Hamburg. HipHopper, Querdenker, Satiriker, Einzelkämpfer – das Parteienspektrum ist breit wie selten. Was Urbane, Basis, Partei und Co. wollen.
Als Erstes will er den Michel in Michaela umbenennen – im Rahmen eines „Genderfizierungsprogramms“. Danach sollen Zeppeline den Nahverkehr bereichern und am Ende wird mindestens bundesweit der „vollautomatisierte Luxuskommunismus“ eingeführt.
Ziel dieses revolutionären Gesellschaftssystems ist es, „sämtliche Jobs und auch den kompletten Haushalt von Robotern machen zu lassen, damit alle Menschen endlich genügend Zeit für Strand, Hängematte und Nichtstun haben“, erklärt Florida-Klaus und verspricht: „Ich werde das Land in eine sonnengebräunte, sektgetränkte Zukunft führen.“ Florida-Klaus, mit bürgerlichem Namen Arne Ihlenfeld, ist ein 43 Jahre alter Sozialpädagoge, mittelmäßig erfolgreicher Musiker und Hamburger Spitzenkandidat von „Die PARTEI“.
Die PARTEI: Politik mit Mitteln der Satire
Manche halten die 2004 von Redakteuren des Satiremagazins „Titanic“ gegründete politische Vereinigung für ein Ärgernis, weil sie die wichtige Arbeit von Politikern veralbere oder gar verächtlich mache. Die Mitstreiter der „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ (kurz: PARTEI) dagegen betonen, dass sie sehr wohl echte Politik machten – allerdings mit den Mitteln der Satire.
Bei Teilen des Wahlvolks kommt das Konzept offensichtlich gut an. So gelang es der PARTEI 2019, mit Martin Sonneborn und Nico Semsrott gleich zwei Abgeordnete ins Europaparlament zu schicken. Mittlerweile hat Semsrott aber die Partei verlassen – mit Verweis auf aus seiner Sicht rassistische Tweets von Sonneborn. Über Humor lässt sich offenbar auch unter Witzbolden streiten.
PARTEI in Hamburg 1900 Mitglieder
Bei der Bundestagswahl 2017 hatten die Polit-Spaßvögel 1,0 Prozent der Zweitstimmen bekommen – fünfmal mehr als 2013. Und in Hamburg wurden sie bei der Bundestagswahl 2017 mit 1,6 Prozent sogar stärkste aller als „Sonstige“ an der Fünfprozenthürde gescheiterten Parteien. Mithin: Die so unernst daherkommende PARTEI bleibt ein halbwegs ernstzunehmender Faktor in der zweiten Politliga.
Das zeigen auch die Mitgliederzahlen. In Hamburg hat die Partei, deren Funktionäre derzeit stets in grauen Anzügen und roten Krawatten auftreten, laut „Generalsekretärin“ Katharina Denker rund 1900 Mitglieder – das wären mehr als bei FDP, Linke oder AfD. Entsprechend hoch motiviert gehen die PARTEI-Genossinnen in den Kampf um die Wählerstimmen, wie Denker betont: „Unser erklärtes Ziel bei der anstehenden Bundestagswahl sind 100 Prozent plus X.“
„Freien Wähler“ am erfolgreichsten in Bayern
Insgesamt sind es 22 Parteien und 171 Direktkandidierende, die zur Wahl am 26. September in Hamburg antreten. Während SPD, Grüne, CDU, Linke, AfD, FDP meist schon Kindern ein Begriff sind, wissen selbst politikinteressierte Erwachsene mit den Kleinparteien oft wenig anzufangen. Neben der PARTEI gehören die „Freien Wähler“ (kurz: FW) zu den bereits etablierteren Außenseitern.
Sie haben es bereits ins Europaparlament und in mehrere Landtage geschafft. Am erfolgreichsten sind sie mit 11,6 Prozent in Bayern. Nicht gereicht hat es für die Bundestagswahl vor vier Jahren: Mit rund einem Prozent der abgegebenen Zweitstimmen (in absoluten Zahlen etwas mehr als Die PARTEI) blieb die liberal-konservative Bundesvereinigung außen vor.
