Hamburg. Wieso SPD und Grüne keine andere Möglichkeit mehr sehen, die dritte Corona-Welle zu brechen – und was die Opposition sagt.
Der Mittwoch begann für Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) mit einer guten Nachricht am Morgen: Sein Corona-Test war negativ ausgefallen. Denselben Befund erhielt Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne). Die beiden hatten sich nach der Teilnahme an einer Bundesratssitzung und Warnhinweisen aus ihrer Corona-App vorsichtshalber in häusliche Isolation begeben.
Weil sich diese Beschränkung als unnötig herausstellte, konnte Tschentscher am Mittwoch um 14 Uhr doch ins Rathaus kommen. Dort stellte er allerdings Maßnahmen zur Eindämmung der dritten Corona-Welle in der Hansestadt vor, die kaum ein Hamburger als gute Nachricht empfinden dürfte – den Bürgermeister selbst eingeschlossen.
Ausgangssperre: Corona-Zahlen zwingen zu "drastischen Maßnahmen"
Erstmals seit Beginn der Pandemie wird es auch in Hamburg zu nächtlichen Ausgangsbeschränkungen kommen. Sie werden von Karfreitag an täglich von 21 bis 5 Uhr gelten und sind vorerst bis zum 18. April beschränkt. „Die Infektionsdynamik ist zu stark“, sagte Tschentscher, „wir müssen jetzt eine deutliche Bremsung hinbekommen.“
Daher müsse man „leider“ auch zu „drastischen Maßnahmen“ greifen. Erfahrungen in anderen Staaten hätten aber gezeigt, dass Ausgangsbeschränkungen wirksam seien und sehr effektiv neue Ansteckungen mit dem Virus verhinderten.
Die meisten Verstöße gegen die Corona-Regeln finden nachts statt
Innensenator Andy Grote (SPD) erklärte, es handele sich um einen „einschneidenden Eingriff in unser aller Freiheit“. Wegen der ausufernden Corona-Lage brauche es allerdings eine „einschneidende Wirkung. Die Stadt habe im vergangenen Halbjahr rund 3600 Verstöße gegen Corona-Beschränkungen im privaten Raum festgestellt, allein zwei Drittel davon zwischen 21 und 5 Uhr, wobei vor allem jüngere Menschen beteiligt gewesen seien.
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Wer von Karfreitagabend an dann unerlaubt auf dem Hin- oder Rückweg zu einem privaten Treffen unterwegs sei, müsse sich auf „unangenehme Gesprächssituationen“ mit kontrollierenden Polizisten einstellen, sagte Grote. Er zeigte sich überzeugt, dass es wegen der nächtlichen Ausgangsbeschränkung künftig sowohl erheblich weniger private Treffen als auch Zusammenkünfte im Freien geben wird.
Welche Ausnahmen für die Ausgangssperre gelten
Ausnahmen gelten für den Hin- und Rückweg zur Arbeit, für die Versorgung von Tieren und natürlich für medizinische Notfälle in diesem Zeitraum. Auch allein spazieren zu gehen oder zu joggen, bleibt erlaubt. Ausgenommen von der Regelung sind zudem Obdachlose.
Der Innensenator appellierte an die Hamburger, geduldig zu bleiben, wenn sie in einer solchen Situation kontrolliert werden – und er deutete an, dass die Polizei kulant sein werde, wo es möglich sei: „Wenn jemand um 21.15 Uhr mit vollen Einkaufstüten nach Hause geht, werden wir nicht mit gezücktem Bußgeldkatalog nebenherlaufen.“
Intensivmediziner warnen: „Wir rennen ins Verderben“
Wie die Stadt es kontrollieren wolle, wenn sich Gruppen aus mehreren Haushalten schon vor 21 Uhr privat treffen und erst am nächsten Morgen wieder das Haus verließen, wurde Peter Tschentscher gefragt. „Es sollte jetzt keinen Wettbewerb geben, wer findet eine Lücke“, sagte der Bürgermeister.
