Hamburg. Die 35-jährige Berufsschullehrerin bewirbt sich um das Amt der Landesvorsitzenden. Blumenthal wuchs in Steilshoop auf.

Im Alter von fast drei Jahren ist Maryam Blumen­thal mit ihrer Familie aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet. 16 Jahre lang lebte sie in einem Hochhaus in Steilshoop. Das sind eigentlich keine günstigen und schon gar nicht typischen Voraussetzungen für eine Karriere bei den Grünen, die vielen als Akademikerpartei gelten und die sich auf Bundesebene gerade erst ein „Vielfaltsstatut“  gegeben haben, nicht zuletzt, um Karrieren von Menschen mit Migrationshintergrund wie eben Maryam Blumenthal zu fördern.

Nun bedarf die 35 Jahre alte Berufsschullehrerin in Wahrheit nicht mehr der Förderung – sie gehört als stellvertretende Bürgerschaftsfraktionsvorsitzende bereits zum engeren Führungskreis der Hamburger Grünen. Und Maryam Blumenthal war zuvor Wandsbeker Bezirkschefin, holte als Spitzenkandidatin bei der Bezirksversammlungswahl im Jahr 2019 beeindruckende 26,3 Prozent und verhandelte maßgeblich den Koalitionsvertrag mit der SPD, die mit 26,7 Prozent nur hauchdünn vor den Grünen landete.

Anna Gallina hat ihren Rückzug angekündigt

Und doch: Maryam Blumenthal, die im Gespräch mit dem Abendblatt ihre Kandidatur für das Amt der Landesvorsitzenden ankündigt, wäre im Falle ihrer Wahl die erste Hamburger Parteichefin mit Migrationshintergrund. Ihre Chancen stehen nicht schlecht: Die Landesvorsitzende Anna Gallina hat bereits angekündigt, dass sie wegen ihres Wechsels als Justizsenatorin in die rot-grüne Landesregierung  ihr Parteiamt aufgeben wird. Blumenthal hat sich in Gesprächen der Unterstützung einiger Parteifreunde und – freundinnen versichert. Wer dazu zählt, will sie nicht verraten.

Anna Gallina will sich als Parteivorsitzende zurückziehen
Anna Gallina will sich als Parteivorsitzende zurückziehen © MARCELO HERNANDEZ / FUNKE Foto Services | Unbekannt

Nur so viel: Auch mit Gallina, Katharina Fegebank und den Fraktionsvorsitzenden Jennifer Jasberg und Dominik Lorenzen hat sie natürlich gesprochen. Einen Termin für die Landesmitgliederversammlung mit der Wahl des Landesvorstandes  gibt es coronabedingt noch nicht – voraussichtlich wird sie im Frühjahr stattfinden.

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Blumenthal will der Partei mehr Gewicht verleihen

Blumenthal will im Fall ihrer Wahl der Partei mehr Gewicht gegenüber den Senatsmitgliedern und der auf 33 Köpfe angewachsenen Bürgerschaftsfraktion verleihen, die wegen der Regierungsbeteiligung der Grünen eine dominierende Stellung im internen Machtgefüge innehaben. „Die Partei muss Stärke wiedergewinnen“, sagt sie und präzisiert: „Die Partei muss in Stärke mitwachsen.“

Da ist zum einen der Wahlerfolg der Grünen bei der Bürgerschaftswahl mit 24,2 Prozent, der ihre politische Bedeutung und Macht massiv erhöht hat. Zum anderen: Innerhalb weniger Jahre hat sich die Mitgliederzahl von 1500 auf gut 3500 mehr als verdoppelt. „Wir sind keine kleine Partei mehr. Wir brauchen mehr Professionalität“, sagt Blumenthal.

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Die vielen neuen Mitglieder wollten mitgestalten. „Zu uns kommen doch diejenigen, die sagen, wir wollen nicht länger auf der Couch sitzen. Und wir sind eine basisdemokratische Partei“, sagt die Vize-Fraktionschefin. Die Rolle der Partei müsse neu definiert werden. „Neben einem starken Grünen-Senat und einer starken Fraktion müssen wir zu einem Dreiklang finden, indem zum einen Aufgabenklarheit und zum anderen eine enge Verflechtung auf Augenhöhe herrscht“, schreibt Blumenthal in ihrer Bewerbung für das Spitzenamt.