Verkehrswende und Steuerpolitik im Fokus
Schwerpunkte des aktuellen Wahlkampfs liegen etwa auf der Steuerpolitik, demnach soll es keine Vergemeinschaftung der Schulden in Europa geben. Auch die Verkehrswende will die Partei angehen. „Das ist mein persönliches Top-Thema“, sagt der Hamburger Direktkandidierende Thomas Lindner mit Listenplatz Nummer zwei. Der 47 Jahre alte Ikea-Verkäufer engagiert sich als Leiter der Landesgeschäftsstelle und stellvertretender Bezirksvorsitzender für die Freien Wähler Bergedorf.
„Wir fordern eine stärkere Nutzung von Wasserstoff und Methan, wollen es aber langsam angehen lassen und den Autoverkehr nicht unterdrücken.“ Ein ausgefeiltes Konzept gibt es Lindner zufolge noch nicht. Konkreter wird er beim Mietendeckel: Die FW wollen auf Bundesebene die Preise durch Investitionen in den sozialen Wohnungsbau stabilisieren, nicht durch einen Mietzins. Die Landesverbände würden das Thema dann kommunal umsetzen. „Wir sind sehr autonom und nicht zu 100 Prozent an das Bundesprogramm gebunden“, sagt Lindner. Es diene vielmehr als Leitfaden, an dem sich in Hamburg rund 65 Mitglieder orientieren.
Volt erzielte bei Bürgerschaftswahl Erfolge
Vergleichsweise erfolgreich war zuletzt in Hamburg auch die 2018 in Deutschland gegründete Partei „Volt“, die nach eigenen Angaben parallel in 16 anderen europäischen Staaten aktiv ist. Bei der Europawahl 2019 bekam die Partei 0,7 Prozent der Stimmen und errang damit einen Sitz im Europaparlament.
Bei der Bürgerschaftswahl 2020 in Hamburg kam Volt, deren Hauptanliegen ein „föderales und wirklich geeintes“ Europa ist, auf immerhin 1,3 Prozent und landete nur knapp hinter der PARTEI. Auch bei Kommunalwahlen feierte Volt Erfolge: In den Niederlanden zog sie zuletzt mit drei Abgeordneten ins Parlament ein. In Deutschland hat die Partei nach eigenen Angaben 3000 Mitglieder, in Hamburg etwa 150 und in ganz Europa um die 18.000.
„Volt vertritt einen sozialliberalen Ansatz"
„Unsere Mitglieder waren zum großen Teil vorher nicht politisch aktiv“, sagt die Hamburger Spitzenkandidatin Luca Alexandra Beitz, die an der HAW Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Logistik studiert. „Diejenigen, die vorher schon in anderen Parteien gewesen sind, kommen hauptsächlich aus den größeren Parteien.“ Sie selbst sei über die Hilfsorganisation Europe Cares zu Volt gekommen, die Geflüchtete an den Außengrenzen Europas unterstütze. „Volt vertritt einen sozialliberalen Ansatz, teilweise aber auch linke Positionen“, sagt die 24-Jährige.
„Wenn es um die Zukunft der Städte wie Hamburg geht, dann setzen wir darauf, dass die Metropolen voneinander lernen – denn die Probleme sind überall ähnlich. Da geht es überall um die Organisation der Mobilität, um Wohnungsbau und hohe Mieten oder auch um Obdachlosigkeit, ein Thema das mich selbst besonders beschäftigt.“ Volt plädiere überdies „für eine Stärkung des Öffentlichen Personennahverkehrs, für günstigere Fahrpreise, etwa durch ein 365-Euro-Ticket, aber auch für Tempolimits im Autoverkehr: 130 Stundenkilometer auf Autobahnen und Tempo 30 in Innenstädten.“
„Die Basis“ oft als „Querdenkerpartei“ bezeichnet
Viel von sich reden machte zuletzt auch die neue Partei „Die Basis“. Sie ist im Zuge der Auseinandersetzungen um die Corona-Politik entstanden, wird oft als „Querdenkerpartei“ bezeichnet und hat nach eigenen Angaben mittlerweile um die 28.000 Mitglieder – in Hamburg sollen es bereits 700 sein. Tatsächlich gehörten zu den Gründern bekanntere und weniger bekannte Menschen, die die Gefahren des neuen Coronavirus mindestens stark relativierten.
