Hamburg. Die Hälfte der Parteilistenplätze verpflichtend weiblich zu besetzen, sei wahrscheinlich verfassungswidrig. Wie die Lösung aussehen könnte.

Der Begriff mag etwas sperrig sein, aber das Paritätsgesetz ist für etliche Politikerinnen und Politiker der Schlüssel, um die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern in den Parlamenten endlich durchzusetzen. Auch in Hamburg: SPD und Grüne haben sich in ihrem Koalitionsvertrag vor zwei Jahren darauf verständigt, man wolle „das Wahlrecht zur Bürgerschaft und zu den Bezirksversammlungen ändern, um jeden zweiten Platz der Wahlkreis-, Landes- und Bezirkslisten mit einer Frau zu besetzen“.

Der Haken: Es gibt schwerwiegende Bedenken, ob eine solche Regelung, die alle Parteien per Gesetz verpflichtet, ihre Listenplätze nach dem festen Mann-Frau-Schema zu besetzen, verfassungsgemäß ist. Entsprechende Versuche in Brandenburg und Thüringen sind bereits gescheitert. Die Verfassungsgerichtshöfe der beiden Länder kippten die jeweiligen Landesparitätsgesetze, weil sie unter anderem das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl beeinträchtigten. Im vergangenen Jahr hatte zudem das Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde gegen das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs abgelehnt.

Bremer Gutachten: Paritätsregelung „mit aller Wahrscheinlichkeit“ verfassungswidrig

Jetzt sind die Verfassungsbedenken noch einmal verstärkt worden. Die Bremische Bürgerschaft hatte den renommierten Juristen und früheren Bremer Justiz-Staatsrat Prof. Matthias Stauch mit einem Gutachten zum Thema Paritätsgesetz für den Stadtstaat beauftragt. Das Besondere: Die Urteile aus Brandenburg und Thüringen sollten in die Untersuchung einbezogen und auf ihre Übertragbarkeit auf die Bremer Verfassungs- und Gesetzeslage überprüft werden.

Das Ergebnis ist eindeutig. „Eine gesetzliche Paritätsregelung im Landes-Wahlgesetz, die für die Wahlliste direkt eine Geschlechterparität zwingend vorgibt, ist mit aller Wahrscheinlichkeit mit den Gesetzen der Freiheit und Gleichheit der Wahl, dem Demokratieprinzip und dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien nicht vereinbar“, fasst Stauch seine Erkenntnisse zusammen. Diese Grundsätze gälten aufgrund des Homogenitätsprinzips des Grundgesetzes auch direkt für alle Länder.

Die Freiheit der Wahl sei berührt, weil Wahlmöglichkeiten reduziert würden. Es könne nicht mehr jede beliebige Person nach der Zahl der Stimmen, die auf sie entfallen, auf die Parteiliste kommen. Das verletze einerseits das Demokratieprinzip, das auch innerhalb der Parteien und insbesondere für die Aufstellung von Kandidatenlisten gelte. Es schränke zudem das passive Wahlrecht der Menschen ein, die aufgrund der Paritätsvorgaben nicht zum Zuge kämen.

CDU fordert Abkehr von Paritätsgesetz

Auch das aktive Wahlrecht könnte berührt sein, weil der Grundsatz der Gleichheit der Wahl eingeschränkt sei. Die Gleichheit unter allen Personen ohne Ansehen des Geschlechts müsse gelten, beim Paritätsgesetz solle aber auf das Geschlecht abgestellt werden. Schließlich griffen die Vorgaben eines Paritätsgesetzes erheblich in die Organisationsfreiheit und in die Programmfreiheit der Parteien ein, weil mit den Personen auch die Programmatik verknüpft sei, die sich zur Wahl stellen wollen, aber eben nicht dürften. So sei auch die Chancengerechtigkeit der Parteien berührt.

Die CDU-Opposition in der Bürgerschaft sieht mit dem Stauch-Gutachten das Ende parlamentarischer Möglichkeiten für ein Paritätsgesetz gekommen. In einem Bürgerschaftsantrag, der in die Sitzung am 30. März eingebracht werden soll, fordern die Christdemokraten Rot-Grün auf, dass von dem „Vorhaben zur Verabschiedung eines Paritätsgesetzes … endgültig Abstand genommen wird“.