 Durch den Sport habe sie auch ihr Demokratieverständnis erworben

„Ich bin bereit, Führungsspielerin zu sein“, sagt die 35-Jährige, und das ist mehr als ein zarter Hinweis auf die Bedeutung, die der Sport in Blumenthals Leben hat. Im Alter von zehn Jahren begann sie, Basketball zu spielen – zuerst in der Schul-AG, dann im Sportverein. Seit 25 Jahren betreibt sie Leistungssport, zuletzt in der Oberliga als Flügelspielerin im Team der 1. Damen des Walddörfer SV. In Volksdorf lebt Blumenthal mit ihrem Mann und den drei Kindern im Alter von neun, acht und zwei Jahren. Und sie unterrichtet Pädagogik und PGW (Politik/Gesellschaft/Wirtschaft) an der Stadtteilschule Bergstedt. Auch wenn die Zeit für den Leistungssport nicht mehr reicht, trainiert sie die U10-Kindermannschaft ihres Sportvereins im Basketball.

„Im Sport ist es egal, woher man kommt, wie man aussieht oder wen man liebt – es zählt nur der Teamgedanke, wie sehr man füreinander einsteht, sich gegenseitig unterstützt“, schreibt Blumenthal. Durch den Sport habe sie auch ihr Demokratieverständnis erworben. Und doch:  Das Leben in der Steilshooper Hochhauswelt stand dazu in scharfem Kontrast. „Dort lernte ich, dass Chancengerechtigkeit für viele nur ein Füllwort ist – und für andere ein unbekanntes Fremdwort“, so Blumenthal. „Ich erfuhr, dass alles, was ich im Sport gelernt hatte, nicht unbedingt im echten Leben gilt. Es zählte oft, woher ich kam, wie ich aussah, wer meine Eltern waren oder wo ich wohnte.“

Für den Fall ihrer Wahl will sie diesen Tendenzen und Vorurteilen entgegenwirken. „Wir werden oft als Akademiker*innenpartei bezeichnet, die Wohlstandspolitik für Ihresgleichen macht“, schreibt Blumenthal. „Wir müssen gemeinsam dieses Image korrigieren und weiter konsequent alle Gesellschaftsgruppen in unseren Inhalten mitdenken – von sozialen Themen, über wirtschaftliche bis zu Umwelt- und Klimaschutz.“

Nur durch Zufall kam die dreifache Mutter zur Politik

Zur Politik kam Blumenthal eher durch Zufall. „Dafür habe ich eigentlich nie Zeit gehabt. Ich kann nicht, ich habe Training“, sei stets ihre Antwort gewesen, wenn Freunde sich trafen. Vor zehn Jahren, als die damalige unionsgeführte Bundesregierung den teilweisen „Ausstieg vom Atomausstieg“ beschloss, sei sie bei den Grünen aktiv geworden. An die Übernahme von Ämtern oder Mandaten habe sie nie gedacht. Doch dann habe ihr damaliger Nachbar im Hochhaus, Dennis Paustian-Döscher, heute ebenfalls Bürgerschaftsabgeordneter, sie gefragt, ob sie bei der Bezirksversammlungswahl 2014 auf Platz zwei im Wahlkreis Bramfeld/Farmsen/Berne für die Grünen antreten wolle.

 „Die hatten zu wenig Frauen“, sagt Blumenthal. Sie habe zugesagt, auch weil ihr gesagt wurde, dass der Platz als chancenlos galt. Sie wollte eigentlich lieber Sport treiben und sich auf ihren Beruf als Lehrerin konzentrieren. Es kam anders. Sie wurde auf Platz eins gewählt und zog in die Bezirksversammlung ein. „Ich war eine klassische Quotenfrau“, sagt Blumenthal und lacht herzhaft. Seitdem ging es steil bergauf – ohne Quote.