Hamburg. Nach dem G20-Gipfel wurde eine Identifikationsnummer eingeführt – Widerstand gegen vermeintlichen Tabubruch hat sich gelegt.

Vor drei Jahren löste Innensenator Andy Grote (SPD) einen Sturm der Empörung bei Polizeibeamten und besonders den Polizeigewerkschaften aus, als er überraschend die Einführung einer individuellen Kennzeichnungspflicht für Polizisten ankündigte.

Zwei Jahre nach der entsprechenden Änderung des Hamburgischen Beamtengesetzes hat sich der Sturm offensichtlich gelegt. Der Senat schlägt in einer Mitteilung an die Bürgerschaft nun vor, die bis zum 31. Dezember 2021 geltende Kennzeichnungspflicht zu entfristen und zur dauerhaften Regelung zu machen.

Polizei Hamburg: Viele Beamte tragen ohnehin Namensschild

„Seitens der Polizei wird auf Grundlage der… Erfahrungen eine Entfristung der Kennzeichnungspflicht befürwortet. Die Akzeptanz der betroffenen Polizeibediensteten bezüglich der Kennzeichnungspflicht ist hoch“, heißt es in der Mitteilung des Senats.

Rund 80 Prozent der Polizeibeamten tragen im täglichen Einsatz ohnehin freiwillig ein Namensschild. Die individuelle Kennzeichnung mit einer sechsstelligen Ziffernfolge wurde für den Einsatz der Bereitschaftspolizei bei Demonstrationen eingeführt, bei denen die Beamten bis dahin in der Regel anonym und aufgrund ihrer Ausrüstung mit Helm und Uniform häufig nicht identifizierbar waren.

Kennzeichnungspflicht nach G20-Gipfel beschlossen

Grote hatte die individuelle Kennzeichnung der Beamten in geschlossenen Verbänden mit den Erfahrungen aus den Polizeieinsätzen bei den massiven Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel begründet. Damals waren Vorwürfe wegen möglicher strafbarer Polizeigewalt erhoben worden, wobei verdächtige Beamte nicht identifiziert werden konnten.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sprach in einem offenen Brief von einer „offensichtlichen Fehlentscheidung“ und warf Grote „Wortbruch“ vor, weil nach einem Beschluss des SPD-Landesparteitags die Kennzeichnung „nur im Einvernehmen“ mit den Gewerkschaften eingeführt werden sollte.

Kennzeichnungspflicht: mehr Transparenz und Offenheit

Die Grünen hatten allerdings bereits in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD 2015 einen Prüfauftrag zur Einführung einer Kennzeichnungspflicht durchgesetzt. Grote begründete den Schritt auch mit einer veränderten gesellschaftlichen Erwartung an Transparenz und Offenheit bei der Polizei. „Die weiterhin bestehende individualisierte, pseudonymisierte Kennzeichnung der geschlossenen Einheiten der Landesbereitschaftspolizei ist als weiterer Ausdruck der Garantie zu verstehen, dass staatliches Handeln im demokratischen Rechtsstaat überprüfbar ist“, heißt es nun auch in der Senatsmitteilung.

Diese Überprüfbarkeit entspreche dem Selbstverständnis der Polizei, da damit die Grundannahme des rechtsstaatlichen Auftretens nicht „nicht fortwährend einem Generalverdacht“ gegenüberstehe. „Die damit geschaffene Transparenz ist Ausdruck einer modernen Polizei“, schreibt der Senat.

Gute Erfahrungen mit Kennzeichnungspflicht

Basis für den Vorschlag zur dauerhaften Kennzeichnung der Polizeibeamten und -beamtinnen ist eine Evaluation, die von November 2019 bis Dezember 2020 lief. In diesem Zeitraum trugen insgesamt 23.794 Beamte der Bereitschaftspolizei bei 200 Einsätzen die individuellen Nummern auf ihrer Uniform. „Im Zusammenhang mit der Kennzeichnungspflicht wurden keine konkreten Gefährdungen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten festgestellt“, heißt es in der Senatsmitteilung.

Das Dezernat Interne Ermittlungen hat von November 2019 bis Dezember 2020 in diesem Zusammenhang zwölf Ermittlungsvorgänge gegen Beamte erfasst. Bei zwei Polizisten gelang die Identifizierung nur aufgrund der Kennzeichnung, in einem weiteren Fall war sie hilfreich. Bei sechs Beamten gelang die Identifizierung trotz Kennzeichnung nicht, „darunter einmal aufgrund schlechter Erkennbarkeit, viermal aufgrund situationsbedingt nicht möglicher Erkennbarkeit und einmal aus sonstigen Gründen“.

Keine Beschwerden der Polizeibeamten gegen Kenn-Nummer

In den meisten Fällen hatten diejenigen, die angebliches polizeiliches Fehlverhalten anzeigten, auch die Nummern der Beamten mit angegeben. In einem Fall war Videomaterial ausgewertet worden. Laut Senat sind die staatsanwaltlichen Ermittlungen in elf der zwölf Fälle noch nicht abgeschlossen, in einem Fall gab es eine Einstellung. Bei der Polizei gingen keine Beschwerden von Beamten gegen die Kennzeichnung ein.

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Ein wesentlicher Bestandteil der Evaluation war darüber hinaus die Befragung der Anmelderinnen und Anmelder von Demonstrationen. Insgesamt gingen 113 ausgefüllte Fragebögen bei der Polizei ein. „84 Prozent der Teilnehmenden (an der Befragung, die Red.) sprachen sich für die Beibehaltung der Kennzeichnungspflicht aus“, schreibt der Senat. Hauptargumente: Die Kennzeichnung fördere die Transparenz, senke die Anonymität und führe zu einer Polizei, der man vertrauen könne, sowie zu mehr Selbstreflexion der Polizei.

Polizei Hamburg teilweise Spott ausgesetzt

Nach Angaben von Polizeibeamten werden von Demo-Teilnehmern vermehrt Foto- und Videoaufnahmen von Einsatzkräften sowie deren Kennzeichnung gemacht oder die Individualnummern notiert. Gelegentlich reagiere „das polizeiliche Gegenüber mit Belustigung oder Spott“ auf bestimmte Zahlenkombinationen.

Das gelte zum Beispiel für die Nummernfolge „1312XX – die ersten vier Ziffern der LBP 31, zweite Gruppe – aufgrund der Analogie zu dem englischen Ausspruch ,ACAB‘ (,All Cops Are Bastards‘). Einige Demonstranten hätten Beamte auch abwertend als „Nummern“ bezeichnet.