Berlin. Die Politik diskutiert nach dem Attentat in Mannheim über härtere Maßnahmen gegen kriminelle Asylbewerber. Doch einfach wird das nicht.
Der Satz dröhnte wie ein Paukenschlag. Olaf Scholz sagte dem „Spiegel“ im Oktober letzten Jahres: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“ Das Magazin hob den Satz aufs Cover, dazu ein Foto von Scholz. Grimmiger Gesichtsausdruck, Blick direkt in die Kamera, ein Teil seines Gesichts liegt im Dunkeln. Der Mann, der sich bei seinen Ansprachen sonst so gern wolkiger Worthülsen bedient, sprach plötzlich Klartext. Ein eiserner Kanzler greift durch, das war die Botschaft.
Der Satz von Scholz sollte, so hieß es damals in der Ampelkoalition, eine Wende einleiten. In der Bundesregierung und in der deutschen Asylpolitik insgesamt. Der Tenor: Mehr Abschiebungen, weniger Nachsicht mit kriminellen Asylbewerbern. Nun, ein gutes halbes Jahr nach dem Spiegel-Interview, debattiert die Regierung erneut über die Abschiebepolitik. Der Grund: Am Freitag hat ein 25-jähriger Afghane in Mannheim einen Stand der islamkritischen Bürgerbewegung „Pax Europa“ angegriffen. Ein Polizist kam dabei ums Leben, fünf weitere Männer wurden verletzt. Der Afghane hatte einen begrenzten Aufenthaltstitel. Nun lauten die Fragen, die jetzt die Ampelkoalition beschäftigen, ausgehend von dem Attentat in Mannheim: Was hat sich seit dem scharfen Satz von Scholz bereits verändert? Braucht es eine Verschärfung in der Asylpolitik? Und können künftig auch Menschen nach Afghanistan abgeschoben werden?
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Die Debatte platzte mitten in eine Klausur der SPD-Bundestagsfraktion. Dort beugten sich Anfang der Woche die sozialdemokratischen Experten der Migrationspolitik über die Zahlen: Deutschland hat im vergangenen Jahr zwar mehr als 16.000 ausreisepflichtige Asylbewerber abgeschoben – das sind 27 Prozent mehr als 2022. Aber: Nahezu doppelt so viele Abschiebungen scheiterten. Teilweise an ausgefallenen Abschiebeflügen, teilweise weil der Zielstaat die Annahme der Menschen verweigerte oder auch, die ausreisepflichtigen Personen waren nicht mehr aufzufinden. Die Zahlen halten viele innerhalb der Regierung für zu hoch.
Hinzu kommen die Zahlen bei geduldeten Menschen in Deutschland. Ende letzten Jahres waren zwar 242.642 Menschen ausreisepflichtig, doch 193.972 von Ihnen hatten eine Duldung und wurden daher nicht abgeschoben. Dieser Status wird von den Behörden dann zuerkannt, wenn es im Herkunftsland eine schlechte Sicherheitslage gibt, die Kinder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland leben oder bislang entsprechende Dokumente zur Ausreise fehlen wie Reisepass oder Personalausweis.
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Eine Verschärfung des Asylrechts wurde Anfang diesen Jahres in Kraft gesetzt
Scholz handelte nach seinem scharfen Satz im letzten Herbst. Seit Januar 2024 hat die Koalition eine Gesetzesverschärfung durchgesetzt: Die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams wurde von zehn auf 28 Tage verlängert. Zudem sollen Straftäter in Zukunft einfacher abgeschoben werden können – insbesondere wenn sie innerhalb eines Jahres mehrere geringfügige Straftaten begehen oder wenn ein „antisemitischer, rassistischer, geschlechtsspezifischer oder sonstiger menschenverachtender Beweggrund“ festgestellt wird. Die Mindeststrafe für Schleuser wird auf eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr erhöht. Und: Personen, die mit gefälschten Dokumenten einreisen, sollen ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erhalten.
Wie wirkt sich diese bisherige Verschärfung aus? Die Anzahl der Abschiebungen aus Deutschland hat im ersten Quartal 2024 bislang leicht zugenommen. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums bestätigte kürzlich Zahlen aus einem Bericht des „Spiegel“. Von Januar bis März 2024 wurden demnach 4791 Personen abgeschoben, verglichen mit 3565 im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Hamburger Innensenator will Menschen nach Afghanistan abschieben
Zudem entbrennt, weil der Mannheimer Attentäter afghanische Wurzeln hat, nun eine Debatte darüber, ob es auch Abschiebungen nach Afghanistan geben soll. Eigentlich wurden diese seit August 2021 ausgesetzt, als die Taliban die Macht im Land übernahmen. Es wird diskutiert, ob das Auswärtige Amt eine Neubewertung der Sicherheitslage in Afghanistan vornehmen könne – dann wären auch Abschiebungen wieder möglich. Der Hamburger Innensenator, Andy Grote, prescht bereits vor. Der Nachrichtenagentur dpa sagte SPD-Politiker Grote: „Wer hier schwere Straftaten begeht, muss das Land verlassen, auch wenn er aus Afghanistan kommt. Hier wiegt das Sicherheitsinteresse Deutschlands schwerer als das Schutzinteresse des Täters.“
Im Bundesinnenministerium wird derzeit überlegt, wie Straftäter nach Afghanistan abgeschoben werden könnten. Aus Kreisen des Ministeriums erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser intensiv prüfen lässt, wie Abschiebungen von Straftätern und Gefährdern nach Afghanistan wieder ermöglicht werden können. „In solchen Fällen muss das Sicherheitsinteresse Deutschlands eindeutig das Bleibeinteresse des Betroffenen übertreffen“, hieß es weiter. Vor einem Jahre sagte Außenministerin Baerbock, die für eine Neubewertung der Lage zuständig wäre, noch, Deutschland schiebe „aus gutem Grund“ nicht nach Afghanistan ab. Die Taliban hätten eine „Schreckensherrschaft“ dort errichtet.
Auch Innenministerium räumt man ein: Die Sicherheitslage sei komplex, die Regierung in Afghanistan international nicht anerkannt, also wären die Herausforderungen weiterhin erheblich. Die nächste Innenministerkonferenz findet am 19. Juni statt. Es gibt noch einiges zu besprechen.
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