Die Lage sei ernst. Er verwies auf die Warnung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Deren Präsident, Prof. Gernot Marx, hatte am 28. März erklärt: „Wir rennen sehenden Auges ins Verderben.“ Er forderte: „Wir müssen von den hohen Zahlen runter! Jetzt.“
Tschentscher fürchtet Überlastung der Intensivstationen
Die Sorge sei auch bei ihm groß, dass es zu einer Überlastung der Intensivstationen kommen könnte, sagte Tschentscher. Die zusätzlichen Einschränkungen seien nötig, um Zeit zu überbrücken, bis die gesteigerte Zahl an Schnelltests sowie eine hohe Zahl an Impfungen für mehr Sicherheit sorge.
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Sobald es die Corona-Lage zulasse, werde der Senat Einschränkungen zurücknehmen. Ein festes Datum könne er aber nicht nennen, sagte Tschentscher. Lockerungen seien denkbar „wahrscheinlich in einem Bereich, wenn wir wieder unter 100 kommen“. Gemeint ist die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen (Inzidenz).
Die meisten Corona-Fälle können nicht zurückverfolgt werden
Tschentscher räumte ein, dass es ein „Grundproblem“ sei, dass man bei rund zwei Drittel aller Infektionen den Ort oder Grund der Ansteckung nicht ermitteln könne. Die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) sagte dazu, aus diesem Grund und um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen, versuche man daher nicht nur mit einer Maßnahme, sondern mit einem ganzen Bündel die dritte Welle einzudämmen.
Sie räumte ein: „Wir können als Senat so viele beschließen wie wir wollen. Wir werden nur erfolgreich sein, wenn wir die Unterstützung der Bevölkerung haben.“
Opposition übt scharfe Kritik an Corona-Maßnahmen
Bei der Opposition in der Bürgerschaft stießen die Maßnahmen auf scharfe Kritik: Die Ausgangsbeschränkung sei die „Ultima Ratio der Corona-Eindämmungsmaßnahmen“, sagte CDU-Fraktionschef Dennis Thering.
Dass es so weit kommen musste, habe auch der rot-grüne Senat zu verantworten, der „längst nicht alle Hausaufgaben zur Eindämmung der Corona-Pandemie“ erledigt habe. Die Beschränkung müsse auf das „absolut Notwendige begrenzt bleiben“.
Linke: Ausgangssperre sozial ungerecht
Nach Ansicht des Linken-Abgeordneten Deniz Celik sind Ausgangsbeschränkungen ein „drastischer und unverhältnismäßiger Eingriff in die Bewegungsfreiheit“ und sozial ungerecht.
„Es trifft besonders schwer Menschen und Familien, die in beengten Wohnverhältnissen leben und bereits jetzt am meisten unter psychischen Belastungen leiden.“ Der Senat messe mit zweierlei Maß, wenn das Freizeitverhalten derart stark einschränke, „während das Arbeitsleben weitgehend unreguliert“ bleibe.
FDP-Abgeordnete kritisiert "Bevormundung" der Hamburger
Die AfD erneuerte ihre Generalkritik an der Bekämpfung der Pandemie. Der „Inzidenz-Irrsinn“ gehe weiter „und findet in der Ausgangssperre den traurigen Höhepunkt“, sagte Fraktionschef Dirk Nockemann. Dabei würden „die wirtschaftlichen Kollateralschäden der panischen Lockdown-Politik (...) gnadenlos in Kauf genommen“.
Dass der Senat die Hamburger nach 21 Uhr „einsperren“ wolle, sei kontraproduktiv, sagte die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein. „Wer wirklich auf Testen und Impfen setzt, um die Pandemie zu überwinden, kann nicht alle Bürger derart bevormunden. Getestete und Geimpfte werden sich fragen, warum sie eingesperrt werden, Test- und Impfwillige werden demotiviert.“
Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:
- Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
- Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
- Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
- Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
- Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).