Löbau/Bautzen. Die AfD erzielte in Bautzen und Görlitz Werte, von denen die einstigen Volksparteien nur träumen können – mit Folgen für viele Engagierte.

„Ich hasse die“, entfährt es einem untersetzten Mitvierziger, der sich am Rande des Bautzener Rathausplatzes postiert hat. Gemeinsam mit zwei Bekannten beobachtet er das Treiben im Zentrum der ostsächsischen Stadt, wo eine fröhliche Menge von rund 300 Menschen einem Open-Air-Konzert lauscht und tanzt. Zunächst hatten die drei jegliches Gesprächsangebot abgelehnt. Doch dann scheint ihr Mitteilungsbedürfnis zu überwiegen.

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„Dauerstudenten“, „Faule“, „Schnauze voll“, rufen die Männer aggressiv in Richtung der Konzertbesucher. Was ihre Wut anheizt, sind die tanzenden Teilnehmer der Veranstaltung „Happy Monday“, die am Tag nach den Europawahlen zeigen wollen, dass ihre Stadt nicht nur den Rechten gehört. Sie möchten sichtbar sein, für demokratische Werte und Solidarität einstehen, sagt Veranstalterin Manja Gruhn. „Es geht um die Sichtweise: Das Glas ist halb voll und nicht halb leer.“

Auf die Frage, ob sie das nach der Europawahl auch so sieht, entfährt ihr ein bitteres Lachen. „Es wird eine harte Zeit werden“, glaubt die junge Frau. Und wie zum Beweis kommen die drei krakeelenden Beobachter zu ihrem Kernanliegen: den kriminellen „Ankommenden“, wie sie Geflüchtete süffisant bezeichnen. Bei 39,2 Prozent stoppte der Balken der AfD im Kreis Bautzen. Im Nachbarlandkreis Görlitz, der Heimat von AfD-Parteichef Tino Chrupalla, erzielte sie mit 40,1 Prozent ihren bundesweiten Rekord.

Syrer in Bautzen – erst Fahrrad kaputt, dann Tür demoliert

Dort, in einer Nebenstraße der Kreisstadt Löbau, steht Ahmed Abdulrahman. Der syrische Geflüchtete blickt über die Hügellandschaft der Oberlausitz und zeigt auf eine Plattenbausiedlung. 2016 nahm dort seine Integrationsgeschichte im Kreis Görlitz ihren traurigen Anfang, als der 42-Jährige mit seiner Frau und seinen fünf Kindern in die erste eigene Wohnung zog.

Am 10. Juni 2024 stehen in Löbau Ahmed Abdulrahman aus Syrien, Aras Hamo und Sven Kaseler von der Organisation „Augen auf“ vor ihrem Feuerwehrauto.
Am 10. Juni 2024 stehen in Löbau Ahmed Abdulrahman aus Syrien, Aras Hamo und Sven Kaseler von der Organisation „Augen auf“ vor ihrem Feuerwehrauto. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Er vermutet, dass sein Nachbar ein Nazi war – und die Bemühungen seiner Familie, in Deutschland Fuß zu fassen, gezielt torpedierte. Ahmed nennt ein Beispiel: Für seine Einkäufe habe er sich damals ein Fahrrad gekauft. Kurz darauf stand es zerstört im Hof. Als Unbekannte ein Loch in seine Tür traten, entschied er sich für einen Umzug. „Wir haben mehr Angst jetzt“, sagt Ahmed am Tag nach der Europawahl, die vor allem im Osten in einen deutlichen Rechtsruck mündete.

Schon jetzt traue er sich nicht mehr, gemeinsam mit seiner Frau und seinen fünf Kindern durch die Straßen von Löbau zu laufen. Mehrfach habe er erlebt, dass Menschen in aller Öffentlichkeit seine Kinder zählen, um sich über die Höhe der Sozialleistungen zu echauffieren. In „Westdeutschland“ sei ihm Vergleichbares nie passiert. Der Vorwurf wühlt den schüchternen Mann sichtlich auf. Immer wieder betont er, dass er arbeitet.

