Hamburg. Kiezwirt tritt als parteiloser Direktkandidat in Mitte gegen Falko Droßmann an. Hamburgs Corona-Regeln gaben den Ausschlag.

Die Pandemie verändert die Politik
zumindest auf St. Pauli. Am Freitag hat der Landeswahlausschuss
einen parteilosen Direktkandidaten in Mitte zugelassen: Der
bekannte Kiezwirt Odin Janoske-Kizildag will in den Bundestag.

Der
Betreiber der „99 Cent Bar“ meint es bitterernst. Seit Monaten ist
er das Gesicht und die Stimme der Kiezgastronomen und Taxifahrer, die gegen die ihrer Ansicht nach unfaire
Corona-Eindämmungspolitik
protestieren.

Schon im Frühjahr 2020
gingen die Kiez-Wirte auf die Straße und versuchten, auf ihre
schwierige Lage aufmerksam zu machen. Im Januar 2021 ließen 30
Wirte rund um den Hans-Albers-Platz ihre Kneipen aus Protest hell
erleuchten und spielten Schlager und Oldies.

Kiezwirt Janoske-Kizildag zog gegen Hamburgs Corona-Regeln vor Gericht

Nachdem auch diese
Demonstration wegen der nächtlichen Ausgangssperre verboten wurde,
zog Janoske-Kizildag vor Gericht. Mit Erfolg. Doch sein Geschäft
hat davon kaum profitiert – noch immer gilt eine Sperrstunde mit
Alkoholverbot ab 23 Uhr. Für den Kiez als Vergnügungsviertel eine
fast tödliche Einschränkung
.

Janoske-Kizildag hat seine 99 Cent Bar
noch nicht einmal wiedereröffnet – unter Corona-Bedingungen ließe
sich die kleine Kneipe nicht vernünftig betreiben. Er kritisiert
nicht die Corona-Beschränkungen an sich, sondern die überharten
Regeln. Wie viele andere Gastronomen hatte er im Sommer viel Geld
in coronakonforme Schutzmaßnahmen investiert: Eine große
Lüftungsanlage soll Keime herausfiltern. Viele Barbetreiber haben
umgebaut, Spuckschutzwände installiert – und müssen trotzdem
weiterhin spätestens ab 23 Uhr schließen. Vor seiner Kneipe hing
das Plakat: „Hier tötet politische Inkompetenz unsere Existenz.“

Viele Wirte auf St. Pauli müssen Hartz IV beantragen

Viele Wirte beklagen, dass ihre finanzielle Rücklagen aufgezehrt
sind oder sie Hartz IV beantragen müssten. Janoske-Kizildag lebt
derzeit von einem Smart-Autohandel. Vom Querdenker-Lager
distanziert sich der Kiezgastronom in dritter Generation klar, er
selbst ist doppelt geimpft.

Er hadert aber mit der
Eindämmungspolitik. Früher, so erzählt der 54-Jährige, habe er
immer SPD gewählt. Jetzt stört er sich nicht nur am „Berufsverbot“
für die Kiezwirte, sondern auch am Umgang mit vielen Menschen in
der Pandemie. „Die Politik hat den Kiez vergessen, die Barbesitzer,
die Künstler, aber auch die Schulen.“

Der Vater eines Grundschülers
fragt: „Wie kann es sein, dass nach dem Ausbruch der Pandemie viele
Restaurants Lüftungsanlagen kaufen – die Schulbehörde aber keine?“
Irgendwann ermunterten ihn seine Mitstreiter, in die Politik zu
gehen.

Odin Janoske-Kizildag holte sich Tipps bei Marcus Weinberg

Als Klassenkamerad des Bundestagsabgeordneten Marcus
Weinberg informierte er sich bei dem CDU-Parlamentarier -- und
begann Unterschriften für seine Kandidatur zu sammeln. „Die Wut ist
überall. Wir haben keine Lobby, die für uns kämpft.“

Der Gründer
des „Dollhouse“
, Ex-Vize des Clubkombinat Hamburg e.V. und Erfinder
verschiedener Gastrokonzepte auf dem Kiez hatte die nötige Zahl
schnell zusammen: Seine Kandidatur versteht er als Ausrufezeichen: „Wir werden den Kiez nach Corona nicht wiedererkennen“, warnt
Janoske-Kizildag. „Gerade die alten Kneipen mit Herzblut und
Kiezgeist werden wir verlieren.“

Der Wahlbezirk Hamburg Mitte aber
ist weit mehr als St. Pauli: Er deckt sich nur in Teilen mit dem
Bezirk Mitte: Während Wilhelmsburg zum Wahlbezirk Bergedorf gehört,
sind die Nord-Stadtteile Barmbek, Dulsberg, Hohenfelde, Uhlenhorst
bei der Bundestagswahl wieder Mitte.

Janoske-Kizildag setzt auf Sieg gegen Favorit Falko Droßmann

Traditionell gewinnt die SPD
im Herzen der Stadt, früher teilweise sogar mit 60 Prozent der
Erststimmen. Bei der vergangenen Wahl 2017 ging Johannes Kahrs mit
30,9 Prozent nur noch relativ knapp als Sieger ins Ziel vor dem
Christdemokraten Christoph de Vries (24,2 Prozent), der wieder
antritt.

Der bekannte Bezirksamtsleiter Falko Droßmann (SPD) gilt
als großer Favorit
. Die Grünen hoffen hingegen, mit Manuel Muja den
Sozialdemokraten ihre Hochburg zu nehmen. Wem und wie viele Stimmen
der Direktkandidat vom Kiez ihnen abnimmt, ist völlig unklar.
Janoske-Kizildag ist demonstrativ optimistisch: „Ich setze nicht
auf Platz, sondern auf Sieg“, sagt er. Und wenn es am 26. September
nicht klappt? „Dann gibt es ja noch andere Wahlen.“