Zwar sei es notwendig, noch mehr Frauen für politische Mandate insbesondere auch in den Parlamenten zu gewinnen, sagt der verfassungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, André Trepoll. Dies gelte nicht zuletzt für seine Partei. Dennoch sei ein gesetzlich verordnetes Paritätsgebot ein „Irrweg“, weil das Vorhaben mehrfach als verfassungswidrig beurteilt worden sei. „Umso mehr erstaunt, dass die grüne Justizsenatorin Anna Gallina diesen Irrweg unbeeindruckt der Fakten weitergehen will.“

Justizsenatorin kündigt breite Debatte in der Bürgerschaft an

Tatsächlich denkt Gallina, für die das Paritätsgesetz ein wesentliches Thema ihrer Agenda ist, nicht daran aufzugeben. „Der Senat hält an dem Ziel fest, in Hamburg allgemeinverbindliche Regelungen auf den Weg zu bringen. In den Koalitionsverhandlungen haben wir uns darauf verständigt, dass es hierzu eine breite Debatte in der Bürgerschaft braucht“, sagt Gallina. Es obliege der Bürgerschaft, diesen Prozess zu organisieren. „Wir als Justizbehörde haben die einschlägigen Urteile der jüngeren Vergangenheit ausgewertet und werden die Fraktionen in diesem Prozess eng begleiten. Natürlich fließen auch alle neuen Erkenntnisse in diesen Prozess ein“, sagt die Senatorin mit Blick auf das Bremer Gutachten.

Ähnlich äußert sich Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg: „Die Koalition hat eine klare Linie verabredet. Diese steht vor allem unter dem Eindruck der massiven Geschlechterungerechtigkeit in der Politik.“ Bisher ergangene Urteile würden sorgfältig analysiert werden. „Überstürzter Aktionismus hilft der Sache nicht weiter. Darauf aufbauend arbeiten wir an der Umsetzung unseres Ziels“, ergänzt Jasberg. Es gebe dazu „fortwährend ressortübergreifenden und koalitionsinternen Austausch“.

Kommt statt eines Gesetzes ein Gebot?

Etwas nüchterner fällt die Zustandsbeschreibung bei der SPD aus. „Das Thema Paritätsgesetz ist mit dem Bremer Gutachten nicht sofort vom Tisch, schließlich haben wir es im Koalitionsvertrag festgeschrieben“, sagt der SPD-Verfassungspolitiker Olaf Steinbiß. Allerdings habe auch die SPD-Fraktion ein eigenes internes Gutachten erstellt, das ebenfalls erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken ergab. „Ich werde auf nichts eingehen, was offenkundig ziemlich verfassungswidrig sein könnte“, stellt Steinbiß klar. Auch aufgrund der Beanspruchung durch die Beratung der Rechtsverordnungen zur Pandemie-Bekämpfung sei das Paritätsgesetz jedenfalls zwischen ihm und der Grünen-Verfassungspolitikerin Lena Zagst noch gar nicht besprochen worden.

Der Bremer Gutachter weist darauf hin, dass ein „Hinwirkungsgebot“ zur Parität unterhalb der Ebene einer gesetzlichen Regelung seiner Ansicht nach unproblematisch ist. Tatsächlich enthält die Bremer Verfassung (Art. 2, Abs. 4) bereits einen solchen Passus: „Es ist darauf hinzuwirken, dass Frauen und Männer in Gremien des öffentlichen Rechts zu gleichen Teilen vertreten sind.“

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Unter Verfassungsexperten wird auch in Hamburg darüber diskutiert, ob anstelle eines Gesetzes ein Hinwirkungsgebot in die Präambel der Verfassung aufgenommen werden sollte. Zumindest in der SPD scheint es dafür eine gewisse Sympathie zu geben. Aktuell ist der Frauenanteil in der Bürgerschaft mit 43,9 Prozent der höchste unter allen Länderparlamenten.