Hamburg. Der kleine Parteitag der Grünen stand unter dem Eindruck der Ereignisse in der Ukraine. Grüne streiten um Waffenlieferungen.

So etwas erlebt man selten in der Politik – dass bei einem Parteitag so vielen Rednerinnen und Rednern die Stimmen brechen und einige sogar mit den Tränen kämpfen oder von ihnen überwältigt werden. Eigentlich wollten die Hamburger Grünen sich am Sonnabend bei ihrem Kleinen Parteitag in der Medienschule Wandsbek vor allem mit einer Erweiterung ihres Programms befassen – aber die Horrornachrichten aus der Ukraine haben auch bei ihnen die Prioritäten verschoben.

Statt sich gleich mit dem Leitantrag „Aus der Krise in die Zukunft: Grüne Politik für alle Hamburger*innen“ zu befassen, hörten die Delegierten des coronakonform durchgeführten Parteitags zunächst eine Vertreterin der ukrainischen Gemeinde in Hamburg. Florina Malso vom Verein für deutsch-ukrainische Zusammenarbeit forderte angesichts des Angriffskriegs gegen die Ukraine ein Einreiseverbot für russische Bürger und den Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-Finanzsystem. Danach debattierten die Grünen den Antrag „#StandWithUkraine – Hamburg steht an der Seite der Menschen in der Ukraine“, den mehrere Parteimitglieder, darunter viele aus der Parteiführung, kurzfristig eingebracht hatten.

Grüne in Hamburg: "Wir alle sind heute Ukrainierinnen"

„Für mich war Frieden immer eine Selbstverständlichkeit – vielleicht zu selbstverständlich“, sagte die 31-jährige Bürgerschaftsabgeordnete Alske Freter als eine der Verfasserinnen des Antrags. Der „Autokrat Putin“ habe eine Armee und könne aus sicherer Entfernung einen Krieg führen, sagte Freter. „Wenn aber Menschen bei ihm auf die Straße gehen, bekommt er Angst und sperrt sie weg. Wie feige und armselig kann man eigentlich sein?“ Es sei Putins Krieg, sagte Freter mit immer wieder brechender Stimme. „Viele Menschen in Russland wollen keinen Krieg, deswegen stehen wir auch hinter ihnen.“ Putin werde einen hohen Preis zahlen und als Verbrecher in die Geschichte eingehen, so Freter – und dann unter Tränen: „Wir alle sind heute Ukrainerinnen. Es lebe die Demokratie!“

Es sei eingetreten, wovor Grüne immer gewarnt hätten, sagte der Bundestagsabgeordnete Till Steffen. „Wir befinden uns jetzt in einem Krieg, der uns lange beschäftigen wird.“ Steffen verteidigte die Entscheidung der Bundesregierung, Russland zunächst nicht vom SWIFT-Zahlungssystem auszuschließen. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock hätte nachvollziehbar erklärt, warum dies jetzt nicht sinnvoll sei. Zugleich betonte Steffen, dass die Bundeswehr nun wieder eine andere Rolle habe und gestärkt werden müsse.

Fegebank fordert geschlossenes Auftreten der Grünen gegenüber Russland

„Seit Mittwoch gibt es keinen Alltag mehr“, sagte Fraktionschefin Jennifer Jasberg. „Ein wahnsinniger Narzisst greift seit Jahren unsere Werte an. Diejenigen, die Zeit hatten, sich übers Gendern aufzuregen“, hätten zu wenig für die Energieunabhängigkeit getan – „und sich von narzisstischen Männern täuschen und vorführen lassen“, so Jasberg.

Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank forderte die Grünen auf, der Bundesregierung Rückendeckung zu geben und sich nicht „in den sozialen Medien gegenseitig die Hölle heiß zu machen“ wegen einzelner Entscheidungen. Putin sehe das sehr genau, man dürfe sich nun nicht „auseinanderdividieren lassen“. Fegebank wies darauf hin, dass Russland sich finanziell stark in Hamburg beim European XFEL, der internationale Röntgenlaser-Forschungseinrichtung, engagiere. „Das wird womöglich jetzt alles gekappt“, so Fegebank.

Verkehrssenator Anjes Tjarks betonte, dass die Grünen „immer klar gesagt haben, dass Nordstream2 nicht geht“. Der russische Staat versuche, die westlichen Staaten zu zersetzen, auch indem er „mit Trollarmeen unsere sozialen Netze überflute“. Man müsse auch über die Lieferung von Defensivwaffen an die Ukraine nachdenken.

