wohnen“ zum dritten Mal neu aufzulegen, in dem Senat, Wohnungswirtschaft und Mietervereine gemeinsam für genügend neue Wohnungen sorgen wollen. Außerdem soll es künftig mehr Wohnungsbau an den Magistralen geben.
Kultursenator Brosda will seiner Jobbeschreibung gemäß die „Debatte über die Relevanz von Kunst und Kultur“ weiterführen. „Wenn wir aus dieser Pandemie und ihrem unfassbaren Schrecken etwas lernen wollen, dann müssen wir als Gesellschaft das öffentliche Gespräch darüber führen, was wir künftig anders machen wollen“, so Brosda.
CDU-Fraktionschef Thering hofft, dass Impfen 2021 von den Hamburgern als „selbstbestimmte Bürgerpflicht“ wahrgenommen werde. Außerdem möchte er „insbesondere Familien in Hamburg stärken“. Diese hätten „in der Pandemie mit Belastungen und Einschränkungen in Kita, Schulen, Arbeitsplatz und Freizeit besonders viel geleistet“.
Welcher Senator 20 Kilo abgenommen hat
Bleiben, wie es sich gehört, die persönlichen guten Vorsätze. Da stehen mehr Sport, mehr Schlaf und mehr Zeit für die Familie bei den 2020 über alle Maßen geforderten Politikerinnen und Politikern hoch im Kurs – und natürlich wollen auch sie viel von dem nachholen, was in der Pandemie derzeit noch nicht möglich ist. Bürgermeister Tschentscher freut sich auf „Kino- und Restaurantbesuche, Reisen und persönliche Treffen“. Die Zweite Bürgermeisterin Fegebank will sich wieder als ehrenamtliche Trainerin im Handball oder Schwimmen en- gagieren.
Der zuletzt unter Dauerfeuer stehende Schulsenator Ties Rabe möchte zur Ablenkung von öffentlicher Dresche „die kleinen Präludien und Fugen von Bach an der Orgel einüben und die Arabesque von Debussy auf den Bergedorfer Musiktagen am Klavier vorspielen“. Außerdem habe er zuletzt „knapp 20 Kilo abgenommen“ und wolle sein „Gewicht (endlich einmal) halten“, so Rabe. Andere mühen sich erst noch um kleinere Zahlen auf der Waage: Weil sein „Knochengerüst beim Joggen nicht mehr so locker mitmacht“, will Umweltsenator Kerstan es 2021 „mit einem Home-Rudergerät versuchen“.
Grünen-Fraktionschef Lorenzen denkt größer und möchte 2021 in Hamburg den Marathon laufen – und für seine in den 2030er Jahren geplante Weltumseglung nun im Januar den Funkschein und im Herbst den nächsten Segelschein machen. CDU-Fraktionschef Thering backt kleinere Brötchen und wünscht sich einstweilen nur, „mit meiner Tochter zu Hagenbeck zu gehen und mit meinen Kumpels Fußball zu spielen“.
Das „árslok“ 2020 ist überstanden
Auch die Arbeit an inneren Werten steht bei den Vorsätzen hoch im Kurs. Stadtentwicklungssenatorin Stapelfeldt hat sich „mehr Achtsamkeit gegenüber den Lieben in der Familie und den Freunden“ verordnet. „In diesem Jahr habe ich meine Mutter verloren. Meine Kinder, Enkelkinder und viele Freunde habe ich zu selten gesehen“, so die Sozialdemokratin. „Ich hoffe sehr auf mehr Gelegenheiten zu fröhlichen, liebevollen und achtsamen Begegnungen im neuen Jahr.“
Grünen-Fraktionschefin Jasberg will sich bemühen, „keine oberflächliche Haltung gegenüber anderer Menschen Probleme“ zu entwickeln – „und mir meine privilegierte Situation in dieser schweren Krise versuchen immer wieder vor Augen zu führen“.
Die als Sozial- und Gesundheitssenatorin mit am stärksten durch die Krise beanspruchte SPD-Chefin Leonhard sehnt sich schließlich vor allem danach, „ein paar ausgefallene Urlaubstage und Ausflüge nachzuholen – und dann auch konsequent das Handy auszuschalten“.
Vielleicht gelingt das alles in 2021 ja etwas häufiger. Eine gute Nachricht gibt es schon jetzt: Das „árslok“ 2020 ist überstanden.