Den Hamburger Spitzenkandidaten Kai Lüdders habe vor allem irritiert, „wie schnell Menschen bereit waren, Grundrechtseinschränkungen zu akzeptieren“, sagt er. Fast keine Partei habe es „in Erwägung gezogen, über Alternativen nachzudenken.“ Lüdders ist 43 Jahre alt, nach eigenen Angaben Jurist und Politologe, Vater von zwei Kindern, verdient sein Geld in der Immobilienwirtschaft, lebt in Blankenese und schreibt Romane – zuletzt „Mauern“ über die Coronakrise.
Kai Lüdders lässt sich vorerst nicht impfen
Er sei lange Mitglied der SPD gewesen und habe im Bundestag für den späteren Bremer Bürgermeister Carsten Sieling gearbeitet, berichtet Lüdders, der sich als „überzeugten Antifaschisten“ sieht. Er selbst habe keinen direkten Kontakt zu den Querdenkern, er leugne und verharmlose auch nichts im Bezug auf Corona, beteuert er. Allerdings sei es Konsens in der Partei, dass es Alternativen zu den rigiden Maßnahmen hätte geben müssen. „Ich nenne da etwa den schwedischen Weg“, so Lüdders. Heute fordere seine Partei die Rücknahme aller Coronamaßnahmen und einen Freedom-Day.
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„Wir wollen Gesellschaft wieder zusammenführen.“ Er selbst werde sich zunächst nicht impfen lassen. Er sei immer skeptisch, „wenn Panik betrieben wird“, sagt Lüdders. Das gelte aber genauso für Panikmache gegen die Impfung, da könne er manche Hysterie auch nicht nachvollziehen. Er selbst habe schlicht die Risiken für sich abgewogen – und er habe auch keine alten Eltern, die er schützen müsse.
Mit dabei ist ein Einzelkämpfer vom Kiez
Nur ein Bruchteil der Basis-Mitglieder sei wegen der erlaubten Doppelmitgliedschaften auch in der AfD, ein großer Anteil dagegen komme von Grünen, SPD, Linke, teilweise auch aus der CDU. „Wir vertreten keinerlei Positionen, die man rechts nennen könnte“, sagt Lüdders – eine klarere Abgrenzung nach rechts würde er sich aber gleichwohl für seine Partei bundesweit wünschen. Auch nach Corona werde es für die Partei nicht vorbei sein, glaubt der Jurist. Die „Basis“ sei eine Bewegung, der es um viel mehr gehe – eben, wie der Name schon sagt, auch um mehr Basisdemokratie, etwa durch „geloste Bürgerräte“.
Neben diesen aktuell größeren der Kleinparteien gibt es bei der Bundestagswahl auch Einzelkämpfer – den Dollhouse-Gründer Odin Janoske-Kizildag, der in Mitte als Direktkandidat antritt. Ihm geht es nach mehr als anderthalb Jahren Coronakrise und rigiden Einschränkungen vor allem um die Rettung der Kiezclubs.
Bundestagswahl: Wiedersehen mit alten Bekannten
Es gibt am 26. September aber auch ein Wiedersehen mit alten Bekannten. So stehen die Piratenpartei, ÖDP, NPD, MLPD oder DKP auf dem Wahlzettel. Außerdem dabei: die Tierschutzpartei, die V-Partei3 (für Veränderung, Vegetarier und Veganer), die Liberal-Konservativen Reformer, die Pinken, die Partei der Humanisten, das Team Todenhöfer und zum zweiten Mal „Die Urbane. Eine HipHop Partei“.
Letztere wurde 2017 in Berlin gegründet und orientiert sich an den Werten der HipHop-Kultur, die sich in den 1970er Jahren in der Bronx entwickelte und weniger privilegierten Menschen eine Stimme geben will. Sie will Cannabis entkriminalisieren und stärker über die Gefahren von Alkohol aufklären. In Hamburg kämpfen ihre 24 Mitglieder laut Landeschefin Aimée Pingel mit ganzer Kraft für die „Dekolonisierung“ – und mit einem „machtkritischen, intersektionalen und antirassistischen“ Ansatz dafür, „dass alle Menschen die gleichen Chancen haben und nicht die großen Player über die Zukunft bestimmen.“