Grüne Jugend ist weiter gegen Waffenlieferungen

Der Bürgerschaftsabgeordnete Michael Gwosdz zeigte sich zurückhaltender beim Thema Waffen und Bundeswehr. Er betonte, dass man auch bei Sanktionen sehr darauf achten müsse, dass man nicht die Armen und Schwachen in Russland treffe. Parteichefin Maryam Blumenthal, die nach eigenen Worten mitten im Iran-Irakkrieg geboren wurde und sich an Sirenen und Bomben erinnere, sagte: „Wir dürfen nicht in die Falle laufen, die liberale Zivilgesellschaft Russlands mit der Regierung Putins gleichzusetzen.“

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Deswegen sei sie dankbar, dass die Maßnahmen sich zunächst auf die russische Regierung bezögen. Julius Nebel, Sprecher der Grünen Jugend, sprach sich gegen Waffenlieferungen aus. Waffen machten die Welt unsicherer. Wie andere Redner, betonte auch Justizsenatorin Anna Gallina, wie wichtig es nun sei, Geflüchtete aus der Ukraine aufzunehmen. „Unsere Solidarität ist sehr konkret“, so Gallina. „Hamburg ist ein sicherer Hafen für die Menschen aus der Ukraine, die ihren Weg hierher finden.“

Peter Zamory: "Ich finde es eine Schande, dass wir keine Waffen an die Ukraine liefern"

Der Altonaer Bürgerschafsabgeordnete Peter Zamory forderte ein härteres Vorgehen gegen die russische Regierung. „Kriegsverbrecher wie Putin und Lawrow und ihre Generäle gehören vor das Kriegsverbrechergericht in Den Haag“, so Zamory unter Tränen. „Ich finde es eine Schande, dass wir keine Waffen an die Ukraine liefern. Es ist eine klare Verpflichtung, sich an die Seite der Überfallenen zu stellen. 5000 Helme sind etwas für die 'heute-Show', nicht für die Realität.“ Der Altonaer Mediziner stellte schließlich auch einen Änderungsantrag zum Leitantrag. Darin müsse auch der Satz „Wir fordern die Bundesregierung auf Waffen zur Selbstverteidigung an die Ukraine zu liefern“ aufgenommen werden, forderte Zamory.

Dagegen sprach sich der Bundestagsabgeordnete Till Steffen aus. Eine solche Grundsatzentscheidung könne man „nicht mal schnell auf Zuruf fällen“, so Steffen. Die Debatte laufe, es sei hier aber nicht der richtige Ort für einen solchen Beschluss. Schließlich wurde der Änderungsantrag Zamorys mit sehr großer Mehrheit abgelehnt. Der Leitantrag zur Ukraine wurde danach einstimmig angenommen.

Darin heißt es u.a.: „Bündnis90/Die Grünen Hamburg steht fest an der Seite der Ukrainer*innen. Ihnen gelten unsere Gedanken in diesen Tagen. Ihnen gilt unsere volle Solidarität. Wir stehen auch hinter den Menschen in Russland, die in den letzten Tagen mutig gegen den Krieg demonstriert haben und sich für Demokratie und Frieden einsetzen. Sie zeigen, dass dies ein Krieg Putins ist und nicht der russischen Bevölkerung, die seiner Instrumentalisierung ausgesetzt ist. Sie gilt es zu unterstützen und ihre Menschenrechte müssen unbedingt gewahrt werden. Wir stehen auch an der Seite der Belaruss*innen, die weiterhin unter dem Regime Lukashenkas leiden, welches nur durch Russlands Unterstützung aufrechterhalten werden kann. Wir alle heute stehen an der Seite all der Menschen, die weltweit von Diktatoren unterdrückt oder eingeschüchtert werden. #WeStandWithUkraine“

Hamburgs Grüne diskutieren Erweiterung ihres Parteiprogramms

Im zweiten Teil des Parteitags ging es um eine Erweiterung und Überarbeitung des Programms der Hamburger Grünen. Nach dem Leitantrag des Landesvorstandes soll bis Mitte 2023 ein „Programmprozess organisiert und durchgeführt“ werden, der die Themen „Bildung und gesellschaftliche Teilhabe”, „Meine Stadt, mein Viertel – Lebenswertes Hamburg für alle“ sowie “Die Wirtschaft sind wir alle” als neue „Schwerpunktthemen“ in das Programm aufnehmen solle. Dabei müsse „ein Fokus darauf gesetzt werden, soziale Gerechtigkeit sowie soziale Sicherheit als einen Leitgedanken unserer Politik zu verankern“.

Parteichefin Blumenthal betonte in ihrer Begründungsrede, auch die Grünen müssten sich an „gesellschaftlichen Veränderungsprozessen orientieren“ und sich „programmatisch weiterentwickeln“. Vor allem die „Gerechtigkeitsfrage“ ziehe sich wie ein roter Faden durch alle Bereiche der Politik. Die finanzielle Sicherheit vieler Menschen sei gefährdet, es gebe ein großes Armutsrisiko für Familien, Alleinerziehende, für Ältere und Menschen mit Migrationshintergrund. „Deswegen wollen wir soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit wollen wir künftig als einen Leitgedanken verstehen.“ Nach einer kurzen Debatte stimmten die Delegierten dem Antrag einstimmig zu.

Danach erinnerte der Bürgerschaftsabgeordnete Michael Gwosdz an den kürzlich verstorbenen Kurt Edler, einen der Gründungsväter der Hamburger Grünen. „Kurts Vermächtnis ist, dass wir uns nicht in einer Blase bewegen, sondern Politik für alle Menschen machen“, so Gwosdz, der am Ende einen Satz aus einem der letzten Vorträge Edlers zitierte: „Wozu ich Sie aufrufe, ist Liebe. Ich meine: Menschenliebe.“ Schließlich würdigten die Grünen ihren früheren Landesvorsitzenden Kurt Edler mit einer Gedenkminute.