Nach der Europawahl setzt allmählich Ernüchterung ein

Am Montagnachmittag kniet er im Innenraum eines alten Feuerwehrautos. Gemeinsam mit seinem Kollegen Aras Hamo hat er für den Verein „Augen auf“ Sperrmüll entsorgt. Sven Kaseler leitet den Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen wie Ahmed ein lebenswertes Leben im Kreis Görlitz zu ermöglichen. „Augen auf“ betreibt mit Geflüchteten ein Integrationscafé, feiert mit ihnen das Zuckerfest oder bietet in einem mobilen Zelt arabischen Kaffee an.

Trotz alledem lässt Sven Kaseler nach der Europawahl Ernüchterung erkennen. „Die Leute werden müde. Wo ist die Utopie?“, fragt er sich. Er selbst habe keine Lust mehr, sich immer wieder rechten Aufmärschen in den Weg zu stellen, er möchte vielmehr Alternativen anbieten. Auch deshalb sind Kaseler und sein Team der rechten Stimmung unmittelbar ausgesetzt: Bereits zwei Mal sei in ihr Büro eingebrochen worden. Einmal hätten 130 Hooligans ein integratives Fußballspiel gestürmt.

Oberlausitz: idyllische Landschaft mit sanierten Altstädten

Seine Veranstaltungen könne der Verein nur noch unter Begleitung von Sicherheitsleuten abhalten. „Das sind die Aussichten hier“, sagt er. „Wir rechnen in der Kultur mit Angriffen.“ Sollte die AfD in Regierungsverantwortung kommen, befürchtet er eine drastische Kürzung von Geldern für viele integrative Projekte. „Wir haben ein politisches Problem mit rechten Parteien – aber vieles ist Unverständnis und Dummheit“, so Kaseler. „Die Leute denken, die Ampel ist an allem schuld – sogar für den verstopften Abfluss in der Dusche.“ Rechte Parteien würden dort gezielt ansetzen und stetig Grenzen verschieben.

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    „Die Chancen des Dreiländerecks machen es hier lebenswert – wir haben eine reiche Kulturlandschaft“, sagt Kaseler. Doch viele Menschen würden nur die Nachteile sehen. Schon seit den 1990er-Jahren habe die Region ein Problem mit Rechtsextremismus. Menschen aus dem angrenzenden Tschechien und Polen seien schon immer argwöhnisch beäugt worden, so der Vereinsgründer. Ein öffentlicher Fokus auf die Kriminalitätsrate hätte sie nach der Wende in ihren Ansichten bestärkt. „Es steckt mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft.“

    Rechtssein „steckt mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft“

    Rechtssein scheint in weiten Teilen der Oberlausitz zur Normalität geworden zu sein. In Bautzen kommen viele Passanten zur wöchentlich stattfindenden Mahnwache, um dem AfD-Chef von Sachsen, Jörg Urban, die Hand zu schütteln. Sein Landesverband wird vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. „Herr Urban, ich gratuliere“, sagt ein älterer Herr. „Wir haben es geschafft – vielleicht noch ein bisschen mehr.“ Im Hintergrund wehen Deutschland-, Sachsen- und Russland-Fahnen.

    Jörg Urban (r.), Chef der AfD in Sachsen, unterhält sich in der Altstadt von Bautzen.
    Jörg Urban (r.), Chef der AfD in Sachsen, unterhält sich in der Altstadt von Bautzen. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

    Auch eine Flagge in Reichskriegsoptik weht über den Köpfen. „Wir lieben Russland hier im Osten“, sagt Jörg Urban und lacht. Einige Menschen sind bereit, mit der Presse zu reden. Nur zitiert werden wollen sie nicht. Stattdessen verweisen sie auf den AfD-Chef. „Wir sind schon sehr zufrieden“, sagt er zum Ergebnis seiner Partei bei den Europa- und Kommunalwahlen. Angesprochen auf seine Ambitionen für die Landtagswahlen lächelt Urban. „In dem Moment, wo es irgendeine Konstellation gibt, in der wir regieren, bin ich natürlich dafür vorgesehen.“